''Overtourism'' in Europas Städten: Wer nicht handelt verliert
Um ''Overtourism'' zu vermeiden, brauchen Städte eine nachhaltige Tourismusstrategie, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.
Ein Wochenende in Amsterdam, Barcelona oder London – Städtereisen liegen europaweit im Trend: Die Zahl der touristischen Übernachtungen in Städten wuchs seit 2008 um 57 Prozent, mehr als doppelt so schnell wie die Übernachtungen in den jeweiligen Ländern insgesamt. Die besuchten Städte und deren Tourismusgewerbe haben damit eine wichtige Einnahmequelle. Doch beliebte Ziele wie Amsterdam oder Barcelona zeigen, welche Folgen das Phänomen ''Overtourism'' hat, wenn Städte von ihrem eigenen Erfolg überrollt werden und die Zahl der Touristen zu hoch wird: Einwohner sind von Lärm, Verkehr und überfüllten Restaurants genervt, die lokale Identität und Kultur nehmen Schaden oder werden dem vermeintlichen Geschmack der Touristen angepasst und so weiter. Wie Städte ihre Attraktivität erhalten und die Wertschöpfung aus dem Tourismus steigern können, ohne in die Falle des ''Overtourism'' zu geraten, beschreibt die Studie „European city tourism study 2018: Protecting your city from ''Overtourism'', für die Roland Berger und die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) Daten von 52 europäischen Städten erhoben und ausgewertet hat.
Zentrales Ergebnis der Studie: In den vergangenen Jahren haben viele Städte nur darauf hingearbeitet, immer mehr Touristen anzulocken. Über diesen kurzfristig wirtschaftlich erfolgreichen Aktivitäten wurde aber vergessen, dass Städtetourismus klug gesteuert werden muss , wenn er auch langfristig erfolgreich und nachhaltig sein soll. Dabei gilt es unterschiedlichste Faktoren zu berücksichtigen und die Interessen von Gästen und Einheimischen, Tourismusbetrieben, Stadtentwicklung und Tourismusplanung in Einklang zu bringen.
Entscheidende Messgrößen für die Qualität des Tourismus‘ in einer Stadt sind die Wertschöpfung und das Verhältnis zwischen Zahl der Touristen und der Einwohner, die sogenannte Tourismusintensität. In London, Wien, Berlin oder München sind diese Werte sehr gut, dort gibt es einen gesunden, nachhaltigen Tourismus und ein erfolgreiches Zusammenspiel von Stadtplanung und touristischer Entwicklung. Dagegen herrscht in Venedig, Reykjavik, Amsterdam oder auch Salzburg Handlungsbedarf aufgrund der unverhältnismäßig hohen Anzahl an Touristen. Dazu kommen Städte wie Hamburg, das zwar ein hochwertiges Angebot an Kultur, Hotels, Restaurants und gut ausgebauter Infrastruktur hat, aber vergleichsweise wenige Touristen anzieht. Hier könnte das wirtschaftliche Potenzial mit geeigneten Maßnahmen also noch besser genutzt werden.
Grundsätzlich gilt: Wenn die Zahl der Übernachtungen im Vergleich zur Einwohnerzahl überproportional steigt und gleichzeitig die Wertschöpfung auf niedrigem Niveau verharrt wird es für Städte problematisch. Das geht meist einher mit Billigunterkünften und Zurückhaltung der Gäste beim Geldausgeben etwa für Restaurants oder Museen. Darunter leidet das Image einer Stadt und Besucher, die qualitativ hochwertigen Urlaub machen wollen, werden abgeschreckt. Dann ist die Schwelle zu Massentourismus und ''Overtourism'' nahe.
Doch ''Overtourism'' ist keine Einbahnstraße: Mit den richtigen Maßnahmen lässt sich die Entwicklung umkehren beziehungsweise von vorneherein vermeiden. Um einen langfristig nachhaltigen Städtetourismus aufzubauen, haben die Roland Berger-Experten in ihrer Studie sieben Ansätze entwickelt. Der vielversprechendste und dabei langfristigste ist, frühzeitig eine Strategie zu erarbeiten, in der Tourismus- und Stadtentwicklungsplanung in Einklang gebracht werden. Zentrale Themen sind dabei unter anderem Infrastruktur, Umweltbelange oder Smart City-Angebote.
Zu den weiteren Ansätzen gehört es, die Innenstädte zu entlasten und den Gästestrom auf mehr Stadtteile zu verteilen. Das gelingt, indem vernachlässigte Viertel attraktiv wiederbelebt und beworben werden. Durch die gezielte Ansprache von zahlungskräftigen Besuchern mithilfe geeigneter Angebote lässt sich zudem das touristische Spektrum in Richtung Qualität statt Quantität verschieben.
Spätestens wenn der Trend in Richtung ''Overtourism'' offensichtlich wird, sollten Städte auch zu regulierenden Maßnahmen greifen. Dazu gehören Beschränkungen bei der Zahl der Hotelbetten und eine Regulierung der Vermietung von Privatwohnungen. Vor allem letztere hat im Zuge der Sharing Economy massiv zugenommen und treibt durch sinkende Übernachtungskosten die Zahl der Touristen in einer Stadt in die Höhe.
Um ''Overtourism'' zu vermeiden, brauchen Städte eine nachhaltige Tourismusstrategie, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.