Think:Act Magazin “Nachhaltigkeit”
Der Begriff Power-Paar muss neu definiert werden
Think:Act Magazine
Warum gleichberechtigte Partner Superkräfte entwickeln
von Shila Behjat
fotos von Maak Roberts, Getty Images, John Durick, Scott Eells, Hannah Peters, Peter Foley, Carlo Allegri, Leo-Paul Ridet
Partnerschaften, in denen beide Karrieren machen, wünschen sich heute viele Männer genauso sehr wie Frauen. Damit dieser Wunsch sich erfüllen kann, brauchen wir eine neue Vorstellung von Power-Paaren. Das wäre ein Gewinn für Gesellschaft und Wirtschaft.
Der Prototyp des Power-Paares ist für die meisten eine Konstellation, wie sie Bill und Hillary Clinton beispielhaft in den 1990er-Jahren lebten. Sie besteht aus zwei Partnern: einem – meist ist es der Mann –, der eine Karriere aufbaut, und einem, der "auch Ambitionen hat". Aber wo sind die Paare, bei denen beide Partner gleich ambitioniert sind – am Arbeitsplatz und im familiären Umfeld? Immerhin, in den vergangenen Jahrzehnten gab es kleine Fortschritte in diese Richtung.
Und die Coronakrise könnte den entscheidenden Schub nach vorn bringen. "Das Paar, bei dem beide arbeiten, ist das gesellschaftliche Modell der Zukunft und wird alles verändern", sagt Avivah Wittenberg-Cox, CEO von Gender Consultancy 20first und Gründerin des European Professional Women’s Network (EPWN). Aktuellen Studien zufolge arbeiteten in 78 % aller Beziehungen von Millennials beide Partner, fährt sie fort, während es bei den Boomer-Paaren nur 43 % seien: "Wir haben die ambitionierteste Generation von Frauen, die die Welt je gesehen hat."
Doch dieses Konstrukt gilt als schwierig. Denn es wirft ständig Fragen auf: Wessen Karriere hat gerade Vorrang? Wer zieht um? Und wer räumt die Spülmaschine aus? 2003 prägte die Journalistin Lisa Belkin in einem Artikel für das New York Times Magazine den Begriff "Opt-out-Revolution". Darin stellte sie die Frage, warum nicht mehr Frauen in Spitzenpositionen gelangen. Ihre Antwort lautete: "Weil sie sich dagegen entscheiden." Erstaunlich viele ambitionierte, gut ausgebildete, erfolgreiche Frauen zögen nach der Geburt ihrer Kinder die "Opt-out"-Option, so Belkin: Sie steckten zurück, um sich erst wieder über einen Job Gedanken zu machen, wenn die Kinder groß waren. "Sie hatten die Wahl. Und sie fällten eine Entscheidung." Ob Frauen einer bezahlten Arbeit nachgehen, steht nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in direktem Zusammenhang damit, wie viele nicht-bezahlte Verpflichtungen sie übernehmen.
So stellen Frauen in Ländern, in denen sie fast achtmal so viel Zeit für unbezahlte Haushalts- und Erziehungstätigkeit aufwenden wie Männer, lediglich 35 % der erwerbstätigen Bevölkerung. Es ist daher wahrscheinlich, dass die meisten Frauen sich dafür entscheiden, weniger oder gar nicht erst wieder zu arbeiten, weil sie dieser Belastung nicht noch die Verantwortung am Arbeitsplatz hinzufügen möchten. In vielen Fällen arbeiten Frauen genauso viele Stunden im Beruf wie ihr Partner, leisten aber darüber hinaus mit durchschnittlich 4,4 Stunden pro Tag etwa doppelt so viel unbezahlte Arbeit wie die Männer.
Die Folge ist ein stiller Braindrain mit spürbaren wirtschaftlichen Auswirkungen. Manchmal aber äußert er sich laut. Etwa, wenn die New York Times eine Schlagzeile wie diese druckt: "Fast die Hälfte aller Männer sagt, dass sie den größten Teil des Heimunterrichts übernommen haben. Drei Prozent der Frauen stimmen dieser Aussage zu."
