Lesen Sie mehr über Lamarres Tipps, wie man eine gute Show inszeniert.
Think:Act Magazin "Der Zirkus der Transformation"
Der ultimative Jonglage-Akt
Think:Act Magazine
Das Führen eines Unternehmens hat erstaunlich viele Ähnlichkeiten mit der Leitung eines Zirkus
von Michal Lev-Ram
Illustrationen von Jazzy Yuan
Die Neuausrichtung von Unternehmen ist ein heikler Balanceakt. Er erfordert visionäre Führungspersönlichkeiten im Dienst von engagierten Teams, damit innovative Produkte entstehen. Das Neuerfinden hört niemals auf, weitsichtige Führungskräfte sollten sich stets auf die nächste kühne Entscheidung vorbereiten.
Akt I – Bereite die Bühne
Eine Gruppe von Investoren um die Private-Equity-Firma TPG kaufte im Jahr 2015 den Cirque du Soleil. Das löst eine Menge Unruhe aus, vor allem in den Reihen der berühmten kanadischen Entertainment-Gruppe. Konnte das gut gehen? Der Cirque du Soleil, weltbekannt für seine fantasievolle Kultur, in den Fängen von Märkten und Managern, die mehr an Rendite als an Kreativität interessiert sind? Und was wollen Finanzinvestoren überhaupt mit einem Zirkus anfangen?
Die Wurzeln des Cirque du Soleil reichen zurück bis in die 1970er-Jahre. Die als "Stelzenläufer" bekannten Straßenkünstler Guy Laliberté und Gilles Ste-Croix begannen durch Québec zu touren. 1984 gründeten sie den Cirque du Soleil, stellten weitere Artisten ein und wählten einen theater- und charakterorientierten Ansatz anstelle von Tigern, Bären und der üblichen Zirkus-Show.
Der Cirque du Soleil begann klein, entwickelte sich aber bald zu einer internationalen Marke, die für ihre farbenfrohen Kostüme, aufwendigen Bühnenbilder und überdurchschnittlich talentierten Darsteller bekannt wurde, vom Schlangenmenschen bis zu Synchronschwimmern. Zugleich erarbeitete sich das Unternehmen den Ruf, sich mit einer zunehmenden Zahl von Aufführungen immer wieder neu zu erfinden. Jede Show ging dabei an die Grenzen dessen, was Geist und Körper zu leisten imstande sind.
Nach der Übernahme durch TPG musste sich der Cirque du Soleil auf eine weitere, sehr viel unangenehmere Weise verändern. Der Mitgründer Laliberté, lange Zeit kreativer Leiter, trat zurück. Der andere Gründer Ste-Croix hatte bereits Jahre zuvor seine operative Rolle im Unternehmen aufgegeben. An seine Stelle traten eine Handvoll neuer Führungskräfte, die besser mit Excel als mit Stelzen umgehen konnten. "Künstler sind äußerst sensible Menschen, die die Welt anders sehen", sagt Daniel Lamarre, von 2001 bis 2021 CEO des Cirque du Soleil. "Man muss dafür sorgen, dass sie mit so wenigen administrativen Dingen wie möglich belastet werden, damit sie sich voll und ganz auf ihre künstlerischen Inhalte konzentrieren können."
Doch mit den neuen Eigentümern konnten sich die Kreativen nicht mehr in Ruhe auf ihre Kunst konzentrieren. Der Druck wuchs. Mehr Effizienz war gefragt, die Manager wollten die etablierte Marke auf neue Bereiche und Partnerschaften ausdehnen, von denen die Künstler nicht allzu viel hielten. Kurzum: Die Kreativ-Truppe wurde abrupt von einem Wandel erfasst, der die künstlerische Leistung zu belasten drohte.
Der heikle Balanceakt veranschaulicht, wie schwierig organisatorische Veränderungen sein können. Dadurch wird der Cirque du Soleil zu einer guten Fallstudie für Unternehmen, die im Wandel stecken: Es gilt abzuwägen zwischen Alt und Neu, zwischen kreativ und analytisch. Ein weiterer Grund macht den Cirque du Soleil zu einer passenden Metapher für den Wandel – schlicht deshalb, weil er ein Zirkus ist.
