Über den Zusammenhang von Religion und Geschäft

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Über den Zusammenhang von Religion und Geschäft

19. Juli 2018

Unterschiedliche religiöse Ansichten auf der ganzen Welt können zu einem Wettbewerbsvorteil für Unternehmen führen

Artikel

von Detlef Gürtler
Illustrationen von Olaf Hajek

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"Das Zielprinzip - Missionen geben Unternehmen Kraft"."

Beten zum Himmel allein bringt ein Unternehmen nicht voran. Aber der Glaube an den Sinn und die Werte, für die Religionen stehen, kann ein enormer Wettbewerbsvorteil sein – und der Motor für wirtschaftlichen Erfolg.

Der Gedanke war fast ketzerisch, aber als Japans Wirtschaftskraft Ende der 80er-Jahre, die der übrigen Welt überstrahlte, fragte sich manch einer im (christlichen) Westen: Ist es vorstellbar, dass die Ursache dafür in Japans Religion lag, dem Shintoismus? Kein europäischer oder amerikanischer Manager erwog jemals ernsthaft, einen Altar zu errichten oder seine Mitarbeiter zum Frühgebet einzubestellen. Dennoch warf es eine grundsätzliche Frage auf: Spielt Religion eine Rolle für wirtschaftliche Entwicklung?

1904 stellte der deutsche Soziologe Max Weber die These auf, dass protestantische Arbeitsmoral ein entscheidender Faktor für die Geburt des Kapitalismus in Nordeuropa gewesen sei. Insbesondere die calvinistische Linie des Protestantismus glaubt, dass persönlicher wirtschaftlicher Erfolg von Gott mit Segen bedacht wird. Arbeiten ist wie Beten, Investieren wie Lobpreisen. Das ist genau die Einstellung, die ein Kapitalist braucht. Webers Thesen wurden oft zitiert und heftig diskutiert. Und tatsächlich scheint ein Zusammenhang zu bestehen.

Fleißige Protestanten waren die ersten erfolgreichen Kapitalisten

England, das Land, in dem der Kapitalismus als Erstes Fuß fasste, ist mehrheitlich protestantisch. In vielen Ländern wie der Schweiz und Frankreich bildeten Protestanten die geschäftstüchtigste Bevölkerungsgruppe. Und Protestanten lösten den wirtschaftlichen Aufstieg der USA aus. Zusammenhang aber bedeutet nicht Ursächlichkeit. Mehr als 100 Jahre nach Weber fand ein anderer Deutscher überzeugende Indizien dafür, dass etwas anderes dem protestantischen Wirtschaftswunder zugrunde lag: Bildung. Protestanten glaubten, jeder Christ solle die Bibel lesen können, sagt Ludger Wößmann, Volkswirt und Professor für Bildungsökonomie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

"Arbeiten ist wie Beten, Investieren wie Lobpreisen – das ist genau die Einstellung, die ein Kapitalist braucht."

Detlef Gürtler

Gründer
Sinnovation Ventures

Dieser Glaube sorgte dafür, dass die Analphabetenrate in protestantischen Regionen zurückging, und löste einen Bildungsboom aus. Martin Luther sprach sich gar dafür aus, Mädchen zu unterrichten – im 16. Jahrhundert eine unerhört progressive Idee. Der Drang zu Bildung wurde zu einem Wettbewerbsvorteil, wie Wößmann anhand preußischer Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert belegen konnte: Nicht nur das Bildungslevel war in protestantischen Regionen wesentlich höher als in katholischen – die Protestanten verdienten auch mehr Geld und arbeiteten häufiger in den fortschrittlicheren Branchen wie der Metallverarbeitung oder dem Handel.

