Erfolge ohne Eile
In der neuen Ausgabe des Think:Act Magazins erkunden wir die Vorteile eines ruhigeren Tempos und lernen vom Erfolg entschleunigter Unternehmen.
von Emanuele Savettiere
Fotos von Philipp Horak
Annette Mann ist eine von sehr wenigen Frauen an der Spitze einer großen Fluggesellschaft. Mit Think:Act sprach die Vorstandschefin von Austrian Airlines über mehr Diversität in Cockpits und Führungsetagen – und erklärt uns, warum das Reisen mit dem Flugzeug Zukunft hat.
Annette Mann ist eine Frau und als solche noch immer eine Besonderheit in einer männerdominierten Branche. Als Vorstandschefin will sie die Chancen für weibliche Spitzenkräfte in der Luftfahrt verbessern und anderen Frauen helfen, in ihre Fußstapfen zu treten. Dazu gehören etwa konkrete Initiativen, die die beruflichen Leistungen ihrer Kolleginnen besser zur Geltung bringen sollen.
Die Vorstandsvorsitzende der Austrian Airlines erläutert im Interview, wie sie ihren Mitarbeiterinnen zu mehr Sichtbarkeit auf der Karriereleiter verhelfen will und welche Strategien sie für mehr Geschlechtervielfalt und Inklusion verfolgt. Dazu zählen etwa neue Arbeitsmodelle und geteilte Führungspositionen. Mann, die Austrian Airlines erfolgreich durch die Covid-19-Pandemie steuerte, stellt sich einer weiteren Herausforderung: Sie will die Luftfahrt nachhaltiger gestalten.
Nur 7 % der CEOs der weltweit 100 größten Airlines waren laut Statistik 2022 weiblich. Warum gibt es nach wie vor kaum Frauen in Spitzenpositionen?
Viele große Fluggesellschaften sind seit Jahrzehnten im Geschäft. Sieht man sich die Geschichte der Airlines an, lag ihr Schwerpunkt ursprünglich auf der Technik und dem Flugbetrieb. Viele Karrieren sind aus diesen Bereichen hervorgegangen, in denen in der Regel kaum Frauen tätig waren. Das könnte der Grund dafür sein, warum es heute immer noch so wenige von uns in der Branche gibt. Ich glaube allerdings, dass sich das schnell ändern wird. Denn bei den meisten Airlines hat man inzwischen verstanden, dass wir keine Flugzeugbauer sind. Flugzeuge sind zwar unser teuerster Produktionsfaktor, aber im Kern sind wir Dienstleister. Und das heißt: Es geht bei uns um Menschen und um Gastfreundschaft. Deshalb sehe ich keinen Grund, warum nicht mehr weibliche Führungskräfte bei Fluggesellschaften Karriere machen sollten. Und ich hoffe, dass immer mehr Frauen ermutigt werden, diesen Weg zu gehen.
Was können Sie von Ihrer eigenen Reise an die Spitze eines Unternehmens berichten?
Seit ihrem Einstieg bei der Lufthansa Group im Jahr 2003 hatte Annette Mann eine Reihe von strategischen und operativen Funktionen inne. Bis 2020 war sie für verschiedene produktbezogene Aufgabengebiete verantwortlich, etwa für die Entwicklung und Einführung der heutigen Lufthansa First Class Services. Zusätzlich war sie Vice President Product Management bei Swiss Airlines.
Bei Lufthansa war sie zuletzt für Corporate Responsibility zuständig. Im März 2022 übernahm Annette Mann die Leitung von Austrian Airlines.
Das Gespräch mit Annette Mann führten wir auf dem Global Peter Drucker Forum.
Offen gestanden habe ich in meinem Job nie viel darüber nachgedacht, dass ich eine Frau bin. Zu Beginn meiner Karriere habe ich im Produktmanagement des A380-Teams bei der Lufthansa gearbeitet. Es war fantastisch, mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen zusammenzukommen – vom extravaganten Designer bis zum nerdigen Ingenieur, der irgendein Kleinteil für die Kabine entwirft. Ich habe früh gelernt, mit sehr unterschiedlichen Menschen zu arbeiten und zwischen ihnen zu vermitteln. Das hilft mir bis heute. Als guter Kommunikator fällt es einem leichter, etwa geschlechtsspezifische Fragen offen anzusprechen.