Im Kern ist das Produkt des Cirque du Soleil eine Show, die nicht nur ein kontinuierliches Neuerfinden erfordert, sondern auch einen guten Zirkusdirektor und ein Team von Artisten benötigt, die das Publikum immer wieder aufs Neue begeistern. Hinter den Kulissen wird aufreibend geübt, es werden Nummern vorbereitet, die permanente Abstimmungen zwischen allen Beteiligten erfordern. Stellen Sie sich nur vor, was passieren kann, wenn Trapezkünstler nicht synchron arbeiten. Das ganze Ensemble muss Anpassungsfähigkeit, Beweglichkeit und häufig auch jede Menge Improvisationstalent an den Tag legen. Erfolg in diesem Umfeld verlangt, sich stets auf den nächsten Akt vorzubereiten, immer wieder neue Höchstleistungen abzurufen und sich nie mit dem jeweiligen Status quo zufriedenzugeben. Und zugleich darf das Publikum nichts davon mitbekommen.
Transformation funktioniert nicht immer. Zumindest nicht so, wie wir uns das vorstellen. Manchmal scheitert die Umsetzung, ein anderes Mal geht es um Fragen des richtigen Zeitpunkts. Anfang 2020, als sich die Covid-Pandemie ausbreitete, geriet der Cirque du Soleil schnell ins Schlingern. Das Unternehmen musste auf einen Schlag alle Shows absagen. 95 % der Mitarbeiter wurden entlassen und schließlich ein Insolvenzantrag gestellt. Doch aus der Nahtoderfahrung entwickelte sich ein neuer, ein schlanker Zirkus. Gläubiger übernahmen das Unternehmen samt seinen Schulden und investierten zusätzlich 375 Millionen US-Dollar. Das große Zelt öffnete, der Investor TPG stieg aus, und man baute die Shows und die angeschlagene Reputation Schritt für Schritt wieder auf.
Das Beispiel hält lehrreiche Einsichten bereit. Der Zirkus zeigt uns, wie sich Organisationen richtig – oder falsch – dem Wandel stellen. Dafür benötigt man nicht nur eine Stellschraube, sondern derer viele: Es geht um effektive Führung, gute Kommunikation, Flexibilität, Agilität und das richtige Timing. Außerdem müssen sich die Kreativen im Zirkus genauso wie in Unternehmen voll und ganz auf ihr Handwerk konzentrieren können. All diese Elemente sind wichtig.
Auch bei der Führung eines Unternehmens in der schnelllebigen Welt von heute sind sie von größter Bedeutung. Wenn der Vorhang fällt oder das Produkt auf den Markt kommt, verlangt das Publikum perfekte Leistung. Bekommt es sie nicht, wird es sich eine andere Show ansehen.
Act II – The circus leader
Jonglierkünste können auch in der Wirtschaft nicht schaden. Abrupte Veränderungen, gefährliche Drahtseilakte und komplexe Abstimmungsprozesse sind Führungspersönlichkeiten nicht fremd. Hier ein Beispiel: Im Juli 2023 beschloss der Vorstand der Walt Disney Company, den Ende 2022 geschlossenen Vertrag mit Bob Iger bis Ende 2026 zu verlängern. Die Vertragsverlängerung für den "Bumerang-CEO" bedeutete, dass Iger, der zuvor bereits 15 Jahre an der Spitze des Unterhaltungsriesen gestanden hatte, Disney ein weiteres Mal durch eine weitreichende Transformation führen soll.
Das Unternehmen hatte mit Verlusten seines Streamingdienstes zu kämpfen, mit sinkenden Werbeeinnahmen und mit einer ganzen Reihe glanzloser Filmstarts. Zusätzlich war Disney in einen Kulturkampf mit Floridas Gouverneur Ron DeSantis um ein LGBTQ-Gesetz verwickelt. Kurzum: Disney brauchte einen echten Helden, der das Geschäft wieder vom Kopf auf die Füße stellt.
