Blockaden mit kreativen Strategien überwinden

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Blockaden mit kreativen Strategien überwinden

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München Office, Zentraleuropa
21. Februar 2023

Wie man Hürden im kreativen Prozess beseitigt und die Entscheidungsfindung verbessert

Artikel

von Chris Wiegand
Illustrationen von Nigel Buchanan

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Gerade bei kreativen Arbeiten sind oft größere Blockaden zu überwinden. Renommierte Künstler berichten, wie sie mit Frust und Misserfolgen bei der Arbeit umgehen – und wie sie zurück in den Fluss finden.

Wer hat schon Zeit, sich zurückzulehnen und auf den Kuss der Muse zu warten? Unter Menschen, die mit Kunst ihren Lebensunterhalt verdienen, dürften es nicht viele sein. Momente der Frustration, Desillusionierung und Verzweiflung gehören zu jedem kreativen Prozess. Und jeder Künstler sucht seinen eigenen Weg, damit fertig zu werden. Eine Comedienne, ein Choreograf und ein Komponist, eine Autorin von Kurzgeschichten, ein Dramatiker und eine Regisseurin teilen hier ihre persönlichen Strategien, mit denen sie ihre kreativen Blockaden lösen. Ihre Geschichten erzählen von der Suche nach neuen Perspektiven, von produktiver Flexibilität, vom Überwinden der Angst vor dem Scheitern, von der Bedeutung der Improvisation und davon, wie man auf die Stimmen in seinem Kopf hört. Lassen Sie sich von Profis inspirieren.

Eine Illustration der Comedienne und Schauspielerin Pippa Evans.
Pippa Evans, Comedienne, Star des Musicals Showstopper! und Autorin von Improv your Life

PIPPA EVANS: Improvisieren heißt, damit zu arbeiten, was man im Moment zur Verfügung hat. Improvisatoren nutzen das Prinzip “Ja, und“. Das bedeutet für die Zusammenarbeit mit anderen: Ich bin mit deinem Angebot einverstanden, und jetzt füge ich noch etwas hinzu. Einigen Sie sich aber zunächst darauf, was sie gemeinsam erreichen wollen. Dann darf eine halbe Stunde lang jeder sagen, was sie oder er denkt. Keine Idee ist zu dumm. So schafft man einen Raum, in dem keiner das Gefühl hat zu versagen. Lassen Sie Ideen atmen, bevor Sie sie verwerfen. Jeder scheinbar noch so lächerliche Gedanke kann einmal nützlich werden. Keine Angst vor dem Offensichtlichen! Was einem selbst offensichtlich erscheint, mag es für andere überhaupt nicht sein. Bei Showstopper! improvisieren wir jeden Abend ein Musical. Unser Motto: Im Zweifelsfall bewegen! Hat jemand auf der Bühne einen Aussetzer, bewegt sie oder er sich einfach. Durch körperliche Veränderung der Position entsteht eine Reaktion, denn unsere Körper sind mit unseren Gedanken und Gefühlen verbunden. Sitzen Sie in einem Meeting, bitten Sie alle, sich durch den Raum zu bewegen.

Arbeiten Sie zu Hause? Stehen Sie auf, und tanzen Sie ein bisschen in der Küche. Heiterkeit ist immer hilfreich. Auch bei der Arbeit. Aber man sollte davon absehen, sich über die Beiträge anderer lustig zu machen. Die beste Heiterkeit erkennt an, dass wir alle mit Schwierigkeiten und Herausforderungen konfrontiert sind. Sie arbeiten allein? Nicht ganz. Erinnern Sie sich daran, dass Sie selbst “viele Menschen“ sind. Man kann auch allein “Ja, und“ spielen. Wir alle haben verschiedene Stimmen in unserem Kopf. Warum sollten wir die nicht nutzen? Kleiner Tipp: Dafür sucht man sich besser einen privaten Raum – im Büro könnte das komisch rüberkommen …

Eine Illustration der Autorin Deesha Philyaw.
Deesha Philyaw, Debütautorin der Kurzgeschichten-Sammlung The Secret Lives of Church Ladies.

DEESHA PHILYAW: Im Jahr 2007 habe ich einen Roman begonnen, bis heute ist er nicht fertig. Nach dem ersten Entwurf verlor ich das Interesse. Trotzdem habe ich versucht, das Schreiben zu forcieren. Es ist mir nicht gelungen. Bei einer Blockade glauben wir, etwas durchdrücken zu müssen. Dabei ist es besser, der Frage auf den Grund zu gehen, was uns zum Innehalten veranlasst. Mir wurde klar, dass ich eine Figur entworfen hatte, die in der Zeit stehen geblieben war. Meine Interessen als Schriftstellerin hatten sich verändert. Pausen sind ein wesentlicher Bestandteil kreativer Prozesse. Dinge brauchen Zeit, um zu reifen.