Wie fördern Sie Frauen, damit sie verantwortungsvolle Funktionen bei Austrian Airlines anstreben?
Wir ermutigen Frauen bereits zu Beginn ihrer Karriere, Aufgaben mit einem gewissen Risiko zu übernehmen. Dadurch werden sie im Unternehmen besser wahrgenommen. Zu viele Frauen sind noch immer sehr idealistisch. Sie nehmen Jobs an, in denen sie zwar hart arbeiten und die wichtig sind, aber sie sind dort eben meist auch weniger sichtbar. Es ist wichtig, dass junge Frauen auf Positionen tätig sind, in denen sie von anderen wahrgenommen werden. Hier lernen sie, Entscheidungen zu treffen und Risiken einzugehen. Gerade in einem frühen Stadium ist das für ihre weitere berufliche Entwicklung äußerst wichtig.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
In unserem Team für Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Nachhaltigkeit beschäftigen wir viele Mitarbeiterinnen. Sie arbeiten direkt mit dem Vorstand zusammen, ebenso mit der Personalabteilung und dem Controlling. Sie halten Vorträge, lernen ständig dazu und werden so von leitenden Angestellten wahrgenommen. Zusätzlich nominieren wir weibliche Talente für Preise und Stipendien. Eine junge Mitarbeiterin von uns wurde zur Teamleiterin befördert und bekam ein Stipendium an der renommierten Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU). Wir unterstützen sie auch dabei, einen breiteren Zugang zu beruflichen Netzwerken zu bekommen.
Eine schwierige Phase beginnt, wenn Frauen mit Ende 20 oder Anfang 30 ihre ersten Führungspositionen übernehmen. In dieser Lebensphase spielt Familienplanung eine wichtige Rolle. Bei uns gibt es deshalb geteilte Führungspositionen und Tandems aus zwei Frauen oder aus einer weiblichen und einer männlichen Führungskraft. Wir bieten auch Arbeitsmodelle an, um weibliche Spitzenkräfte zu unterstützen – weil sie sonst vielleicht ihren Job ganz aufgeben oder woanders hingehen.
Wie sieht's mit Pilotinnen aus?
Immer noch schwierig. Wir würden gerne mehr Pilotinnen beschäftigen. Aber irgendwie ist noch immer tief im Bewusstsein der Gesellschaft verankert, dass nur Männer im Cockpit sitzen. Viele Frauen denken, es sei schwierig, den Job mit einer Familie zu vereinbaren. Dabei sagen unsere Pilotinnen, dass das sogar sehr gut möglich ist. Wir schicken unsere Pilotinnen in Schulen und auf Bildungsveranstaltungen, damit sie dort von ihren Erfahrungen berichten. Übrigens halten auch viele Männer den Job heute noch für elitär. Sie denken, die Ausbildung sei nur etwas für Wohlhabende, weil sie angeblich 100.000 US-Dollar kostet. Aber das stimmt nicht. Tatsächlich braucht man zu Beginn weniger als 10.000 US-Dollar. Das ist im Vergleich mit vielen anderen Berufen sogar recht wenig.
Bevor Sie zu Austrian Airlines kamen, leiteten Sie den Bereich Nachhaltigkeit bei Lufthansa. Wie beeinflusst Sie das in Ihrer heutigen Funktion?
