" Die Corona-Krise wird vorübergehen, aber die Probleme, unter denen der Maschinen- und Anlagenbau seit Jahren leidet, werden bestehen bleiben. "
COVID-19: Prioritäten für den Maschinen- und Anlagebau
Von Gerald Orendi
Wie sich Lieferketten-Engpässe und temporäre Produktionsstopps bewältigen lassen
Die COVID-19-Krise stellt den Maschinen- und Anlagenbau vor nie dagewesene Herausforderungen, von Störungen der Lieferketten über vorübergehende Stillstände der Produktion bis hin zur Aufschiebung oder gar Streichung von Investitionen. All dies schwächt eine Branche, die ohnehin seit 2018 unter einem anhaltenden Abschwung leidet. Ihre Unternehmen müssen nun zügig handeln, um Risiken zu minimieren. Zugleich müssen sie Strategien für ihre langfristige Positionierung entwickeln, um gestärkt aus der Krise hervorgehen zu können.
Corona trifft eine Branche im Abschwung
Der Maschinen- und Anlagenbau befindet sich bereits seit 2018 in einer Schwächephase. Der für 2018 und 2019 prognostizierte Rückgang bei der Finanzperformance ist eingetreten und wird sich ohne Zweifel fortsetzen. Ursachen sind das vergleichsweise schwache Wachstum in China (infolge des ungelösten Handelskonflikts und nachlassender Binnennachfrage), die anhaltende Sanktionspolitik gegenüber Russland und Iran sowie die negativen Auswirkungen des Brexits. In dieser schwierigen Lage wird die Branche nun mit einem neuen Gegner konfrontiert, der sie vor eine der größten Herausforderungen ihrer Geschichte stellt. Die COVID-19-Pandemie führt zu Produktionsstopps, zu Unterbrechungen der Lieferketten und damit zwangsläufig zum Aufschub bzw. zur Streichung von Investitionsprojekten.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA rechnet für 2020 mit einem Produktionsrückgang um fünf Prozent. Unsere eigenen Beobachtungen, die sich auf eine Umfrage unter mehr als 300 internationalen Branchenakteuren aus dem vierten Quartal 2019 stützen, offenbaren sowohl auf kurze als auch auf mittlere und lange Sicht entscheidende Schwachstellen bei Kostenstruktur, Geschäftsmodellen und Performancekultur. In einer separaten Untersuchung von über 40 führenden Maschinen- und Anlagenbauern im deutschsprachigen Raum konstatierten unsere Analysten einen Rückgang der EBIT-Marge (Verhältnis des Ergebnisses vor Steuern und Zinsen zu den Umsatzerlösen) um 1 Prozent seit 2017; von 2018 auf 2019 verzeichnete fast die Hälfte aller Unternehmen weiter schrumpfende Margen. Ein Viertel der Unternehmen musste in diesem Zeitraum außerdem sinkende Absatzzahlen hinnehmen. Dass viele von ihnen 2019 zudem höher verschuldet und weniger liquide waren als 2007 vor der Finanzkrise, ist ein deutliches Warnzeichen für eine drohende finanzielle Notlage.
Auch wenn sich die Folgen der COVID-19-Krise noch nicht konkret benennen lassen, verfolgen wir laufend die aktuelle Situation . Nachdem im Januar 2020 noch ein Auftragsplus gegenüber dem Vorjahresmonat zu Buche stand, erwarten die Unternehmen nun mit minus 88 Prozent einen regelrechten Absturz der Auftragseingänge. Dabei trifft die Krise sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite: Lieferketten sind sehr viel komplexer als in der Vergangenheit und in sehr viel höherem Maße gerade auf chinesische Anbieter angewiesen. Zugleich sind die Unternehmen stärker denn je von Schlüsselindustrien wie beispielsweise der Automobilbranche abhängig, die ebenfalls erheblich unter der COVID-19-Pandemie leiden.
