Die Zukunft des Geschäfts wird von Sinn bestimmt

Think:Act Magazine Das ergibt Sinn
Die Zukunft des Geschäfts wird von Sinn bestimmt

31. Juli 2018

Visionärer Denker Charles Handy über digitale Technologie, Innovation und moderne Unternehmen

interview

von Neelima Mahajan
Illustration von Borge B. Bredenbekk

Die Online-Version des Interviews bildet die gesamte Dauer des Gesprächs ab.

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"Das Prinzip "purpose" – Unternehmen brauchen einen Sinn"

Der visionäre Denker Charles Handy teilt seine Gedanken für die Zukunft der Wirtschaft auf der Grundlage von acht Jahrzehnten Erfahrung und erklärt, wie wir den Kapitalismus neu erfinden müssen.

Gemessen an seinen Ideen ist Charles Handy wohl ein Billiardär. Er hat ein Händchen dafür, Konzepte zu entwickeln, die ihrer Zeit weit voraus sind. Zu seinen Vorhersagen der vergangenen 40 Jahre gehörten der Siegeszug des Outsourcings, der Teilzeitjobs und der "Shamrock-Organisationen", benannt nach dem keltischen Symbol eines dreiblättrigen Kleeblatts. Es steht für drei Typen von Arbeitskräften: Angestellte, freie Mitarbeiter und Zeitarbeiter.

Das Buch "Understanding Organisations" katapultierte Handy 1976 ins Management-Firmament. Seitdem hat er rund 20 Bücher geschrieben, darunter "Gods of Management", "The Elephant and the Flea und The Age of Unreason".

Inzwischen ist Handy über 80, aber sein großväterliches Erscheinungsbild täuscht. Denn er hat sein Tempo nicht verringert. In seinem jüngsten Buch "The Second Curve" erfindet er gleich unsere gesamte Gesellschaft neu – und stellt kühne Thesen über die heutige Rolle von Unternehmen auf. Ein Aspekt durchziehe all seine Werke wie ein roter Faden, sagt er im Gespräch: Welche Rolle spielen Menschen in der Wirtschaft? "Unternehmen bestehen aus Menschen", sagt er im Gespräch mit Think:Act. "Es bereitet mir Sorgen, wenn wir das vergessen und sie gar als 'Humankapital' bezeichnen. Am meisten Sorgen bereitet mir derzeit, dass wir versuchen, Menschen durch digitale Technologie zu ersetzen, einfach, weil diese billiger ist."

Sind Unternehmen vorbereitet auf die "Brave New World", die durch die Automatisierung und technologischen Fortschritt geschaffen werden könnte?
Ich glaube, nein. Außer Silicon-Valley-Vorreitern wie Uber und Co. Aber die sind letztlich nichts als Plattformbetreiber. Sie haben keine Kunden, sondern nur Nutzer. Ich glaube, dass sich eine Idee durchsetzen könnte: Wir betrachten unsere Angestellten anders. Statt als "Humankapital" sehen wir sie als Nutzer unserer Plattform, die wir bei ihrer Arbeit unterstützen. Immer mehr Unternehmen werden so denken. Weil man dem neuen Typ Mitarbeiter nicht sagen kann, was er zu tun hat; man muss ihm die Möglichkeit geben, kreativ zu werden. Aus großen Unternehmen werden viele kleine Projekte. Die Plattform ist ihre Verknüpfung: Die Mitarbeiter erzählen ihr, was sie gerade tun – und bitten sie um die Ressourcen, die sie dafür benötigen.

"Das Ziel, Shareholder reich zu machen, zeugt nicht von großem Sinn. Es ist besser, eine reiche Gesellschaft erschaffen zu wollen."

Charles Handy

Autor

Ist das Plattformmodell denn in jedem Fall eine gute Sache?
Ich glaube, ja. Denn es erlaubt Menschen, sich selbst zu motivieren und ihre eigenen Aufgaben zu erschaffen – anstatt dass ihnen jemand sagt, was sie zu tun haben.

Sie reden von Do-it-yourself-Economy und Selbstverantwortung. Aber sind wir wirklich bereit dazu, Verantwortung zu übernehmen?
Ganz und gar nicht. Junge Menschen sind eher dazu in der Lage. Sie wollen nicht zu großen Unternehmen gehen; außer eben, wenn es sich um Plattformen handelt. Aber wir müssen unser Ausbildungssystem ändern und sie dazu ermuntern, für sich selbst zu denken. Schulen sollten sie auf das Leben vorbereiten, indem sie lehren, wie man Gruppen bildet und sich seine Chancen selbst erschafft.

