Covid-19 verdeutlicht strukturelle Defizite der Automobilbranche
Covid-19 trifft die Automobilbranche in allen Segmenten. Dabei wirkt die Pandemie wie ein Brennglas, das und strukturelle Defizite aufzeigt.
Von Felix Mogge
Die Automobilbranche befindet sich seit Jahren in einem gewaltigen Umbruch. Neben der steigenden Nachfrage nach E-Mobilität und dem Markteintritt neuer Wettbewerber, etwa großen Tech-Unternehmen, sind Lieferkettenprobleme nun eine weitere Herausforderung. Seit Beginn der Corona-Pandemie und verschärft mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs kämpft die Branche mit einem Mangel an Vorprodukten. Steigende Inflation und Energieengpässe könnten die Vorboten neuer Probleme sein. Dennoch: Aufgrund der bisher anhaltend hohen Nachfrage nach Neuwagen sind die OEMs bislang gut durch die Krise gekommen. Auffällig ist allerdings, dass ihr Erfolg in großen Teilen zulasten der Zulieferer geht. Deshalb sind sich die Automotive- und Restrukturierungsexperten von Roland Berger sicher: Dies wird sich in den nächsten Jahren ändern müssen, um eine weiterhin erfolgreiche Entwicklung der deutschen Vorzeigeindustrie nicht zu gefährden.
Das Ende des klassischen Verbrenners in der EU ist besiegelt. Ab 2035 müssen neu zugelassene Pkw und Transporter emissionsfrei sein. Auch wenn die Automobilbranche die Transformation in Richtung E-Mobilität bereits eingeleitet hat, bleiben die Auswirkungen auf Beschaffung und Produktion weiterhin eine Herausforderung. Hinzu kommen branchenfremde Wettbewerber mit neuen Geschäftsmodellen oder digitale Plattformen, die mit den traditionellen deutschen Herstellern vor allem in den Bereichen Software und autonomes Fahren konkurrieren.
In den letzten beiden Jahren haben die Pandemie und nun auch der Ukraine-Krieg die Schwierigkeiten für Automobilhersteller und Zulieferer zusätzlich verschärft. Dennoch konnten die deutschen Hersteller 2021 ihre Margen steigern und entsprechende Gewinne erzielen. Die Gründe: anhaltend hohe Nachfrage nach Neuwagen, umfangreiche Sparprogramme und die Fokussierung auf die Produktion renditestarker Modelle. Die Zulieferer hingegen kämpfen mit massiv gestiegenen Kosten und stehen bei der Renditeentwicklung vergleichsweise schlecht da. Während deutsche OEMs aktuell zweistellige Margen vorweisen können, sind es bei den Zulieferern nur vier bis fünf Prozent.
Diese Entwicklung kann und wird nach Ansicht der Roland Berger Experten so nicht weitergehen und zu echten Strukturveränderungen in der Branche führen, die das Zusammenspiel zwischen OEMs und Zulieferern bis 2030 fundamental ändern. Bislang wurde die aktuelle Krise vor allem auf dem Rücken der Zulieferer ausgetragen, deren Kosten auf breiter Front gestiegen sind und damit zu einer Schwächung ihrer Wertschöpfung geführt haben. OEMs profitieren dagegen von ihrer Marktmacht. Um das Gleichgewicht wiederherzustellen und die weiterhin stark steigenden Energie- und Materialkosten zu reflektieren, müssen sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Zulieferer verschieben.