Die langfristigen Effekte von Bildung werden durch ein weiteres Beispiel belegt: Die Entwicklung des Judentums im ersten nachchristlichen Jahrtausend. Religiöse Vorschriften verpflichten jüdische Väter dazu, ihr Wissen an ihre Söhne weiterzugeben. Die Ökonomen Maristella Botticini und Zvi Eckstein sind davon überzeugt, dass dies gewaltige Auswirkungen hatte. "Als im 8. Jahrhundert die Blütezeit des Abbasiden-Reichs begann, besaßen jüdische Bauern mit ihrer Bildung genau den Wettbewerbsvorteil, den es brauchte, um qualifizierte Tätigkeiten zu übernehmen – und sie nutzten ihn." Waren sie erst einmal in kaufmännische Berufe hineingelangt, setzten sich Juden noch stärker dafür ein, diese Bildung auszubauen, denn Lesen, Schreiben und Rechnen waren die Grundbedingungen dafür, Handelsnetze aufzubauen.

Der Glaube an den Markt

In einer Studie für das US National Bureau of Economic Research suchten Luigi Guiso, Paola Sapienza und Luigi Zingales nach Zusammenhängen zwischen religiösen Einstellungen und sozialen und ökonomischen Werten. Sie fanden heraus, dass die meisten Religionen mit einer "guten" Einstellung zu Ökonomie verbunden sind, wobei "gut" als "förderlich für ein höheres Einkommen und Wachstum" definiert wurde. Laut der Studie verstoßen gläubige Menschen seltener gegen Gesetze und haben mehr Vertrauen in andere Menschen, in die Regierung und das Rechtssystem. Und sie glauben daran, dass Märkte nach fairen Regeln funktionieren. Die Studie zeigt zudem, dass unterschiedliche Religionen unterschiedliche Einstellungen fördern.

Doppelt so viele Katholiken wie Protestanten standen persönlichem Besitz positiv gegenüber. Mit Ausnahme der Buddhisten neigten Gläubige aller Religionen zu der Ansicht, Armut sei eine Folge von Faulheit und mangelnder Willenskraft. Bei Protestanten ist diese Vorstellung ausgeprägter als bei Katholiken. Insgesamt ist bei Christen die Wirtschaftsfreundlichkeit am stärksten ausgeprägt. Den meisten Widerspruch gegen freien Wettbewerb äußerten gläubige Muslime.

Es ist das Streben nach Bildung, das die Gläubigen erfolgreicher macht

Wenn der Grund für ökonomischen Erfolg von Gläubigen aber nicht deren Glaube selbst ist, sondern deren Bildungshunger, kann jederzeit eine Religion die andere als die erfolgreichste ablösen. In einer Studie des amerikanischen Pew Research Center über den Zusammenhang zwischen Religion und Bildung lag 2016 das Judentum mit mehr als 13 Ausbildungsjahren klar an der Spitze. Die folgenden Plätze belegten Christen (neun Jahre), Buddhisten (acht Jahre), danach Muslime und Hindus (jeweils weniger als sechs Jahre). In der jüngsten Generation aber erreichen Buddhisten fast das Bildungsniveau der Christen.

Und ein ganz anders Bild ergibt sich, wenn man statt der ganzen Welt lediglich ausgewählte Regionen betrachtet. So ist seit Anfang des 21. Jahrhunderts gemessen an den Schulabschlüssen die führende Religion in den USA der Hinduismus. 67% seiner Angehörigen besaßen mindestens einen College-Abschluss, gefolgt von Juden, Muslimen und Buddhisten, deren Prozentzahlen allesamt über dem US-Durchschnitt von 33% lagen. Deutlich unter diesem Schnitt lagen dafür die Anteile von christlichen Randgruppen wie den Baptisten oder den Zeugen Jehovas. Ist Bildung tatsächlich ein Indiz für wirtschaftliche Trends, ist klar, dass wirtschaftliche Verschiebungen bevorstehen: von überwiegend christlichen Ländern hin zu Regionen mit einem hohen Anteil von Buddhisten und Hindus.

"Der wirtschaftliche Erfolg wird sich verlagern: hin zu Regionen, in denen überwiegend Buddhisten und Hindus leben."

