Wie Konsumgüterindustrie und Einzelhändler das Sustainability-Game gewinnen können
Ob man es nun der Gen Z, Covid-19, Disruptionen unserer Ökonomie oder anderen Faktoren zuschreibt: Wir leben in einer Ära des Utilitarismus. Von unserem Konsumverhalten bis zur Wahl des Arbeitgebers – wir treffen unsere Entscheidungen zweckrational. Nirgendwo wird dies deutlicher als im Einzelhandel und in der Konsumgüterindustrie. Dort hat der Druck der Verbraucher und vor allem der Behörden dazu geführt, dass ESG-Themen auf der Prioritätenliste der Branche ganz oben stehen. Die Spielregeln ändern sich derzeit rasant. Die jüngste Studie von Roland Berger „The Sustainability Game: How new rules are reshuffling consumer goods markets“ macht deutlich: Unternehmen, die ihr Wachstum sichern und künftig im Spiel bleiben wollen, müssen Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer Strategie stellen. Und zwar besser heute als morgen.
Die vier wichtigsten Konsumgüterindustrien – Lebensmittel, Mode, Haushalts- und Körperpflegeprodukte, sowie Luxusgüter – haben weltweit ein Volumen von 14 Billionen US-Dollar. Sie werden bis 2030 voraussichtlich ein durchschnittliches Wachstum (CAGR) von rund sieben Prozent im Jahr erfahren. Experten rechnen jedoch mit einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums – insbesondere im Westen. Der Druck der Verbraucher ist einer der Hauptfaktoren und einige Branchen spüren ihn stärker als andere.
Auf der Grundlage einer Analyse von 84 Millionen Social-Media-Postings, E-Commerce-Websites, Chats in Foren und Blogs in 14 Ländern haben wir den Consumer Pressure Index (CPI) entwickelt. Als erstes Kriterium der Untersuchung gibt er Aufschluss darüber, was den Wandel der Konsumgüterindustrie verursacht und wie Unternehmen diesen am besten für sich nutzen können. Unsere Studie zeigt, dass die Verbraucher in allen 14 Ländern besonders von der Lebensmittel-, Getränke- und Modeindustrie mehr Nachhaltigkeit fordern.
In diesem Zusammenhang wird die Verankerung von Nachhaltigkeitskriterien in Zukunft ein entscheidender Faktor für Unternehmen sein.
Das zweite Kriterium der Studie ist der Regulatory Pressure Index (RPI), der den Nachhaltigkeitsdruck auf die Wirtschaft durch Gesetze und Vorschriften quantifiziert. Er basiert auf der Bewertung der ESG-Gesetzgebung in 13 Ländern und dem
„Roland Berger Climate Combat Radar“
sowie dem „Global Risk Profile Human Rights Index“. Westliche Länder und Japan weisen die höchsten RPIs auf, die EU-Staaten verfügen über die meisten Vorschriften für die vier Branchen. Deutschland und Spanien haben den höchsten RPI innerhalb der EU.
Werfen wir einen Blick auf die vier Schlüsselbranchen und die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, sowie auf die Trends und Entwicklungen bis 2030:
Die Lebensmittelindustrie konzentriert sich auf die Minimierung von Abfällen und nachhaltigen Einkauf. Mit 56 Prozent der Unternehmen, die keine Ziele für die Reduzierung der Scope-3-Emissionen haben, gibt es jedoch noch viel Verbesserungspotential. Einerseits wird Transparenz immer wichtiger, andererseits wird ihre Gewährleistung durch komplexe Lieferketten stetig schwieriger. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Bewusstsein und die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher zugunsten der Umwelt viel höher sind als für Sozial- oder Verwaltungsaspekte. Bis 2030 sollen beispielsweise E-Trucks, die zu 100 Prozent mit grüner Energie betrieben werden, Standard sein, und im Bereich der Produktion wird ein größerer Fokus auf Biodiversität und nachhaltige Landwirtschaft gelegt werden.
Es überrascht niemanden, dass die Modeindustrie der zweitgrößte Umweltsünder der Welt ist. In den letzten Jahren haben sich mehrere Unternehmen zu Netto-Null-Zielen verpflichtet. Es sind neue Marken mit umweltfreundlichen Produkten auf den Markt gekommen, die ihre
Brand Story
um das Thema Nachhaltigkeit aufbauen. Mangelnde Langlebigkeit, große Mengen an Müll und Lösungen im Bereich Recycling und Kreislaufwirtschaft sowie das Fehlen einer einheitlichen Definition nachhaltiger Produkte sind derzeit die größten Herausforderungen der Branche. Unsere Analyse zeigt, dass sich besonders die Verbraucher in den Industrienationen der Umweltbelastung durch die Industrie bewusst sind und sie diese Aspekte bei ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen. Wir gehen davon aus, dass in naher Zukunft die Nachhaltigkeit bei der Produktion von Textilien entscheidend sein wird. Auch die Regulatorik wird zunehmend verschärft: Umweltfreundliche Materialien und reduzierter Wasserverbrauch geraten dabei in den Fokus. Die Kreislaufwirtschaft wird zukünftig voll etabliert, Mode recycelbar werden und das Angebot die Nachfrage befriedigen können. Saisonale Produkte gewinnen an Bedeutung und aufgeklärte Verbraucher werden bewusste Kaufentscheidungen treffen. Und schließlich werden die Akteure der Branche eng zusammenarbeiten, um Innovationen und Wandel in der Produktion und dem Vertrieb voranzutreiben.