"Opt-out klingt so, als hätte man eine Wahl", sagt Eve Rodsky, eine in Harvard ausgebildete Anwältin. "Auch ich dachte damals, ich hätte eine Wahl gehabt. Aber ich war gezwungen, meine Laufbahn zu beenden." Deshalb begann Rodsky sich als Autorin und Aktivistin dafür einzusetzen, die Rolle von Frauen in der Gesellschaft zu stärken. Ihr Buch Fair Play und ein dazugehöriges Kartenspiel sind eine spielerische Anleitung für berufstätige Paare, um 100 wichtige alltägliche Aufgaben untereinander aufzuteilen. Vielleicht aber müssen die Rollen, die Partner in einer funktionierenden Beziehung übernehmen, noch viel gründlicher als bisher analysiert werden. Jennifer Petriglieri, Professorin an der Wirtschaftshochschule Insead, hat die Lebensverhältnisse von mehr als 100 berufstätigen Paaren untersucht.
Ihrer Forschung zufolge stellt sich die Realität positiver dar als erwartet. "Die Zahlen zeigen deutlich, dass Partnerschaften davon profitieren, wenn beide ihre Karriere verfolgen. Das heißt nicht, dass ihnen alles leicht fällt oder dass sie immer glücklich wären. Aber sie haben niedrigere Scheidungsraten und sind erfolgreicher." Wie genau man sich organisiere, dafür gebe es keine Patentlösung, sagt Petriglieri: "Für einige funktioniert das Wechselmodell – eine Karriere hat für eine begrenzte Zeit Vorrang vor der anderen. Andere schaffen es, dass beide sich voll verpflichten, sowohl privat wie beruflich. Das funktioniert am besten, wenn den beruflichen Verpflichtungen Grenzen gesetzt sind."
Noch wird der "Power" der Power-Paare zu wenig Beachtung geschenkt, meint Wittenberg-Cox. "Dabei sind sie 'Paare hoch zwei': Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Partner verstärken sich gegenseitig. Sie haben ein doppeltes Netzwerk." Die verstorbene amerikanische Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg habe immer betont, dass sie ihre Berufung an den Obersten Gerichtshof auch dem Einsatz ihres Ehemannes Marty verdankte. "Jede Frau verdient ihren eigenen Marty", sagt Wittenberg-Cox. Die Ehe hat in unseren Zeiten eine neue Gestalt angenommen, schreibt Eli Finkel, Professor für Psychologie an der Northwestern University, in seinem 2017 erschienenen Bestseller The All-or-Nothing Marriage. Bis zum 19. Jahrhundert hatte sie eine fast institutionelle Form: Sie versorgte die Ehepartner mit Nahrung, Unterkunft und Schutz vor Gewalt.
In modernen Zeiten begann sie sich um Liebe, Gemeinschaft und sexuelle Erfüllung zu drehen. Doch nun, schreibt Finkel, "ist eine neue Art der Ehe entstanden, eine, die wie nie zuvor Selbstfindung, Selbstwertgefühl und persönliches Wachstum fördern kann". Diese Betrachtung der modernen Ehe steht in krassem Gegensatz zu Ratschlägen, die sich auf Einzelkarrieren fokussieren. Hinzu kommt die Realität der Arbeitswelt, die an Bedürfnisse des Familienlebens angepasst werden muss, zu der Partner, Kinder und pflegebedürftige Eltern gehören können. Wie schafft man die Quadratur des Kreises?
Wittenberg-Cox hat auch dafür eine neue Sichtweise entwickelt. "Wir alle werden arbeiten, bis wir mindestens 75 sind. Die Vorstellung, dass man es in seinen Dreißigern geschafft haben muss, nach oben zu gelangen, ist nicht mehr zeitgemäß. Das funktioniert weder für Frauen noch für viele moderne Männer, die ihr Leben und ihren Berufsweg nicht als linear betrachten. Viele Frauen starten ihre Karriere ab dem 45. Lebensjahr, vorausgesetzt, die Strukturen von Unternehmen lassen es zu. Alter ist irrelevant. Was zählt, sind Fähigkeiten, Wissen und Einsatzbereitschaft."