Für ein neues Projekt sollte man sich viel Vorlaufzeit geben. Experimentieren Sie. Als ich mit dem Schreiben anfing, wollte ich das erste Kapitel perfekt machen. Keine gute Idee, man schreibt dann Jahre an einzelnen Kapiteln. Erste Entwürfe sind zwar selten brillant. Trotzdem: Schreiben Sie in einem Rutsch durch, von Anfang bis Ende. Für meine Kurzgeschichtensammlung zum Beispiel schrieb ich einen 15 Seiten langen Entwurf. Am Ende benutzte ich davon nur zwei Absätze. Aber ich sehe die Zeit nicht als verschwendet an. Was ich nicht mehr brauchte, wurde die Grundlage für eine ganz neue Geschichte.

Eine Illustration des Choreografen und künstlerischen Leiters Hofesh Shechter.
Hofesh Shechter, Choreograf und künstlerischer Leiter der gleichnamigen Tanzkompanie.

HOFESH SHECHTER: Kreative Arbeit ist nie ein einfacher Prozess. Bin ich blockiert, wird das zum Thema meiner Arbeit – wie in meiner Show In Your Rooms, in der ein Künstler sein Handeln ergründet. Ich bringe eine spielerische Energie mit ins Studio. Denn Verspieltheit hält die Menschen positiv. Bist du zu ernst, entsteht der Eindruck, da will einer alles richtig machen. Arbeiten ist wie das Lösen eines großen Problems.

Dein Unterbewusstsein sucht immer nach Sinn; und es weiß, wann die Arbeit fertig sein muss. Ich glaube, dass die Dinge im richtigen Moment an der richtigen Stelle zusammenkommen. Und das ist vielleicht die einzige Zutat, die man für schöpferisches Gestalten wirklich braucht: der Glaube, dass es gelingen wird.

Die Kraft der Karten

Ziehen, bitte! Wie ein Kartenspiel von Brian Eno und Peter Schmidt Denkblockaden löst und einen kreativen Neustart ermöglicht.

In Slacker, Richard Linklaters Kultfilm aus den 1990ern, hält eine junge Frau Passanten in Austin im US-Bundesstaat Texas ein Kartenspiel unter die Nase. Ein Mann zieht eine Karte, er liest zweifelnd vor: “Ein Rückzug in Verachtung ist nicht dasselbe wie ein Rückzug in Gleichgültigkeit.“ Der Aphorismus ist eine jener Oblique Strategies, der “schrägen Strategien“, die der Musiker Brian Eno und der Maler Peter Schmidt entwickelt haben. Die beiden Freunde schrieben zunächst, jeder für sich, einfache Vorschläge auf, die ihnen bei der Arbeit halfen. Daraus entwickelten sie Mitte der 1970er mehr als 100 “lohnenswerte Dilemmata“, die auch anderen zugute kommen sollten. “Wenn du unter Druck gerätst, besonders in einem Aufnahmestudio, wo die Uhr tickt und die Stunde sehr teuer ist, verlierst du dich in Details und gerätst in Verzweiflung“, erklärt Eno in einem BBC-Interview. “Es ist sehr schwierig, aus so einer Situation herauszutreten und wieder den Überblick zu gewinnen.“

Ursprünglich waren die Aphorismen als Liste konzipiert. Ein Kartenspiel erwies sich aber als nützlicher und hielt unerwartete Lösungen bereit: “Arbeite in einer anderen Geschwindigkeit“ oder “Täusche etwas vor“ sind Beispiele. Eno nutzte die Karten für sein Album Another Green World (1975). Seither wurden sie vielfach überarbeitet und sind heute in verschiedenen Ausgaben erhältlich. Man kann einzelne Karten ziehen oder, wie die junge Frau in Slacker vorschlägt, so viele, wie man braucht – bis alle Fragen beantwortet sind.

Fünf schräge Strategien
#1

Achte auf die Reihenfolge deiner Aufgaben

#2

Ehre Fehler als versteckte Absicht

#3

Benutze weniger Notizen

#4

Erinnere Dich an ruhige Abende

#5

Lass das Band rückwärts laufen

Eine Illustration des Komponisten David Yazbek.
David Yazbek, Komponist und Texter, von ihm stammt etwa das Musical The Band's Visit.