Das war eine wichtige Erfahrung, weil ich tiefe Einblicke in das Thema gewonnen habe. Wenn ich heute Gespräche führe oder Artikel über Nachhaltigkeitsthemen lese, bin ich allerdings über den allgemein sehr bescheidenen Wissensstand überrascht. Es wird den ganzen Tag lang viel geredet, aber kaum einer unterscheidet zum Beispiel richtig zwischen Emissionsreduktion und Kompensation. Ich bin sehr dankbar, dass ich so viel lernen durfte, denn in meinem jetzigen Job vergeht kaum ein Tag, an dem ich dieses Wissen nicht benötige – in Podiumsdiskussionen, für Interviews oder wenn ich Fragen von Mitarbeitern und Kunden beantworten muss. Nachhaltigkeit ist ein heikles Thema, bei dem man schnell ins Schleudern gerät, wenn man sich nicht gut auskennt.
Der Luftverkehr zählt zu den energieintensivsten Branchen überhaupt. Was können Airlines tun, um ihre CO2-Emissionen zu senken? Kann nachhaltiges Flugbenzin eine umfassende Lösung werden?
Wir haben drei Möglichkeiten, um CO₂-Emissionen zu reduzieren. Erstens: neue Flugzeuge. Jedes neue Flugzeug verbraucht etwa 20 bis 25 % weniger Treibstoff als sein Vorgänger. Zweitens: effizienter fliegen. Dafür brauchen wir politische Maßnahmen, denn bisher hat jedes europäische Land seine eigene Flugsicherung. Das provoziert Umwege. Allein durch eine effizientere Organisation des europäischen Luftraums könnte man 10 % der Emissionen einsparen.
Drittens: neue Kraftstoffe. Theoretisch könnte man alle 27.000 Flugzeuge der Welt mit nachhaltigem Flugbenzin betreiben. Nur, wo soll das herkommen? Die Lufthansa Group – zu der auch Austrian Airlines gehört – setzt auf rund 15 Partnerschaften auf der ganzen Welt, um neue Technologien zu erforschen. Wir haben Verträge mit Unternehmen, denen wir Abnahmemengen garantieren, wenn sie in die Herstellung von nachhaltigem Treibstoff investieren. Es bleibt jedoch schwierig. Europa arbeitet mit Vorschriften. Die USA gehen intelligenter vor, weil sie Unternehmen motivieren und mit Steuervergünstigungen ködern. Europa war lange Zeit Spitzenreiter. Jetzt haben die USA die Führung übernommen, weil sie schneller hochskalieren. Das macht uns schon ein wenig neidisch.
46%: Prozentsatz der 18- bis 34-Jährigen in Deutschland, die 2022 das Flugzeug in einer Umfrage als bevorzugtes Verkehrsmittel für ihre Urlaubsreisen angaben.
Quelle: YouGov
Viele Menschen fliegen weniger, um Emissionen zu vermeiden. Wie gehen Sie damit um?
Das stimmt so nicht. Die Leute reden zwar davon, weniger fliegen zu wollen. Eine aktuelle Studie an deutschen Flughäfen hat jedoch gezeigt, dass gerade junge Menschen mehr denn je fliegen. Vor 15 Jahren lag der Anteil der Personen bis 30 Jahre, die geflogen sind, bei 21 %. Heute sind es 29 %, ein Zuwachs von fast 40 %. Wir sehen zwar einen Rückgang bei den Geschäftsreisen um 20 bis 30 %. Das wird aber durch die gestiegene private Nachfrage überkompensiert. Was sich also ändert, ist die Struktur unserer Kundengruppen. Wir sehen heute einen höheren Anteil an Privatreisenden – das sind Touristen, aber auch immer mehr Menschen, die Familie oder Freunde besuchen. Und es gibt eine neue Art von hybriden Geschäftsreisen: Remote-Teams treffen sich an verschiedenen Orten. Zum Beispiel in einem Monat für drei Tage in Barcelona, im nächsten Monat findet dann ein Meeting in Hamburg statt.
Haben Sie im Hinblick auf die Nachhaltigkeit auch etwas von anderen Airlines gelernt?
Man kann immer von anderen lernen. Ich halte die Lufthansa Group allerdings für einen Vorreiter. Wir waren die Ersten in Europa, die sich zu wissenschaftlich fundierten Zielen verpflichtet haben. Keine andere Airline pflegt so viele Partnerschaften rund um nachhaltige Flugkraftstoffe. Und dank Lufthansa Technik haben wir ein tiefes Verständnis für nachhaltige Technologien entwickelt. Andere Airlines fragen uns deshalb oft um Rat.