Die Rückkehr von Bob Iger an die Disney-Spitze war zwar allgemein begrüßt worden, aber auch nicht unumstritten. Manche kritisierten, er habe nicht rechtzeitig einen kompetenten Nachfolger aufgebaut. Und noch ist es zu früh, um sagen zu können, ob er das Schiff wieder auf Kurs bringen wird. Aber er hat es schon einmal geschafft. In seiner ersten Amtszeit an der Spitze des Mischkonzerns hat Iger den Filmstudios mit visionären Akquisitionen von Pixar, Marvel und Lucasfilm neues Leben eingehaucht. Er setzte auf Technologie und eine Partnerschaft mit Apple. Disney-Filme wurden bei iTunes verfügbar, lange bevor andere Sender und Studios dort Inhalte platzierten. Hilfreich war, dass Steve Jobs im Disney-Board saß und Iger im Führungsgremium von Apple.
Auch Igers Führungsstil spielte eine wichtige Rolle. Kommunikation war der Schlüssel. Während der ersten Amtszeit Igers war Kommunikationschefin Zenia Mucha eine der Top-Führungskräfte, um Disneys (und Igers) Ruf zu schützen. Es ging nicht nur darum, was der Chef tat, sondern auch darum, wie er es erklärte. Mit Muchas Unterstützung wählte Iger seine Worte mit Bedacht: ob er "Krieg der Sterne" anpries oder eine Familie tröstete, die ihr Kind bei einem Unfall mit einem Alligator im Disney World Resort verloren hatte.
Fehler machte Iger selten. Und er perfektionierte so den Spagat, an dem die meisten Vorstandschefs scheitern: Er strahlte eine mutige Entschlossenheit aus, die er mit Empathie und einer Aura der Stärke umgab. Die New York Times nannte Iger einmal den "nettesten CEO Hollywoods". Er führte Disney in die Moderne, ohne dabei die Vergangenheit zu vergessen.
Aus all diesen Gründen wurde Bob Igers Rückkehr an die Spitze des inzwischen 100 Jahre alten Unterhaltungskonzerns mit großer Begeisterung aufgenommen, die danach folgende Vertragsverlängerung sogar mit noch mehr Applaus. In einem Unternehmensbericht der US-Investmentbank TD Cowen bezeichnete der Analyst Doug Creutz Iger als "unverzichtbaren Mann", auch wenn es um die strukturellen Herausforderungen des Unternehmens ginge, die "nicht leicht zu lösen" seien.
Wie geht es weiter? Der neue alte Chef hat bereits aufgeräumt. Er entließ 7.000 Mitarbeiter, kündigte massive Kostensenkungen in Höhe von 5,5 Milliarden US-Dollar an und strukturierte das Unternehmen zugunsten der Kreativteams um.
Die Kreativdirektoren sind nun für den finanziellen Erfolg ihrer Inhalte verantwortlich, und sie haben ein Mitspracherecht bei Produktion, Vertrieb und Vermarktung der Inhalte. Iger soll gesagt haben, dass Disney während der kurzen Amtszeit seines Vorgängers seine Seele verloren habe. Bob Iger will sie zurückgewinnen. Bis Ende 2026 hat er noch Zeit, Disney in die Zukunft zu führen.
Act III – Schickt die Clowns rein
Den Wandel von Unternehmen untersuchen Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten. In seinem bahnbrechenden Buch The Innovator's Dilemma von 1997 riet der Forscher Clayton Christensen von der Harvard Business School großen Unternehmen, sich kleine, agile Teams zusammenzustellen, die sich disruptive Technologien zu eigen machen sollten. Kurz darauf begann das "Design Thinking", ein iterativer Produktentwicklungsprozess, bei dem bisherige Annahmen über die Wünsche und Bedürfnisse von Verbrauchern infrage gestellt wurden. Konzerne aus der Konsumgüterindustrie bis hin zum Gesundheitswesen experimentierten mit der neuen Methode.
David Kelley war als einer der wichtigsten Wegbereiter des Design Thinking an der Entwicklung der ersten Apple-Maus beteiligt. Renommierte Unternehmen beauftragten seine Firma IDEO, ihre Produkte und Prozesse zu überdenken. Kelley, auch Mitgründer des Hasso Plattner Institute for Design an der Stanford University, erklärte seinen Studenten, dass ein "aufgeklärtes Ausprobieren" viel erfolgreicher sei als die "Strategien fehleranfälliger Hirne".
