Dialogreihe „Future of HR“ – Ein Gespräch mit Khadija Ben Hammada, CHRO von Merck

Dialogreihe „Future of HR“ – Ein Gespräch mit Khadija Ben Hammada, CHRO von Merck

26. September 2024

Unternehmerisches Denken, KI und der Wandel des Leadership-Konzepts: Einblicke in aktuelle HR-Trends

In dieser Folge der Dialogreihe äußert sich Merck-CHRO Khadija Ben Hammada dazu, warum unternehmerisches Denken für CHROs so wichtig ist, welchen Einfluss neue Technologien auf den HR-Bereich haben und wie sich ein zeitgemäßes Leadership-Konzept auszahlt.

Khadija Ben Hammada, CHRO bei Merck
Khadija Ben Hammada, CHRO bei Merck

Merck ist ein führendes deutsches Wissenschafts- und Technologieunternehmen mit Sitz in Darmstadt. Als einer der weltweit größten Pharmakonzerne unterhält es Niederlassungen in 65 Ländern und ist in drei zentralen Geschäftsbereichen aktiv: Healthcare, Life Sciences und Electronics.

Khadija Ben Hammada ist Chief Human Resources Officer (CHRO) von Merck und in dieser Funktion für rund 63.000 Beschäftigte weltweit verantwortlich. Sie ist seit 2010 für Merck tätig und verantwortete für das Unternehmen verschiedene HR-Funktionen in Europa, Asien-Pazifik und den Vereinigten Staaten.

Fabian Huhle: Frau Ben Hammada, Personalabteilungen kämpfen seit langem um ein besseres Standing und mehr Mitspracherechte bei der Gestaltung der Unternehmenszukunft. Wie sehen Sie als CHRO von Merck die Rolle der HR-Funktion und insbesondere die Aufgabe des CHRO?

Khadija Ben Hammada: CHROs und die HR-Funktion generell tragen eine doppelte Verantwortung: Sie müssen im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens handeln und zugleich die Anliegen der Belegschaft vertreten. Ein unternehmerischer Mindset ist unerlässlich für die HR-Arbeit. Zugleich müssen Personalverantwortliche in der Lage sein, sich Gehör zu verschaffen, wenn sie Unternehmenswerte wie Integrität oder die faire Behandlung der Mitarbeitenden gefährdet sehen. Beide Facetten sind wesentlich, um die Rolle der HR-Funktion zu stärken und in der Führungsetage mehr Mitspracherechte zu erhalten. Wann immer ich eine neue Initiative vorschlage – die Einführung eines KI-Tools oder eines Kompetenzmanagementsystems zum Beispiel – erstelle ich einen Business Case, der den Nutzen für das Unternehmen sowohl auf der Umsatz- als auch auf der Kostenseite aufzeigt, wie unsere Arbeit dazu beiträgt, unsere Belegschaft auf die Zukunft vorzubereiten, wie wir die Produktivität steigern und gleichzeitig Innovationen vorantreiben. Indem wir zeigen, dass auch der HR-Bereich unternehmerisch denkt, verdienen wir uns als HRler den Platz im Top Management.

Cyrus Asgarian: Gibt es konkrete Tools oder Strategien, die Sie dabei anwenden?

Khadija Ben Hammada: Auf jeden Fall. Wichtig ist, zunächst die Geschäftsstrategie zu verstehen, bevor man eine Personalstrategie formuliert. Die Verknüpfung dieser beiden Elemente ist essenziell, wenn es darum geht, die eigenen Vorschläge gegenüber dem Vorstand oder dem Topmanagement zu vertreten. Tools wie die strategische Personaleinsatzplanung helfen Unternehmen dabei, für verschiedene Geschäftsumgebungen unterschiedliche Mitarbeiterszenarien zu entwickeln. Bei Merck nutzen wir zudem ein KI-gestütztes Kompetenzmanagement, um vorhandene Kompetenzen sowie etwaige Lücken zu identifizieren. Außerdem muss jeder Geschäftspartner einen eigenen Personalplan aufweisen, der auf sein Unternehmenskonzept abgestimmt ist. Das eine funktioniert nicht ohne das andere.

Cyrus Asgarian: Wie wichtig ist es neben Tools und persönlichem Einsatz, dass Business Leader in HR-Funktionen wechseln? Wir sehen HR-Verantwortliche, die in den Business-Bereich wechseln, umgekehrt scheint das aber sehr viel seltener der Fall zu sein.

Khadija Ben Hammada: Sie sprechen da einen wichtigen Punkt an. Das Problem liegt darin, dass HR traditionell nicht als Teil der Geschäftsführung betrachtet wurde. Allerdings beobachte ich hier ein Umdenken: HR-Themen sind für Business Leader heute viel interessanter, da sie das Potenzial für ihren geschäftlichen Nutzen erkannt haben. In der Vergangenheit wechselten nur Führungskräfte in die HR-Funktion, die nicht zu den Top-Performern gehörten. Dahinter stand die irrige Auffassung, dass in HR jeder arbeiten kann. Dabei braucht es auch hier spezifische Kompetenzen, über die keinesfalls jeder verfügt. Dieser Tatsache müssen wir Rechnung tragen.