Die Industrie im Bereich Haushalts- und Körperpflegeprodukte ist einem hohen Nachhaltigkeitsdruck durch Verbraucher ausgesetzt. Ihr Schwerpunkt liegt derzeit auf der Umstellung auf wiederverwendbare Verpackungen. Unternehmen, die sich mit dem Problem der Einweg-Plastikverpackungen auseinandersetzen, sind nicht nur für die Kunden attraktiv – auch andere Konzerne, die Pläne für Fusionen und Übernahmen haben, richten ihren Fokus darauf. Wir erwarten, dass Unternehmen zunehmend auf Bio-Produkte umsteigen und Nachfülllösungen zur Norm werden.
Die Luxusbranche steht unter starkem Druck der Gen Z und Millennials. Diese sind für 85 Prozent des weltweiten Wachstums im Luxusbereich verantwortlich. Hersteller von Luxusartikeln verpflichten sich zunehmend zu CO2-Neutralität und Null-Abfall-Verursachung. Komplexe Lieferketten, hohe Produktstandards, Kreislaufwirtschaft und neues Verbraucherverhalten sind ihre größten Herausforderungen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der CPI in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist (8,8 in den Niederlanden und 2,5 in Japan). Dieser Unterschied zeigt sich auch in der Bereitschaft, einen Aufpreis für nachhaltige Produkte zu zahlen. Länder wie Indien weisen hier einen extrem niedrigen Wert auf. In unserer Vision für 2030 wird die Branche auf nachhaltigere recycelbare Rohstoffe umstellen und Unternehmen werden am Point of Sale individuelle Lösungen anbieten. Transparenz und Rückverfolgbarkeit werden dabei zum Standard, ebenso wie ein Blockchain-basierter Secondhand-Markt mit zertifizierten Produkten.
Bereit für eine nachhaltige Zukunft
Wie sieht also der nachhaltige Verbraucher des Jahres 2030 aus? Unsere Ergebnisse zeichnen das Bild eines digitalisierten Menschen, der Nachhaltigkeit als Lebensstil betrachtet und sich seiner individuellen Verantwortung bewusst ist. Er nimmt Unternehmen in die Pflicht und lehnt Greenwashing und Abfallverursachung ab. Zudem praktiziert er die Buy-less-Mentalität und ist bereit, für umweltfreundliche Produkte mehr zu bezahlen, dabei verhält er sich aber in hohem Maße selektiv.
Um den Verbraucher der Zukunft anzusprechen und die immer strengeren Vorschriften zu erfüllen, muss die Konsumgüterindustrie Nachhaltigkeit als tragende Säule in ihre Strategie integrieren. Dabei sollten sie unsere wichtigsten Erkenntnisse berücksichtigen:
Die Vernachlässigung von Nachhaltigkeitsaspekten wird für alle Branchen in naher Zukunft erhebliche Risiken mit sich bringen. Andererseits verschafft die systematische Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Dazu gehören die Berücksichtigung aller Umwelt-, Sozial- und Verwaltungsaspekte der ESG-Kriterien entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie die Vermeidung von Greenwashing – um jeden Preis. Darüber hinaus müssen Unternehmen ihre Strategien unbedingt an die Vorschriften der einzelnen Länder anpassen, da diese sehr unterschiedlich sind.
Die Lebensmittelindustrie sollte dem Umweltschutz Vorrang einräumen, da dieser den Verbrauchern wichtiger ist als Sozial- oder Verwaltungsthemen. Für die Modeindustrie ist es wichtig, die Bedürfnisse der Verbraucher in Bezug auf die ESG-Kriterien zu implementieren. Wer hier zu spät kommt, läuft Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Die Industrie im Bereich Haushalts- und Körperpflegeprodukte wird den Ansprüchen ihrer Kunden am besten gerecht, wenn sie sich auf Ressourcenschutz und grüne Entsorgungskonzepte konzentriert: Recycling, Second-Hand-Artikel und die Umwandlung des derzeitigen Systems in eine funktionierende Kreislaufwirtschaft werden für die Hersteller von Luxusartikeln in den kommenden Jahren im Vordergrund stehen.
Aufgrund des wachsenden Drucks der Verbraucher und der Gesetzgebung entwickelt sich Nachhaltigkeit von einem „Nice-to-have“ zu einer absoluten Notwendigkeit. Doch das endet nicht mit der Implementierung von Nachhaltigkeitskriterien in bestehende Unternehmen. Der Wandel wird die Entstehung neuer Geschäftskonzepte zur Folge haben. Recycling, Upcycling und Second-Hand werden die Trends der Zukunft sein und den konventionellen Markt der Neuprodukte schrumpfen lassen.
Das Interesse der Verbraucher an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen wird immer größer – und zwar in allen Bereichen. Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, dass diese Produkte erschwinglich bleiben oder Preisaufschläge transparent sind und glaubwürdig erklärt werden.
Investitionen in Nachhaltigkeit haben nicht immer einen unmittelbaren Effekt. Unternehmen müssen das Thema aus vielerlei Perspektive betrachten und angehen – dazu gehören auch Employer Branding und ESG-konforme Investoren, Teilhaber und Gesellschafter. Darüber hinaus können durch Investitionen in Nachhaltigkeit junge Menschen angesprochen und die jeweiligen Zielgruppen effektiv erreicht werden.
Unternehmen können diese Herausforderung demnach nur mit einem ganzheitlichen Ansatz bewältigen. Auf der Grundlage einer gut durchdachten Strategie sind Nachhaltigkeitsinitiativen und Leuchtturmprojekte wirksame Instrumente auf dem Weg zur vollständigen Umsetzung der ESG-Kriterien.
Studie herunterladen
Studie
Das Sustainability-Game: Heute handeln, morgen Erfolg haben
Unternehmen müssen Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer Strategie stellen, wenn sie in einer sich verändernden Industrielandschaft überleben wollen.