Detlef Gürtler

Gründer
Sinnovation Ventures

Nicht immer ging es Religionen um friedlichen Wettbewerb. Die islamische Expansion zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert war vor allem von religiösem Eifer getrieben – ebenso wie die Kreuzzüge des Mittelalters oder wie die spanische Eroberung Lateinamerikas im 16. Jahrhundert. Expansion ist für den deutschen Anthropologen Dieter Haller jedoch nur ein typisches Element von Religionen wie dem Islam oder dem Christentum, die ein Ideal anstreben oder besser gar: das Paradies. "Diese Art von teleologischem oder zielgerichtetem Denken wirkt sich auf Moralvorstellungen ebenso aus wie auf ökonomisches Handeln. Völlig anders sieht es hingegen aus, wenn eine Religion nicht darauf abzielt, ein Ideal zu erreichen, sondern vielmehr glaubt, dass unsere Welt eine Entfremdung von diesem Ideal darstellt – wie etwa der Buddhismus." Der Unterschied zwischen dem Nirwana und dem Paradies: Buddhistische Eroberer führten nicht wegen ihrer Religion Kriege, sondern trotz ihrer Religion.

Eine gemeinsame Mission ist von Vorteil für das Unternehmensklima

Auch viele Unternehmer bekennen sich zu ihrem Glauben, von der katholischen C&A-Inhaberfamilie Brenninkmeijer über islamische Banker bis hin zu amerikanischen Immobilienhändlern, die Scientology angehören. Und oft weisen Geschichten von Unternehmen Parallelen zu militärischen Erfolgsstorys auf. Gerade in der Anfangsphase der Expansion kann der vereinende Glaube dazu führen, seine Kraft beständiger, fokussierter und motivierter für die Sache einzusetzen – und so der entscheidende Faktor dafür sein, den Wettbewerber auszustechen. Weil das Unternehmen für mehr steht als nur eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Devdutt Pattanaik, Leadership-Experte und früher oberster "Glaubensbeauftragter" einer indischen Handelskette, spricht sich sogar dafür aus, Unternehmen zu "mythologisieren". Denn dies würde Menschen deutlich machen, "wie sie die Welt sehen sollten" – und das sei etwas, das ein starkes Unternehmen mit einer starken Botschaft seinen Angestellten bieten solle. "Wenn der Glaube des Unternehmens und der Menschen miteinander übereinstimmen, führt das zu einem harmonischen Betriebsklima", sagt Pattanaik.

Doch so wie der einheitliche Glaube einer Belegschaft der Himmel auf Erden sein kann, kann das Arbeiten in einem Unternehmen zur Hölle werden, wenn Angestellte unterschiedlichen Religionen angehören oder anderen Religionen als ihren Führungskräften. Und diese Diversifizierung ist unausweichlich, sobald ein Unternehmen über die Grenzen seines kulturellen Ursprungs hinauswächst. Dann ist es zu spät, Religion, Glaubensvorstellungen oder Mythologie aus der DNA des Unternehmens zu entfernen. So wie Religion für kleine Unternehmen ein Wachstumsmotor sein kann, kann sie für ein großes Unternehmen eine Wachstumsschranke darstellen. Nicht immer ist klar, woran man glauben sollte.

ÜBER DEN AUTOR
Portrait of Detlef Gürtler
Detlef Gürtler
Detlef Guertler ist ein deutscher Wirtschaftsjournalist und Senior Researcher für den Schweizer Think Tank GDI Gottlieb Duttweiler Institute. Sein Hauptaugenmerk gilt dem Wandel – Reformen und Revolutionen, Innovationen und Disruptionen in Geschichte, Zukunft und Gegenwart. Detlef Guertlers jüngstes Buch Clusterfuck ist 2018 im Hanser Verlag, München, erschienen. Er lebt in Berlin und Marbella.
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Veröffentlicht Juli 2018. Vorhanden in
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