Startups müssen ihre Beschaffungsstrategie von Anfang an berücksichtigen, um es an die Börse zu schaffen.
Detox oder strategischer Neustart? Procurement braucht beides!
Von Marcus Schüller und Gundula Pally
Wie der Einkauf vom Krisenmodus wieder in den Zukunftsmodus umschaltet
Die Bedeutung eines funktionierenden Beschaffungswesens zeigt sich seit Beginn der Coronakrise überdeutlich: Gestörte oder unterbrochene Lieferketten erzwingen Anpassungen in Produktion und Vertrieb, zeitweise sogar deren Stopp, und erfordern flexible und schnelle Reaktionen. In dieser höchst herausfordernden Situation konzentriert sich der Einkauf derzeit auf die Sicherung des Nachschubs, um die Wertschöpfungsketten möglichst ungestört zu halten. Auch wenn dies in vielen Unternehmen aktuell gut gelingt, liegt darin eine Gefahr: Denn der einseitige Blick auf den operativen Betrieb hat die genauso wichtigen und vor allem zukunftskritischen strategischen Aspekte des Einkaufs in den Hintergrund gedrängt. Um hier nicht ein böses Erwachen zu erleben, sollten Unternehmen jetzt den vor der Pandemie bereits eingeschlagenen Weg wieder aufnehmen und ihre Procurement-Strategie unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus der Krise weiterentwickeln. Gleichzeitig sollten sie ihrer Einkaufsstruktur ein Detox-Programm verordnen, um alte und nicht mehr zeitgemäße Prozesse und Methoden zu modernisieren und den Einkauf insgesamt effizienter zu gestalten. Wie in unserer Publikation " Procurement Endgame " beschrieben, befindet sich der Einkauf also weiter in einem intensiven Wandel.
Aus unserer Projektarbeit und aus Umfragen bei Einkaufsverantwortlichen wissen wir, dass die Coronakrise in den meisten Unternehmen zu einem weiter verstärkten Einsatz von Technologie im Einkauf geführt hat. Automatisierung und Digitalisierung, verbunden mit Standardisierung, machen operative Prozesse effizienter und erleichtern so den Umgang mit den Herausforderungen einer pandemiebedingt gestörten Lieferkette. Gleichzeitig hat die Krise aber auch schmerzhaft offengelegt, dass es eine Reihe bisher unbeachteter Ungewissheiten und Risiken für das Beschaffungswesen gibt, denen mit einem einseitigen Fokus auf Prozess- und Kosteneffizienz nicht zu begegnen ist. Dazu kommt, dass viele Einkaufsabteilungen zwar einzelne Prozesse technologisch optimiert haben – im Sinne von Leuchtturmprojekten, die sich unternehmensintern gut verkaufen lassen –, es aber versäumt haben, die neuen Technologien als integriertes Konzept auf das gesamte Beschaffungswesen auszurollen.
Beispiel Warengruppenstrategie: Dieser Prozess mit seinen zahlreichen Stakeholdern ist geradezu dafür prädestiniert, auf digitalen Plattformen, mit automatisierten Prozessen und unter Einbeziehung einer Vielzahl interner und externer Daten gesteuert zu werden – eine Entwicklung, die wir in „Procurement Endgame“ als „Plattformisierung“ bezeichnen. In einigen Unternehmen ist bereits entsprechende Technologie im Einsatz. Trotzdem sind vielfach noch traditionelle Kommunikationslösungen, beispielsweise Telefonate und E-Mails vorherrschend. Dadurch wird der Effizienzvorteil der digitalen Lösungen zum Teil zunichte gemacht, zudem steigt die Fehleranfälligkeit. Ähnliches gilt für das Thema Bedarfsbündelung: Hier gibt es immer noch ein enorm großes Kostensenkungspotenzial, doch in den seltensten Fällen wird dieses auch nur annähernd genutzt – weil die interne Organisation dem entgegensteht, oft verstärkt durch nachteiliges Konkurrenzdenken zwischen Abteilungen.
Einkäufer der Zukunft
Mit den strategischen, prozessualen und technischen Veränderungen in den Einkaufsabteilungen ändern sich auch die Anforderungen an die verantwortlichen Personen grundlegend. Reine analoge Prozesssicherheit wird künftig nicht mehr ausreichen. Vielmehr müssen Einkäuferinnen und Einkäufer der Zukunft flexibel mit Daten und Software umgehen können, um komplexe Zusammenhänge analytisch zu verarbeiten. Neben der Eignung für den Aufbau einer flexiblen und vernetzten digitalen Infrastruktur brauchen sie zudem die Fähigkeit, komplexe Prozesse mit internen sowie externen Stakeholdern zu steuern, um so die Beziehungspflege zwischen den Beteiligten zu übernehmen. Eine weitere Eigenschaft, ohne die Einkaufsverantwortliche in Zukunft nicht auskommen werden, ist Veränderungsbereitschaft. Denn es wird zunehmend ihre Aufgabe sein, am Markt innovative Angebote oder neue Lieferketten zu identifizieren und die Moderation und das Management von Wissen zu übernehmen (vgl. Abb.).
Nachhaltiger Einkauf wird immer wichtiger
Auch das Supply Chain Management gehört auf den Prüfstand. Neben Stichworten wie Stabilität der Lieferkette, Transparenz, Beziehungen zu und Kommunikation mit Zulieferern spielt hier das Thema nachhaltiger Einkauf zunehmend eine Rolle. Im Fokus von Green Procurement/ Sustainable Sourcing stehen dabei nicht nur die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen oder die Anforderungen von Kundinnen und Kunden , Investorinnen und Investoren sowie anderen Stakeholdern. Vielmehr entwickelt sich Nachhaltigkeit zunehmend insgesamt zum Wettbewerbsvorteil, wertet Produkte und Marken auf, steigert Umsatz und Gewinn von Unternehmen und nimmt so einen immer wichtigeren Platz auf der Agenda ein.
Der Einkauf übernimmt dabei eine entscheidende Rolle als Multiplikator, indem er nachhaltiges Handeln in der gesamten Lieferkette fördert und durchsetzt. Dafür reicht es nicht mehr, Verantwortung an Zulieferer weiterzugeben. Vielmehr gilt es, in alle wichtigen Beschaffungsprozesse Nachhaltigkeitskriterien zu integrieren und in Zusammenarbeit mit den Lieferanten konkrete, messbare Nachhaltigkeitsziele festzulegen. Wird ein solcher Ansatz ganzheitlich implementiert und sorgfältig umgesetzt, kann er das Management komplexer Lieferketten erheblich erleichtern sowie Risiken reduzieren und für mehr Transparenz sorgen.
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