Und die Unternehmen? Worin besteht deren Verantwortung?
Deren Verantwortung besteht vor allem darin, etwas zu der Gesellschaft beizusteuern, in der sie agieren. Ich mache mir ernsthaft Sorgen darüber, woher das Geld kommen soll, um unsere sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren. Immer mehr Menschen werden als Freiberufler arbeiten. Sie werden viel zu tun haben, aber sie werden nicht reich dabei werden – und darum auch nicht sehr hohe Steuern zahlen. Also muss das Geld von den Unternehmen kommen. Früher steuerten die Unternehmen dieses Geld bei, indem sie ihren Mitarbeitern Gehälter zahlten, von denen diese wiederum Steuern entrichteten. Jetzt müssen sie einen anderen Weg finden, die Gesellschaft zu unterstützen. Denn wenn die Gesellschaft untergeht, gehen auch sie unter. Sie müssen sich selbst als Partner der Gesellschaft sehen – nicht als irgendeine Form von unabhängiger Einheit, die gelegentlich Miete zahlt. Sie müssen sich viel mehr einbringen. Der Sinn von Wirtschaft liegt in der Gesellschaft. Das ist, was sie zu einem viel "menschenwürdigeren" Ort machen kann. Menschen wollen einen Sinn in ihrem Leben haben. Das Ziel, Shareholder reich zu machen, zeugt nicht von großem Sinn. Es ist besser, eine reiche Gesellschaft erschaffen zu wollen.

In Ihrem neuen Buch erwähnen Sie ein interessantes Konzept: das Bürgerunternehmen. Was ist das?
Das ist eher eine Idee. Bürger haben Rechte und Pflichten. Ihre Rechte tragen dazu bei, große Entscheidungen zu fällen. Als Bürger eines Staats hat man die Pflicht, sich an die Gesetze zu halten, etwas zur Gesellschaft beizutragen und sich anständig zu verhalten. Man ist nicht nur ein Werkzeug, man ist wichtig. Im Bezug auf Staaten halten wir die Idee des aktiven Bürgers für erstrebenswert. Wir sollten es ebenso sehen, wenn wir an Unternehmen denken. Etwa so: Du wirst erst Bürger dieses Unternehmens, wenn du dort mindestens drei Jahre gearbeitet hast. So ähnlich wird es gehandhabt, wenn man britischer Staatsbürger werden möchte. Man muss einen Test bestehen, schwören, dass man sich an die Regeln hält, und anschließend gibt es eine Zeremonie.

Angestellte verhalten sich aber ihren Unternehmen gegenüber zunehmend weniger loyal …
Weil das Unternehmen ihnen gegenüber auch keine Loyalität zeigt. Einer muss den Anfang machen. Ich denke, es sind die Unternehmen, die sagen müssen: "Wenn du unser Bürger wirst, bieten wir dir Privilegien." Diese Verbundenheit müssen wir wiederherstellen.

Fortschritt durch die "zweite Kurve"
Finden Sie Ihre wahren Werte:

Ihr Unternehmen steht an der Spitze. Aber vielleicht haben Sie etwas auf dem Weg dahin vernachlässigt? Jetzt ist der Zeitpunkt, diese Fähigkeiten zu fördern und sich auf die Veränderung vorzubereiten.

Warten Sie nicht, bis es zu spät ist:

Entscheidend ist, dass Sie abspringen, bevor die aktuelle Erfolgskurve wieder abfällt. Es braucht Mut und rund zwei Jahre, die zweite Kurve aufzubauen, aber der Lohn ist eine neue Sinnhaftigkeit.

Was eigene Verantwortung bedeutet

Nur Sie sind dafür verantwortlich, wie sich Ihre Karriere entwickelt – oder Ihr Unternehmen. Erfüllung finden Sie darin nur, wenn Sie fragen: "Warum?" und "Wie?", und dann entscheiden, welchen Weg Sie dafür beschreiten müssen.

Diese Idee bedeutet auch, dass Mitarbeiter aktiv in wichtige Entscheidungen eingebunden werden. Wie kann ein Unternehmen dabei effizient bleiben?
Ich mag Betriebsräte, wie es sie in Deutschland gibt. Ein Manager, der für ein deutsches Unternehmen arbeitet, hat mir erzählt, dass er jedes Jahr vor dem Betriebsrat erscheinen muss. Er erklärt dort, was er tut, und die Betriebsräte befragen ihn. Das ist ein wichtiges Ritual. Er meinte: "Ich fühle mich ihnen gegenüber verantwortlich und ich muss mich für meine Entscheidungen rechtfertigen." Das ist eine Art Vier-Augen-Prinzip.

