Die Zukunft der Gig Economy
Die Corona-Krise zeigt die schwierige Situation vieler Gig-Arbeiter
Was in normalen Zeiten als Wettbewerbsvorteil gilt, kann sich in der Krise schnell ins Gegenteil verkehren. Das zeigt sich gerade am Beispiel der Gig Economy. Zu ihren größten Verlockungen zählt es, dass sie unabhängige und flexiblere Formen der Arbeit ermöglicht. Das Geschäftsmodell ist einfach: Unabhängige Solo-Selbstständige bieten Kurzzeit-Dienstleistungen an – zunehmend über Plattformen wie Uber, TaskRabbit oder Upwork. Und entscheiden am Ende selbst, ob und wann sie ein Angebot annehmen.
In Zeiten der Corona-Pandemie rückt diese neue gewonnene Freiheit für viele Gig-Arbeiter in den Hintergrund. Was stattdessen zählt, ist eine Mindestabsicherung für den Ernstfall. Und da schneidet die Gig Economy bisher schlecht ab.
Für Verdienstausfälle im Krankheitsfall muss jeder Gig-Arbeiter selbst aufkommen. Das betrifft aktuell selbstständig arbeitende Taxifahrer und Lieferanten genauso wie die Gruppe der „White Collar“-Freelancer: Designer, Software-Entwickler oder Produktspezialisten, die bisher gut von ihren Einkünften leben konnten. Letztere haben das Wachstum der Gig Economy zuletzt maßgeblich mitgetragen.
Genaue Daten über die Größe der Gig Economy sind schwer zu erheben. Die meisten Schätzungen gehen von einem Anteil von zwei bis vier Prozent an der Erwerbsbevölkerung aus, in einigen Ländern mit starken Abweichungen nach oben. Auf einen Trend können sich aber die allermeisten Analysten einigen: Sie prophezeien einen weiteren Anstieg für die kommenden Jahre.
Auf die Unterstützung von Gig Arbeitern kann und will niemand verzichten. Manche Plattformen haben deshalb bereits auf die aktuelle Zwangslage reagiert. Im Fall einer Corona-Infektion stellen sie unter anderem bezahlten Urlaub in Aussicht. Auch die Politik hat Linderung versprochen. Solo-Selbstständige sollen ebenfalls von den jetzt aufgelegten Rettungsprogrammen profitieren. Mittelfristig könnten deshalb wieder die positiven Errungenschaften der Gig Economy in den Vordergrund rücken.
Nicht nur die großen Tech-Konzerne im Silicon Valley, auch viele andere Unternehmen verlassen sich inzwischen auf einen Pool an stetig verfügbaren externen Dienstleistern. Sei es, um das eigene Personal in Peak-Zeiten aufzustocken. Sei es, um sich für eine befristete Zeit fehlende Expertise ins Haus zu holen. Aus dem Arbeitsalltag sind die Gig Arbeiter kaum noch wegzudenken.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Online-Plattformen den Zugang zu Fachkräften erleichtert haben. Vor allem, wenn es sich um hochqualifizierte Spezialisten handelt, die sich nicht mehr dauerhaft an ein Unternehmen binden wollen. Auf dem regulären Arbeitsmarkt sind sie kaum noch verfügbar. Auf den Plattformen kann man sie hingegen für einzelne Projekte buchen.
Wie hoch der Bedarf an Gig Workern ist, hat eine Studie von SAP Fieldglass und Oxford Economics jüngst ermittelt. Das Ergebnis: 38 Prozent der befragten Manager haben bereits über die einschlägigen Plattformen im Internet Freelancer rekrutiert. In vielen Unternehmen wird der Bedarf zukünftig noch größer werden. Für die nächsten Jahre prognostiziert die Studie einen deutlichen Anstieg der Nachfrage.
In Zeiten extremer Unsicherheit dürfte dieser Trend eher stärker werden als abnehmen. Die ersten Anzeichen dafür lassen sich bereits beobachten. Auf der Freelancer-Plattform PeoplePerHour hat sich die Zahl der Neuanmeldungen im März bereits vervielfacht. In Großbritannien stieg sie um 300 Prozent, in Spanien um 329 Prozent und in Japan sogar um 513 Prozent. Andere Plattformen könnten bald nachziehen.
Der Wirtschaftshistoriker Louis Hyman hat eine ähnliche Entwicklung in vorhergehenden Wirtschaftsabschwüngen ausgemacht. Seit 1991 nahm die Zahl der Freelancer in jeder Konjunkturkrise zu. Aus seiner Sicht muss das nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. Die Voraussetzung dafür wäre aber eine Mindestabsicherung für Gig Arbeiter. Dann könnte sich die gewonnene Flexibilität und Autonomie tatsächlich lohnen.
Roland Berger untersucht und erforscht die makroökonomischen Konsequenzen der Corona-Krise. Für unsere neuesten Forschungsergebnisse in diesem Bereich und entsprechende Materialien kontaktieren Sie [email protected] .