Globale Krisen und ihre Auswirkungen auf Unternehmen und Wirtschaft
Roland Berger unterstützt Unternehmen globale Krisen (Ukraine-Krieg, Inflation, Zinswende und Covid) zu bewältigen und sie fit für die Zukunft zu machen
Von David Born und Christian Krys
Nach der Rezession im Jahr 2020 und dem vergleichsweise schwachen Wachstum 2021 standen die Weichen in Deutschland zu Jahresbeginn 2022 auf wirtschaftliche Erholung. Besonders viel versprachen sich Marktbeobachter von der Normalisierung der Ausgaben für konsumnahe Dienstleistungen. Die erwartete Erholung wurde allerdings im ersten Halbjahr 2022 von der hohen Inflation, gravierenden Lieferkettenproblemen, der fortdauernden Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine ausgebremst.
Besonders der Ukrainekrieg belastet die Perspektiven von Wirtschaft und Verbrauchern. Die aufgrund des Krieges stark gestiegenen Energiepreise drücken auf die Stimmung der Konsumenten und lassen die Geschäftserwartungen der Unternehmen sinken. Im Winter droht Gas knapp zu werden, was zu weiterer Verunsicherung beiträgt.
Aller Verunsicherung zum Trotz ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal überraschend gewachsen. Mit einem Wachstum von 0,1% zum Vorquartal hat die deutsche Volkswirtschaft damit das Vorkrisenniveau des vierten Quartals 2019 erreicht. Gegenüber dem Vorjahr konnte das deutsche BIP immerhin um 1,8% zulegen.
Gestützt wurde die Wirtschaft dabei vor allem von privaten und staatlichen Konsumausgaben. Konsumenten haben die Aufhebung vieler pandemiebedingter Einschränkungen genutzt, um unter anderem wieder häufiger auszugehen oder zu reisen. Während auch die Investitionsausgaben zuletzt wieder gestiegen sind, gingen die Bauinvestitionen mit -3,4% deutlich zurück.
Der Blick auf die nächsten Quartale lässt allerdings nur geringen Spielraum für Optimismus. Hatten Analysten Anfang 2022 noch gehofft, dass Deutschland die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie endlich hinter sich lassen würde, wurden die Prognosen für das deutsche Wachstum fortlaufend nach unten korrigiert. So erwartete der Internationale Währungsfonds im Januar ein BIP-Wachstum von 3,8 Prozent für das Jahr 2022. Im April verringerte der IWF seine Prognose auf 2,1 Prozent und im Juli auf nur noch 1,2 Prozent.
Die sich eintrübende Wirtschaftslage führt zu hoher Verunsicherung in den Chefetagen der Unternehmen. So ist der ifo-Geschäftsklimaindex im Juli 2022 auf den niedrigsten Wert seit Juni 2020 gefallen. Sowohl die Geschäftserwartungen als auch die Einschätzung der aktuellen Lage gaben nach. Sorgen bereiten den Unternehmen insbesondere die steigenden Energiepreise. Laut einer Umfrage des DIHK plant mehr als jedes siebte Unternehmen, seine Produktion wegen der hohen Energiepreise zu reduzieren, oder hat bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen (Abbildung 2). Bei energieintensiven Unternehmen ist es sogar fast jedes dritte Unternehmen.
Neben den steigenden Energiepreisen belastet vor allem ein drohender Energiemangel die Aussichten der Unternehmen. Zwar zeigen Untersuchungen, dass Deutschland auf Erdgasimporte aus Russland verzichten kann, ohne die Gasversorgung von Industrie oder Privathaushalten unterbrechen zu müssen. Dazu müsste der Gesamtverbrauch von Erdgas jedoch um 20% gesenkt werden.
Und nicht nur Energie ist ein knappes Gut: Im Juli 2022 meldeten in einer Umfrage des ifo-Instituts fast drei von vier befragten Unternehmen Engpässe bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten. Gründe für diese Beschaffungsprobleme sind die grundsätzliche Knappheit bei elektronischen Komponenten sowie die weiterhin bestehenden Probleme in der weltweiten Logistik, insbesondere im Schiffsverkehr.