Insbesondere gestiegene Energiepreise belasten die deutsche Automobilindustrie zunehmend. Zwar sind viele Unternehmen über langfristige Lieferkontrakte gegen Preissteigerungen bei Energieträgern gut abgesichert. Allerdings ist die Branche auf zahlreiche energieintensive Vorprodukte angewiesen; zudem lässt sich nicht ausschließen, dass es schon in naher Zukunft aufgrund fehlender Primärenergie zu Produktionsausfällen bei einzelnen Fahrzeugkomponenten kommen kann. Es steht also zu befürchten, dass die Energiekrise auch auf die Autobauer und ihre Zulieferer durchschlägt. Hinzu kommen die massiven Preiserhöhungen bei Rohstoffen und Material. Durch die zeitliche Verschiebung zwischen Kostensteigerungen, Nachverhandlungen und Durchsetzung neuer Preise ist davon wiederum die Zulieferindustrie besonders betroffen.
Hinsichtlich der Kosten für (Re-)Finanzierungen war die Branche aufgrund des niedrigen Zinsniveaus der vergangenen Jahre wenig belastet. Vor dem Hintergrund einer robusten Nachfragesituation und Margen auf Rekordniveau dürfte die sich nun abzeichnende Zinswende die Unternehmen zunächst vergleichsweise wenig treffen. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die Stimmung der Konsumenten in den nächsten Monaten entwickeln wird. Denn eine massiv steigende Inflation und die damit verbundenen höheren Lebenshaltungskosten schmälern die Kaufkraft auf breiter Front. Dies könnte sich auf längerfristig geplante Anschaffungen wie Autos negativ auswirken und die bislang guten Umsätze der OEMs gefährden.
Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie sind auch weiterhin spürbar. Denn die periodischen Lockdowns in China haben sowohl die Nachfragesituation auf dem weltweit wichtigsten Automarkt negativ beeinflusst als auch die globalen Lieferketten nachhaltig gestört. Das Fehlen von Vorprodukten und Betriebsmitteln, die auf Containerschiffen in Häfen auf ihre Abfertigung warten, lähmt die Produktion und setzt damit Autobauer und Zulieferer gleichermaßen unter Druck. Eine Alternative könnte der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten in anderen Regionen oder Standorten sein, allerdings ist dieser Umbau nicht von heute auf morgen realisierbar und kostet zudem viel Geld. Die Balance zwischen OEMs und ihren Zulieferer muss also neu austariert werden. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass die Hersteller im Kräftemessen mit den Zulieferern meist am längeren Hebel sitzen und diese mit der Lösung ihrer Probleme oft alleine lassen.
Auch das geopolitische Spannungsfeld mit seiner zunehmenden Polarisierung kann zu zusätzlichen Verwerfungen führen. Sollte sich die Blockbildung zwischen Europa und den USA einerseits und Russland und China anderseits weiter verhärten, sind ökonomische Schwierigkeiten programmiert. Denn Verlagerungen von Produktionskapazitäten wären dann nicht mehr ohne Weiteres möglich. Für die Produktion benötigte Rohstoffe wie Seltene Erden sind nur in bestimmten Regionen vorhanden und verursachen somit Abhängigkeiten, die sich niemals komplett umgehen lassen. Deshalb wird ein struktureller Umbau hin zu alternativen Lieferanten und kürzeren Lieferketten unumgänglich sein, zumal auch die OEMs kaum mehr Möglichkeiten haben, globale Unterschiede bei den Produktionskosten auszunutzen. Zulieferer könnten von der Verkürzung der Lieferketten profitieren. Fraglich ist allerdings auch hier, wer den Umbau bezahlen soll. In der aktuellen Sondersituation sind auch Übernahmen von Zulieferern zur Stabilisierung der Wertschöpfungsketten denkbar.
Der rückläufige Markt für Verbrennermotoren und die zusätzlichen Belastungen durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg machen die Sprengkraft der Transformation in den kommenden Jahren deutlich. Für die Roland Berger Experten ist klar, dass es die aktuellen Herausforderungen von Herstellern und Zulieferern gemeinsam zu lösen gilt. Dies kann aber nur funktionieren, wenn sich beide Seiten wieder annähern und die Kräfteverhältnisse ins Gleichgewicht bringen, um traditionelle Partnerschaften erfolgreich weiterzuführen.
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