Sie haben bei Austrian Airlines noch während der Corona-Pandemie angefangen. Wie haben Sie die Geschäfte wieder in Gang gebracht?
Mein Einstieg als CEO in Wien fiel zeitlich mit Omikron als dominierender Coronavirus-Variante zusammen. Es kam damals Hoffnung für den nächsten Sommer auf, weil die neuen Impfstoffe gegen das Virus offenbar gut wirkten. Wir versuchten deshalb, uns so gut wie möglich auf die absehbar anziehende Nachfrage in der Sommersaison 2022 vorzubereiten. Das hat gut funktioniert. Im Laufe der Pandemie hatten wir rund 20 % unserer Mitarbeiter verloren. Der Betrieb lief auf sehr niedrigem Niveau. Wir haben nichtsdestotrotz früh neue Mitarbeiter eingestellt, alle Flugzeuge wieder in Betrieb genommen und unsere guten Beziehungen zu den Flughäfen und der Flugsicherung genutzt, um von nur 10 % auf 80 bis 90 % Auslastung hochzufahren. Obwohl es im Sommer 2022 sehr schwierig war, in Europa zu fliegen, hat sich Austrian Airlines gut geschlagen. Im dritten Quartal 2022 haben wir sogar Rekordzahlen verbucht. So konnten wir die staatlichen Hilfen sofort wieder zurückzahlen. Seither wachsen wir kontinuierlich.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Wo sehen Sie die größten Wachstumschancen und wie wollen Sie diese umsetzen?
Wir erneuern gerade unsere gesamte Flotte mit den modernsten Maschinen, die auf dem Markt sind. Fünf Airbus A320neo haben wir bereits bekommen, und sämtliche Langstreckenflieger werden wir von diesem Jahr an durch neue Boeing 787 Dreamliner ersetzen. Im operativen Geschäft müssen wir auf die sich verändernde Kundenstruktur reagieren. Zudem wollen wir widerstandsfähiger werden, weil die Weltlage immer unübersichtlicher wird und uns allen mehr Resilienz abverlangt. Es geht auch darum, die Bedürfnisse unserer Kunden noch besser zu verstehen. Zum Beispiel, um umweltfreundliche Tickets zu verkaufen. Wenn es allein um Idealismus geht, sind nur wenige Menschen bereit, mehr Geld auszugeben. Wir müssen deshalb grüne Produkte entwickeln, die die Menschen gerne kaufen wollen. Das wird die große Herausforderung für die kommenden Jahre.
Haben Sie noch einen guten Tipp für Geschäftsreisende, die nachhaltiger reisen wollen?
Viele Geschäftsreisende machen einen Denkfehler. Oft höre ich, dass man auch mal eine Nacht länger unterwegs ist, um Flüge zu vermeiden. Das ist schwarz-weiß gedacht. Man hat ja auch nicht nur die Wahl zwischen einem Verbrennerauto und der Bahn. Man kann sich auch für ein Elektroauto, also eine Zwischenlösung, entscheiden. Ähnlich ist es beim Fliegen: Wenn Sie zum Beispiel für einen Geschäftstermin von München nach Hamburg reisen, sind Sie mit dem Zug sehr lange unterwegs. Um eine Übernachtung werden Sie nicht herumkommen. Die meisten Geschäftsleute denken jedoch nicht darüber nach, dass Sie den Termin gut und umweltfreundlich an einem Tag mit einer Flugreise bewältigen können. Ich versichere Ihnen: Das Hotel in Hamburg ist teurer als der 100-Euro-Aufschlag für nachhaltiges Flugbenzin.
In der neuen Ausgabe des Think:Act Magazins erkunden wir die Vorteile eines ruhigeren Tempos und lernen vom Erfolg entschleunigter Unternehmen.