Dieses fortgeschrittene Ausprobieren setzt allerdings voraus, dass man Mitarbeiter einstellt, die mit Misserfolgen umgehen können. In den meisten Großunternehmen wird darauf jedoch wenig Wert gelegt. Ebenso sollten Mitarbeiter gesucht werden, die stets den Status quo infrage stellen. "Ideen sind das Lebenselixier eines wachstumsstarken Unternehmens", sagt Atif Rafiq, der erste Chief Digital Officer (CDO) in der Geschichte der 500 umsatzstärksten US-Unternehmen, die vom Magazin Fortune erfasst werden ("Fortune 500").
Rafiq machte Karriere bei den frühen Digitalgiganten Amazon, Yahoo! und AOL. Seine erste Stelle außerhalb des Technologiesektors führte ihn zu McDonald's, wo er als CDO die Aufgabe hatte, den Umgang des Konzerns mit Kunden und Mitarbeitern mithilfe eines innovativen Einsatzes neuer Technologien zu analysieren. "McDonald's ist ein Unternehmen, das schon sehr lange erfolgreich am Markt war", sagt Rafiq. "Neuen Ideen gegenüber war man nicht sehr offen. Man war besorgt, dass sie nicht funktionieren und bewährte Prozesse beeinträchtigen." Tatsächlich waren das Management und die Mitarbeiter von McDonald's lange Zeit sehr stolz auf ihre fast fehlerfreie, nahezu makellose Arbeitsweise.
Um das Unternehmen mit Veränderungen vertraut zu machen, stellte Rafiq Hunderte neue Mitarbeiter ein. Viele von ihnen kamen aus der Technologiebranche. Neues Blut in den Unternehmen sollte jedoch nicht die alten Arterien verstopfen. Auch andere Arbeitgeber Rafiqs, darunter Volvo und MGM, wollten zwar, dass er sie ins digitale Zeitalter führt, jedoch nicht ohne angemessene Demut vor der Vergangenheit. "Ich musste das, was mein Team tat, mit vertrauten Begriffen darstellen", erläutert er. "Statt über Digitalisierung sprach ich zum Beispiel von mehr Annehmlichkeiten durch die neuen Technologien."
Als Rafiq seine Karriere bei McDonald's begann, konnten Kunden ihre Burger auf drei verschiedene Weisen bestellen: Entweder sie fuhren durch den Drive-in, sie setzten sich zum Essen ins Lokal, oder sie kauften ihr Fast Food zum Mitnehmen. Rafiq wollte zusätzliche Servicemodelle einführen. Das gelang ihm jedoch nicht, indem er neue Technologien anpries, sondern indem er die damit verbundenen Vorzüge für die Kunden herausstellte. Eine Bestellung per App auf dem Smartphone war praktisch und zeitsparend – und eben nicht nur eine innovative Spielerei. "Es geht darum, ein Verlangen nach dem Mehrwert neuer Ideen zu wecken", erklärt Rafiq.
Im Laufe der Jahre hat der Technologievorstand Tausende neue Mitarbeiter eingestellt. Rafiq betont jedoch, dass die Mitarbeiter, die schon länger im Unternehmen arbeiteten, genauso wichtig für eine erfolgreiche Transformation waren. "Man muss neue Technologien und Innovationen mit dem Erbe dieser Unternehmen verbinden – und das ist sehr schwierig", sagt der Manager.
Derartige Transformationen können sich also als herausfordernd erweisen, insbesondere für Unternehmen mit älteren Geschäftsmodellen. Aber sie werden immer wichtiger. Technologien wie generative KI entwickeln sich schneller denn je, und Unternehmen aus allen Branchen bemühen sich, diese effektiv einzusetzen. KI ist schon längst kein nettes Extra mehr. Sie ist ein Muss. Und gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit muss diese Arbeit gut durchdacht und strategisch angegangen werden. Zielloses Experimentieren funktioniert heute selbst bei Technologiegiganten wie Google nicht mehr so uneingeschränkt wie früher.