Cyrus Asgarian: Wie fördern Sie ein Umdenken in HR hin zu Business Case und Impact-Analyse?

Khadija Ben Hammada: Zu Beginn einer neuen Initiative wie z. B. einem Leadership-Programm stelle ich fünf zentrale Fragen in den Raum: Welches Problem wollen wir lösen? Welchen Nutzen streben wir an? Wer ist unsere Zielgruppe? Wie planen wir die Umsetzung? Wie lauten die potenziellen Risiken, und wie können wir diese mindern? Durch die sorgfältige Beantwortung dieser Fragen sorgen wir dafür, dass die HR-Funktion an den Geschäftszielen ausgerichtet ist.

Fabian Huhle: Wie haben Sie Ihre Organisation strukturiert, um dieses Ziel zu erreichen? Folgen Sie dem klassischen Drei-Säulen-Modell?

Khadija Ben Hammada: Wir verwenden ein abgewandeltes Geschäftspartner-Modell. Unsere Organisation definiert sich durch den erzielten Impact, nicht nur Prozesse. Anstelle von globalen Expertise-Zentren haben wir z. B. Global Solution Owners, da unser Fokus weniger auf Prozessen als vielmehr auf Lösungen liegt. Unsere Geschäftspartner arbeiten auf zwei Ebenen mit uns zusammen: strategisch auf der Sektorebene und operativ auf der Marktebene. So ist sichergestellt, dass die Organisationen in den einzelnen Märkten an den Unternehmensanforderungen orientiert sind.

Fabian Huhle: Lassen Sie mich noch einmal auf die Aufgabe von HR zurückkommen. Würden Sie mir zustimmen, dass CEO, CFO und CHRO die Transformation künftig gemeinsam vorantreiben werden?

Khadija Ben Hammada: Absolut. Als CHRO brauche ich das Vertrauen des CEO. Ich brauche aber auch das nötige Selbstvertrauen und die Möglichkeit, gegebenenfalls Dinge hinterfragen oder Rücksprache halten zu können. Gemeinsam mit dem CFO entsteht so eine starke Allianz, in der sich der CHRO auf die organisatorische und der CFO auf die finanzielle Stabilität des Unternehmens konzentriert. In enger Abstimmung mit dem CEO ergeben sich dann optimale Resultate.

Cyrus Asgarian: Welche Rolle spielt Technologie wie künstliche Intelligenz bei der Unterstützung der Unternehmenstransformation durch HR?

Khadija Ben Hammada: KI bietet eine Chance für mehr Effektivität und Effizienz. Sie kann dabei helfen, für weniger Geld einen erstklassigen Service bereitzustellen. Wir nutzen das KI-Potenzial für die Talentansprache und -gewinnung, haben dabei aber immer den ROI der Technologien im Blick. Dies entspricht dem kollaborativen Ansatz, den CEO, CFO und CHRO gemeinsam verfolgen, wenn es um die Nutzung neuer Technologien geht.

Cyrus Asgarian: Braucht es hierfür auch neue HR-Fähigkeiten?

Khadija Ben Hammada: Ja. Wir müssen verstehen, welche Folgen KI für unsere Arbeit hat, und diese Erkenntnis akzeptieren. Aktuell bauen wir eine HR Academy auf, um künstliche Intelligenz in die gesamte Employee Journey einzubetten, vom Onboarding bis zum Unternehmensaustritt. Um uns fit für das KI-Zeitalter zu machen, identifizieren und schließen wir außerdem Kompetenzlücken innerhalb der HR-Prozesse.

Fabian Huhle: In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren hat sich Merck von einem traditionellen deutschen Mittelständler zu einem modernen, globalen Wissenschafts- und Technologieunternehmen gewandelt. In dieser Zeit gab es Restrukturierungen, Portfolio-Überarbeitungen und mehrere große Akquisitionen und Divestments. Wie unterstützt HR die Unternehmensleitung bei diesen Herausforderungen, und wo liegen ihre Grenzen?

Khadija Ben Hammada: COVID-19, Kriege und Rezessionen haben Auswirkungen, die so niemand vorhersehen konnte. In dieser Situation reagieren Führungskräfte häufig gestresst. Sie greifen dann auf Befehls- und Kontrollmechanismen zurück, anstatt zu motivieren und zu inspirieren. HR muss sie unterstützen und befähigen, diese und ähnliche Herausforderungen zu meistern. Ein Beispiel: Bei unserer jährlichen Leadership-Konferenz geht es normalerweise um traditionelle Themen wie Geschäftsverlauf, Finanzen und Strategie, zu denen wir inspirierende Gastredner einladen. Diesen Ablauf wollte ich aufbrechen. Nach zwei Tagen intensiver Arbeit in Kleingruppen aus Vorstandsmitgliedern und Managern hatten wir nicht mehr fünf Vorstandsmitglieder und 150 Führungskräfte, sondern eine Einheit aus 155 Leadern. Die Veränderung war sofort spürbar. Unser Fokus lag jetzt deutlich stärker auf Nähe, Vertrauen und Zusammenhalt. Im weiteren Verlauf fanden sektorübergreifende Gruppen-Coachings statt, die nun auf weitere 10.000 Manager ausgedehnt werden sollen.