Prioritäten für den Maschinen- und Anlagenbau
Schnelles Handeln ist das Gebot der Stunde. Roland Berger definiert hierfür sechs Prioritäten, für die wir passgenaue, effektive Lösungen anbieten.
An erster Stelle stehen Sofortmaßnahmen, um die Belegschaft zu schützen und etwaige Verwundbarkeiten innerhalb der eigenen Organisation aufzudecken. Diesen Schritt haben die meisten Unternehmen bereits vollzogen. An zweiter Stelle der Prioritätenliste steht die Überprüfung von Kapazitäten und deren Herunterfahren bzw. vollständiges Aussetzen. Entsprechende Maßnahmen sind gegenwärtig zu beobachten. Drittens muss die kurz- bis mittelfristige Liquidität der Unternehmen gesichert werden. Im vierten Schritt geht es darum, die Finanzierung zu gewährleisten und Zugang zu staatlichen Unterstützungsprogrammen zu erhalten. Entsprechende Aktivitäten werden wir in den kommenden Tagen und Wochen sehen. Die fünfte Priorität lautet, sich auf einen effizienten Neustart in der Zeit nach dem Abflauen der Krise vorzubereiten. Ihr Ziel: Die Unternehmen sollen stärker und besser gerüstet in die Zukunft gehen.
Die schwierige Lage setzt die Maschinen- und Anlagenbauer gleich doppelt unter Druck, hinsichtlich ihrer kurzfristigen Liquidität und ihrer langfristigen Rentabilität. Bei ersterer können sie sich zumindest etwas damit trösten, dass bestehende Projekte meist lange Vorlaufzeiten haben, was ihrem Mittelzufluss und dem laufenden Dienstleistungsgeschäft zugutekommt. Auch wenn Kostenstrukturen im Wesentlichen fix sind, lassen sie sich in gewissem Umfang anpassen, falls Aufträge storniert oder verzögert werden. Bei der Rentabilität haben die Unternehmen hingegen weniger Spielraum, um die Folgen abgesagter Projekte aufzufangen. Als Stütze der "Bottom-Line" wird daher das Dienstleistungsgeschäft an Bedeutung gewinnen.
Vorbereitung auf die Zukunft
Um gestärkt aus der Krise hervorgehen zu können , müssen Maschinen- und Anlagenbauer wichtige strategische Aufgaben jetzt angehen. Mit einem etablierten, robusten Aktionsplan können sie mit voller Kraft durchstarten, sobald sich das Leben wieder normalisiert.
Unsere Empfehlungen für eine solche Vorbereitung variieren je nach Unternehmenstyp. Die von unseren Experten definierten sechs Unternehmenstypen unterscheiden sich in Größe, Markt, Segment und technologischer Fokussierung. So könnten Mischkonzerne mit breitem Marktportfolio zum Beispiel bestimmte Geschäftseinheiten mit hohem Risikoprofil ausgliedern oder veräußern, ihr Engagement in aktuellen Wachstumsbereichen intensivieren und zugleich ihre Gemeinkosten und indirekten Funktionen verschlanken. Technologielastige Nischenanbieter könnten ihren Vorteil in diesem Sektor ausbauen und Partnerschaften eingehen, um Automatisierungslösungen und digitale Dienstleistungen voranzutreiben. Als kleinste Akteure könnten neue Marktteilnehmer wiederum mit größeren Anbietern kooperieren oder diese übernehmen, um rasch wachsen zu können.
Unabhängig vom weiteren Verlauf der Krise steht der Maschinen- und Anlagenbau vor harten Zeiten. Der wichtigste Tagesbefehl lautet dabei ganz klar: am Leben und am Markt bleiben. Bei aller Dringlichkeit der aktuellen Probleme sollte die Vorbereitung auf die Zukunft jedoch nicht vernachlässigt werden. Die COVID-19-Krise wird vorübergehen, aber die Probleme der letzten Jahre werden bestehen bleiben. Wer langfristig plant und eine klare Vision für die Zukunft hat, legt heute das strategische Fundament für die Zeit nach dem Virus.