Gleiches gelte auch für die Entwicklung von Partnerschaften, betont sie: "So wie sich berufliche Lebensläufe von 30-Jahre-Sprints in 50-Jahre-Marathonläufe verwandeln, sollten wir auch die Entwicklung von Paaren in viel längeren Zeiträumen betrachten. Noch immer lassen wir zu, dass zu viele Entscheidungen, die wir in unseren Dreißigern getroffen haben, unser berufliches Schicksal auf Jahrzehnte besiegeln. Es ist doch viel beruhigender zu wissen, dass man den Staffelstab hin- und herreichen kann – und trotzdem das Rennen stilvoll beenden kann."
Wittenberg-Cox und Petriglieri sind sich einig: Der Druck, der auf Paaren liegt, kommt von Gesellschaft und Unternehmen. In Asien und im Nahen Osten würden Familien um ganze Generationen herum aufgebaut, so Petriglieri. Die Großeltern kümmern sich vor allem um die Enkelkinder; Unterstützung im Haushalt, die arbeitende Frauen und Männer entlastet, ist die Norm. "Die Power-Paare, von denen wir sprechen, funktionieren am besten, wenn sie etwa gleich viel verdienen, etwa gleich viel arbeiten und gleich viel Hausarbeit erledigen."
Laut Petriglieri gibt es zwei große Herausforderungen, die dem reibungslosen Funktionieren von Doppelkarrieren im Unternehmen im Wege stehen: Präsenzpflicht und Reisen. "Nur wer tatsächlich am Arbeitsplatz anwesend ist, gilt als guter Performer", sagt Petriglieri. "Hinzu kommt die Bereitschaft und die Flexibilität zu reisen. Aber in der Coronavirus-Pandemie sind diese beiden jahrzehntelangen und tief verwurzelten Aspekte der Unternehmenskultur fast von heute auf morgen verschwunden. "Plötzlich arbeiteten alle von zu Hause aus, und es funktionierte."
Was können Paare tun, um diese historische Gelegenheit zu ergreifen? "Sie brauchen Zeit", sagt Petriglieri: "Zeit, um zu verhandeln, wie ihre beiden Berufswege zusammenpassen oder wessen Karriere zu einem bestimmten Zeitpunkt Vorrang hat." Dazu gehöre auch anzuerkennen, dass es Zeiten des Übergangs gibt und dass der "Power hoch zwei"-Ansatz Paaren hilft, solche Übergänge besser zu bewältigen. "Es muss nicht jede Woche oder jeden Monat sein – aber Paare müssen sich konsequent Zeit nehmen, um zu diskutieren, zu planen und um Strategien zu entwickeln.
Zeit ist essenziell. Egal, ob es um Lebensalter geht, um Berufsjahre oder die Stunden, die man am Arbeitsplatz verbringt. Das führt zu der Frage: Wie bewertet man Zeit? Rodsky hat dazu eine klare Meinung: "Unsere Gesellschaft schätzt die Zeit der Männer ein wie Diamanten und die der Frauen wie Sand – als sei sie so gut wie unendlich." Das erklärt für sie auch, warum Frauen in der Vergangenheit mit ihrer Arbeitsbelastung zu kämpfen hatten. "Wenn das Kind krank ist, ruft die Schule zuerst die Mutter an. Das ist der Grund, warum wir Frauen selbst denken, dass wir alles in unsere Pläne hineinquetschen können. Denn Zeit ist Geld, und wir verdienen ja weniger als unsere Ehemänner."
Petriglieri empfiehlt darum, einen Vertrag aufzusetzen, in dem die Karriere- und Lebensziele festgelegt sind. Juristische und finanzielle Aspekte sind dabei zweitrangig. Stattdessen sollte die Vereinbarung grundlegende Aspekte des Ehelebens, Werte, Ängste und Grenzen festschreiben. So können Partner beispielsweise regeln, dass sie nur Jobangebote in überschaubarer Entfernung vom Wohnort der Familie annehmen. Petriglieri und ihr Ehemann Gianpiero taten genau das: Bei ihrem dritten Date, während einer Reise durch Sizilien, schrieben sie die Grundlagen für ihr gemeinsames Leben auf einen kaffeebefleckten Zettel.