Fabian Huhle: Wie sichern Sie die Akzeptanz des Topmanagements für derlei Maßnahmen?

Khadija Ben Hammada: Um die Akzeptanz und Unterstützung des oberen Managements für eine Initiative wie diese zu gewinnen, müssen Sie Daten haben, die Ihre Empfehlungen untermauern. Für die von mir erwähnte Anstrengung habe ich Daten zu Engagement, Fluktuationsraten und Mitarbeiterbindung präsentiert, die den Handlungsbedarf belegten. Sie müssen auch zeigen, dass Sie einen konkreten Aktionsplan haben, um die bevorstehenden Herausforderungen zu bewältigen, und Sie müssen klar Verantwortung übernehmen und für die Themen einstehen. Der Vorstand oder das Executive Committee muss Ihnen in Ihrer Rolle und Ihren Empfehlungen vertrauen, und dieser Ansatz wird Ihnen helfen, dieses Vertrauen zu gewinnen.

Fabian Huhle: Wie oft führen Sie Umfragen zum Mitarbeiterengagement durch?

Khadija Ben Hammada: Wir führen jedes Jahr umfangreiche Befragungen zu Themen wie Wohlbefinden am Arbeitsplatz, psychische Gesundheit, berufliche Entwicklung und Diversität durch. Ergänzend dazu gibt es kürzere und häufigere Checks, bei denen wir konkrete Sachverhalte auch fokussiert auf einzelne Zielgruppen abfragen.

Cyrus Asgarian: Mit Blick auf die Zukunft: Welche zentralen Trends sehen Sie im HR-Bereich in den kommenden fünf Jahren?

Khadija Ben Hammada: KI wird auf jeden Fall massiven Einfluss haben. Dabei meine ich nicht den Verlust von Arbeitsplätzen durch KI. Wir müssen vielmehr herausfinden, wie sich künstliche Intelligenz als Partner integrieren lässt, um die HR-Prozesse effizienter und effektiver zu machen. Auch das Leadership-Konzept wird sich weiterentwickeln, Empathie in den Mittelpunkt rücken und von Befehl und Kontrolle zu Motivation und Inspiration übergehen.

Fabian Huhle: Wo sehen Sie die größten Hürden für diese Entwicklung?

Khadija Ben Hammada: Eine Hürde besteht in der zu starken Fokussierung auf Kosten anstatt auf den Menschen. Personalbezogene KPIs sollten ebenso wichtig sein wie Finanzkennziffern. Parallel dazu braucht es Investitionen in Technologie und Bildung. Wer seine Beschäftigten wirklich qualifizieren möchte, muss Geld in die Hand nehmen. Mit Blick auf die Unternehmenskultur lässt sich Glaubwürdigkeit nur dann erreichen, wenn den Worten Taten folgen.

Cyrus Asgarian: Wie sieht es mit neuen Arbeitsweisen im HR-Bereich aus, z. B. agile, funktionsübergreifende Ansätze?

Khadija Ben Hammada: Mit den richtigen Kompetenzen kann jedes Betriebsmodell funktionieren. Agilität ist wichtig, aber Sie brauchen die richtige Kultur und Belegschaft dafür.

Fabian Huhle: Wie binden Sie Unternehmenslenker in die Entwicklung neuer HR-Produkte ein?

Khadija Ben Hammada: Bei größeren HR-Lösungen wie unserem neuen PMP-Prozess arbeiten wir mit einem kombinierten Marathon- und Sprint-Ansatz, der erfahrene Führungskräfte und Millennials einbezieht. Das ist faszinierend, da die jüngere Generation tendenziell mutiger und strategischer denkt. Der Input dieser vielfältigen Gruppen führt zu besseren Produkten und unterstützt das Change Management.

Cyrus Asgarian: Eine letzte Frage noch: Welche Qualitäten werden HR-Leader Ihrer Ansicht nach künftig benötigen?

Khadija Ben Hammada: Je nach CEO-Persönlichkeit und Unternehmensagenda brauchen wir vermutlich ganz unterschiedliche CHRO-Typen. Als CEO würde ich nach einem CHRO suchen, der weiß, wie ein Unternehmen unter Finanz-, Strategie-, Investoren- und Stakeholder-Gesichtspunkten funktioniert. CHROs müssen außerdem den Mut haben, Integrität und Werte aktiv zu vertreten und dem Unternehmen wie seinen Mitarbeitenden oberste Priorität einzuräumen. Empathie und ein serviceorientierter Mindset sind entscheidend für diese Rolle. Schließlich geht es nicht um mich persönlich, sondern um die Menschen und das Unternehmen.

Cyrus Asgarian & Fabian Huhle: Khadija Ben Hammada, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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