DAVID YAZBEK: Wenn Leute über Schreibblockaden klagen, klingen sie wie verstopft. Kreative Energie kommt aber nicht aus dem Inneren – das ganze Universum besteht aus kreativer Energie. Sie hält es in Bewegung. Die Frage ist, was den Energiefluss davon abhält, durch Menschen hindurchzufließen. Ich meditiere – das ist eine gute Möglichkeit, die Karten neu zu mischen.

In den letzten Jahren habe ich viel über Zoom gearbeitet. Viel produktiver aber ist Arbeit mit anderen Menschen zusammen in einem Raum. Besonders, wenn man die Leute mag und viel lacht. Da entstehen Schwingungen, wahrscheinlich tauscht man sogar Pheromone aus. Gute Kunstwerke wirken inspirierend. Bei den Proben für The Band's Visit ging ich morgens vorher immer in eine Mark-­Rothko­-Ausstellung. Das war eine nahezu spirituelle Erfahrung, eine Quelle, die ich bei den Proben anzapfen konnte.

Eine Illustration des Drehbuchautors und Dramaturgs Jack Thorne.
Jack Thorne, Drehbuchautor und Bühnenautor von Harry Potter und das verwunschene Kind.

JACK THORNE: Als Autor bin ich oft frustriert. Trotzdem habe ich nie mit dem Schreiben aufgehört. Bei mir entsteht ein psychologischer Kreislauf aus guten und schlechten Zeiten. An 13 von 14 Tagen bin ich wütend auf mich, wenn ich nach der Arbeit den Schreibtisch verlasse. In einem Writer's Room arbeiten mehrere Drehbuchautoren an einer Produktion. Bei den besten TV­-Produktionen kommen hier unterschiedliche Menschen mit vielen Fähigkeiten zusammen, die kreativ zum Gelingen des Gesamtprojekts beitragen. Läuft es im Writer's Room nicht so toll, wird es sehr still, alle wirken besorgt und ängstlich.

Manchmal habe ich zwei oder drei Projekte gleichzeitig laufen. Spannend und irgendwie eigenartig dabei ist, dass sich TV-­Produktionen und Theaterstücke manchmal auf eine seltsame Art ergänzen, wechselseitig vervollständigen, obwohl sie sehr unterschiedlich sind. Ich bemühe mich generell um eine vielseitige Mischung von Projekten. Das hilft mir. Hatte ich bei einem Projekt einen schlechten Tag, wechsle ich zu einem anderen. Das gibt mir das Gefühl, dass ich doch kein Versager bin. Ein schönes Gefühl!

Eine Illustration der Theater- und Opernregisseurin Katie Mitchell.
Katie Mitchell, Theater- und Opernregisseurin.

KATIE MITCHELL: Als Regisseurin bin ich eine nachgeordnete Künstlerin. Künstler der ersten Stufe starten mit einem leeren Blatt; ich kann mich bei der Regie hinter ihrer Arbeit verstecken. Blockaden entstehen, wenn es mir nicht gelingt, das Ausgangsmaterial zu interpretieren. Um mich dagegen zu schützen, habe ich mir eine ganze Reihe Routinen geschaffen.

Am Anfang steht immer eine profunde Analyse des Ausgangsmaterials. Man kann sich ein Theaterstück oder eine Oper wie den Motor eines Autos vorstellen: Ich nehme alles auseinander, schaue mir jedes Einzelteil genau an und baue es wieder ein. Die Analyse ist eine mechanische Aufgabe – jedes dieser Einzelteile könnte die Gesamtinterpretation des Stücks in sich tragen. Man kann die Analyse auch mit einer Schweißarbeit vergleichen: Alle Funken werden sichtbar. Und dabei entsteht ein einziger merkwürdiger gelber Funke, der mir, im übertragenen Sinne, zeigt, dass “alles gelb sein soll“.

Blockaden entstehen meist, weil sich Gefühle wie Angst festsetzen. Marguerite Yourcenars Buch Memoirs of Hadrian (deutsche Ausgabe: Ich zähmte die Wölfin) hat mein Leben stark verändert: Immer wenn ein Hindernis auftaucht, stelle ich mir jetzt die Frage: “Welchen Vorteil kann das haben?“

Über den Autor
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Chris Wiegand
Chris Wiegand ist Redakteur beim Guardian und dort verantwortlich für die Berichterstattung über Theater, Comedy und Tanz. Er arbeitet seit 2007 für die Londoner Zeitung.
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