Sie waren immer ein Kritiker von Shareholder Value. Bürgerunternehmen klingt nach einer Idee, die Shareholder ablehnen würden.
Sie haben gar nicht das Recht dazu, dies abzulehnen. Shareholder besitzen Aktien, sie besitzen nicht das Unternehmen. Sie können Vorsitzende wählen, aber sie können ihnen nicht sagen, was sie zu tun haben. Sie haben nicht einmal das Recht, einen Blick auf die strategischen Pläne zu werfen. Wenn ihnen nicht gefällt, was die Vorsitzenden machen, sollen sie ihre Aktien verkaufen.

Brauchen wir neue Faktoren, um Fortschritt und Wachstum zu messen?
Wir müssen Fortschritt viel umfassender betrachten. Fortschritt bedeutet nicht notwendigerweise "mehr Wachstum". Ich finde "besseres Wachstum" spannend. Arbeit zu machen, auf die man stolz ist – das ist wichtig.

In den 70er- und 80er-Jahren haben Sie gesagt, wie die Zukunft aussehen wird – und es ist so gekommen. Wie wird die Welt in 50 Jahren aussehen?

Charles Handy

Handy schrieb in 40 Jahren rund 20 Bücher. Für die London Business School entwickelte er den Studiengang "Sloan Programme". 2011 erhielt er den Thinkers50 Lifetime Achievement Award.

Es wird schwierig werden. Wir müssen die Kontrolle über die digitale Welt behalten, damit diese uns nicht überrollt. Henry Ford wurde einmal dafür kritisiert, dass er seinen Arbeitern zu hohe Löhne zahle. Er entgegnete: "Wer sollte unsere Autos kaufen, wenn wir ihnen nichts bezahlen?"

Es gab immer den Mechanismus, dass Unternehmen auf die ein oder andere Art in die Wirtschaft einzahlen. Wir müssen einen Weg finden, auf dem sie mit Wettbewerbern mithalten können, die viel billiger arbeiten können, weil sie fast nur digital existieren. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wie wir dieses Problem lösen können. Nehmen Sie Danone. Das ist ein Unternehmen von weltweit rund 480.000 Mitarbeitern. Es wäre sicher möglich, diese Zahl durch Technologie auf 100.000 Mitarbeiter zu senken. Aber wenn wir das tun, stürzen wir einen Teil der Gesellschaft in Armut. Danone verdient mehr, die Gesellschaft verliert. Das ist ein großes Dilemma. Danone könnte natürlich einen Teil seiner Einnahmen an die Gesellschaft weiterreichen, die damit Sozialleistungen finanziert – oder es könnte einfach seine Angestellten weiter beschäftigen.

Wir müssen den Sinn von Unternehmen neu definieren. Es darf nicht nur darum gehen, Geld zu machen, sondern darum, ein Leben für seine Mitarbeiter zu verschaffen. Bislang sehe ich dafür noch kein Modell. Wir müssen die Idee des Kapitalismus dahin gehend verändern, dass sie weniger auf Geld basiert und mehr auf Menschlichkeit.

Über die Autorin
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Neelima Mahajan
Neelima Mahajan ist Chefredakteurin von Think:Act. Sie hat seit zwei Jahrzehnten als Wirtschaftsjournalistin für verschiedene Publikationen in Indien und China gearbeitet, unter anderem war sie Mitglied des Gründungsteams der indischen Ausgabe des Magazins Forbes. Von 2010 bis 2011 war sie Gaststudentin an der University of California in Berkeley und Stipendiatin der Bill und Melinda Gates Foundation für ein Reportageprojekt über Afrika. Majahans Leidenschaft sind Management-Themen. Sie hat zahlreiche renommierte Managament-Vordenker, Nobelpreisträger und Unternehmenslenker interviewt. 2010 erhielt sie den Polestar Award for Excellence in IT and Business Journalism, einen der renommiertesten Journalistenpreise Indiens.
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Das Prinzip "Purpose"

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Was bedeutet 'Purpose' für Sie und Ihr Unternehmen? Unser Think:Act Magazin widmet sich dem Wertewandel in der Geschäftswelt. Langfristige Visionen bilden die Basis für nachhaltige Produkte, inspirierende Dienstleistungen und ikonische Unternehmen. Die Zeit ist gekommen, Unternehmen neu zu erfinden.

Veröffentlicht Juli 2018. Vorhanden in
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