Der Weg zu mehr Innovationsfähigkeit verlangt zwar Mut und Risikobereitschaft. Aber nicht um jeden Preis. "Wir sind in einer Situation, in der jedes Unternehmen vor zwei Herausforderungen steht: Zum einen dreht sich beim Shareholder-Value alles um das Neue. Zum anderen sehen wir uns mit Sparmaßnahmen konfrontiert", erklärt Rafiq. "Die Innovationsarbeit der Unternehmen muss deshalb heute zielgerichtet sein." Das gilt nicht allein für Unternehmen wie McDonald's. Auch junge Technologiefirmen müssen ihre Innovationen heute sorgfältig planen – und dabei schneller sein als je zuvor.
Wie Airbnb Antworten auf plötzliche und massive Veränderungen seines schwankungsanfälligen Geschäftsmodells fand.
Als die Pandemie kam, stand Airbnb am Rande einer Katastrophe. Innerhalb von nur acht Wochen brach das Geschäft um 80 % ein, weil Kunden rund um die Welt ihre Reisen stornierten. Unter der Leitung von CEO Brian Chesky schwenkte Airbnb dann aber schnell um.
Mehr als die Hälfte aller Buchungen kamen plötzlich aus der näheren Umgebung des Wohnorts der Kunden. Deshalb passte Airbnb seine Empfehlungen an, um den Algorithmus mit mehr lokalen Angeboten zu füttern. Zusätzlich wurden Aspekte wie gutes WLAN betont, weil viele Kunden plötzlich in den Apartments arbeiten wollten.
Airbnb musste nicht viel in neue Technologien investieren, um sein Geschäft anzupassen, obwohl Daten und KI gewiss eine Rolle bei der Anpassung der Suchergebnisse spielten. CEO und Mitarbeiter mussten vor allem die richtigen Fragen stellen, auf die Antworten der Kunden hören und dann schnell reagieren.
Act IV – Begeistere das Publikum
Künstler in einem Zirkus merken sofort, ob ihre Show gut ankommt. In zunehmendem Maße kommen auch Kundenreaktionen in Echtzeit auf Unternehmen zu. Solche Kunden zufriedenzustellen, ist schwieriger denn je. Sie fordern nicht nur gute Produkte und Dienstleistungen, sondern zudem solche mit einem höheren Anspruch. Sie wollen Produkte, denen sie vertrauen, an die sie glauben können. Aber wie können Hersteller Marken anbieten, die Kunden ein gutes Gefühl vermitteln?
Die Antwort beginnt mit Klarheit und Authentizität. Und sie beginnt mit einer Führungskraft, die herausfinden will, welche Werte sich ein Unternehmen auf die Fahnen schreibt und welche nicht. Transparenz gehört auch dazu, sowohl gegenüber Kunden als auch Mitarbeitern. Unternehmen müssen außerdem mit ihren Fehlern aus der Vergangenheit ins Reine kommen. Gerade in einer Phase der Transformation ist es wichtig, dass Firmen sich transparent zeigen, um ihre Stakeholder mit einer klaren Haltung zu überzeugen.
Sehen wir uns das Beispiel General Motors an. Seit dem Jahr 2014 leitet Mary Barra den Konzern. Barra ist die erste weibliche Vorstandsvorsitzende eines großen US-Automobilherstellers. Sie hat Karriere bei General Motors gemacht und wurde in einer für das Unternehmen schwierigen Zeit an die Spitze berufen.
Ein fehlerhaftes Zündschloss stand in Verbindung mit über 100 Todesfällen und vielen Verletzten. Die Vorstandsvorsitzende musste nicht nur mehrere Millionen Fahrzeuge zurückrufen lassen und im Rahmen einer Vergleichsvereinbarung eine Strafe von 900 Millionen US-Dollar akzeptieren. Sie musste darüber hinaus Kunden und Mitarbeitern gegenüber ganz offen sein und sich mit einer Unternehmenskultur auseinandersetzen, bei der solche Fehler unter den Teppich gekehrt wurden. "Ich will das nie hinter uns lassen", sagte Barra zu ihren Mitarbeitern. "Ich möchte, dass diese schmerzhafte Erfahrung dauerhaft in unserem kollektiven Gedächtnis erhalten bleibt."
Barra entschuldigte sich mehrere Male öffentlich. Sie richtete einen Entschädigungsfonds für die Familien der Opfer ein und entließ schließlich diejenigen Führungskräfte, die für die Tragödie verantwortlich waren und sie vertuschen wollten. Bei all dem setzte sie auf "Offenheit, Zusammenarbeit, Transparenz und Mitgefühl", wie sie sagt. Verantwortung wurde bei GM fortan großgeschrieben. Mary Barra beantwortete bei jeder Gelegenheit offen alle Fragen zu der Tragödie; sei es vor dem Kongress, gegenüber der Presse, vor ihren Mitarbeitern, gegenüber Kunden oder Investoren.
General Motors ging mit einer neuen Unternehmenskultur aus der Krise hervor. Doch schon bald brach in der Automobilindustrie eine neue Ära an, die eine andere Art der Transformation erfordert. Barras Fähigkeiten werden erneut auf die Probe gestellt. Bislang hat sie nur dieses eine Mal bewiesen, dass sie Ziele setzen kann und ihren Worten Taten folgen lässt.
Vor zwei Jahren kündigte Barra an, dass General Motors ab 2035 ausschließlich Elektrofahrzeuge produzieren wird. Für einen Konzern, der seit 1908 Verbrenner-Autos baut, eine sehr mutige Entscheidung. Die Umstellung auf Elektrofahrzeuge sei nicht nur gut für die Umwelt, argumentiert Barra, sondern auch fürs Geschäft. Mehr als das: "Wir müssen auch andere anführen und beeinflussen. Wir müssen die Standards setzen, denen andere folgen. Wir nehmen alle mit auf die Reise in eine sichere und rein elektrische Zukunft. Wir haben die Welt schon einmal verändert – und wir werden es wieder tun."
Act V – Plane die nächste Show
Nicht alle Unternehmen sind in der Lage, sich grundlegend zu verändern. Für jedes General Motors gibt es wahrscheinlich ein Nokia oder ein Kodak – Konzerne, die einst unangefochten an der Spitze ihrer Märkte standen, dann aber ihre Topposition einbüßten.
Auch Zirkussen kann es so ergehen. 2017 stellte der Zirkus Ringling Bros. and Barnum & Bailey nach 146 Jahren seine Arbeit ein. Die Ticketverkäufe waren zurückgegangen, was unter anderem auf die Sorge der Kunden um die Zirkustiere zurückzuführen war. Aber "Die größte Show der Welt", wie die Macher ihre Darbietung selbstbewusst nennen, wird bald zurückkehren, jedoch ohne Tiere. Die etablierte Marke soll mit neuen Eigentümern wiederbelebt werden. Geradezu euphorisch liest sich die Pressemitteilung vom März 2023. Sie verspricht atemberaubende Kunststücke, musikalische Darbietungen, Luftakrobatik, moderne Comedy, Hochseilakte und vieles mehr: "Die neu konzipierte US-Ikone wird Familien durch ein plattformübergreifendes 360-Grad-Erlebnis fesseln, das die Fans in das Geschehen einbezieht und echte Verbindungen zwischen Zuschauern und Artisten aus aller Welt schafft", heißt es.
Die vollmundigen Versprechen erinnern an den Cirque du Soleil. Das Konzept ist sehr ähnlich. Aber nur weil ein Unternehmen damit erfolgreich ist, heißt das noch nicht, dass ein anderes das Konzept einfach kopieren kann. Auch hier kommt es auf Authentizität und das richtige Timing an, auf Kommunikation, Führung und Talent. Es müssen viele Faktoren zusammenkommen, um ein Unternehmen erfolgreich zu verändern.
Man darf den Ringling Brothers – oder Feld Entertainment, ihrem neuen Eigentümer – zugutehalten, dass sie den Aufbruch in eine neue Zukunft wagen. Vom Zirkusgeschäft kann man somit viel lernen: von seiner Kreativität, seiner Hartnäckigkeit und von seiner Fähigkeit zur Inszenierung im Angesicht des Scheiterns. Und auch von dem Drang, sich immer wieder neu zu erfinden. Wenn es etwas gibt, das man sich hier abschauen kann, dann dies: Die Show muss weitergehen.
Der Zirkus der Transformation
Think:Act befragt profilierte Experten zu Themen wie Unternehmenswandel, ethisches Wirtschaften, Resilienz und Innovationsstrategien.