Neben der Rohstoffknappheit führt auch der Fachkräftemangel dazu, dass immer mehr Unternehmen ihre Geschäfte einschränken müssen. Im Juli 2022 waren laut ifo-Institut rund die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland davon betroffen. Dabei wird der Dienstleistungssektor am stärksten vom Fachkräftemangel geplagt.
Die Knappheit an Vorprodukten spiegelt sich in gestiegenen Erzeugerpreisen wider. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sind die Kosten für Vorleistungsgüter im Juni 2022 um 22,3 Prozent gestiegen, die Energiepreise sogar um 86,1 Prozent. Zum Teil sind die gestiegenen Erzeugerpreise schon bei den Verbrauchern angekommen, die Inflation erreichte in den Monaten März bis Juli mit Werten zwischen sieben und acht Prozent gegenüber den Vorjahresmonaten neue Höhen (Abbildung 3). Allerdings wurde sie zuletzt durch staatliche Maßnahmen wie den Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket gedämpft und die Erhöhungen der Großhandelspreise für Gas wurden noch nicht an die Kunden weitergegeben. Wenn die Maßnahmen im September ausgelaufen sind und Gaspreise auch für Endverbraucher erhöht werden, wird die Inflation einen neuen Schub erhalten.
Die hohen Preise drücken, gepaart mit der angespannten Wirtschaftslage, auf die Stimmung der Verbraucher: Der GfK-Konsumklima-Index, der die Konsumneigung der deutschen Privathaushalte misst, fiel im Juli 2022 auf ein Rekordtief von -27,7 Punkten und war damit sogar niedriger als in der ersten Coronawelle.
Nach einem schwierigen ersten Halbjahr für die deutsche Wirtschaft sind auch die Aussichten für das zweite Halbjahr herausfordernd. Aller Voraussicht nach wird der Ukrainekrieg Unternehmen und Verbraucher weiter belasten, insbesondere der Strom- und Gasmarkt stehen vor einem weiteren Preisschub, es könnte sogar ein Energiemangel drohen. Die Inflation wird hoch bleiben und die EZB wird mit weiteren Zinsschritten darauf reagieren, was die Konjunktur zusätzlich dämpfen kann. Die USA, ein wichtiger Absatzmarkt für Deutschland, verzeichneten in den beiden ersten Quartalen 2022 ein leichtes Negativwachstum. Saisonal bedingt und eventuell auch durch das Aufkommen neuer Varianten wird sich auch die Corona-Lage vermutlich wieder verschlechtern und die deutsche Wirtschaft belasten.
Es gibt aber auch Nachrichten, die Mut machen: Viele deutsche Unternehmen bauen auf gute Geschäfte 2021 und im ersten Halbjahr 2022 auf. Ihre Auftragsbücher sind voll und die meisten Unternehmen suchen Personal und bauen unterm Strich keine Beschäftigung ab. Liquidität ist vorhanden, eine Kreditklemme ist nicht zu befürchten. Außerdem zeichnet sich eine vorsichtige Entspannung bei den Lieferengpässen ab und etliche Unternehmen haben ihre Prozesse bereits an knappes Gas angepasst. Mit seiner Stärke in Klimatechnologien ist Deutschland zudem für zukunftsträchtige Exporte gut aufgestellt und die zusätzlichen Verteidigungsausgaben werden ebenfalls Impulse für die Wirtschaft setzen.
Als Land mit engen internationalen Wirtschaftsverflechtungen hat Deutschland von der Globalisierung enorm profitiert. Angesichts der sich abzeichnenden geopolitischen Blockbildung erscheint es daher wichtig, dass Deutschland seine Interessen klar definiert und vertritt. Dies kann nur im Schulterschluss mit den internationalen Partnern gelingen. Einseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten – wie im Falle der Energieabhängigkeit von Russland – sind durch Diversifizierung von Lieferländern und Absatzmärkten abzubauen.
Auf politischer Ebene ist abzuwarten, ob und wann es eine politische Lösung des Ukrainekrieges gibt – im Moment scheint diese in weiter Ferne zu liegen. Innenpolitisch stellt sich die Frage, wie die deutsche Gesellschaft auf weiter steigende Energiepreise und die politischen Apelle zum Energiesparen reagieren wird. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist zu Einschnitten bereit, doch ein Erstarken der politischen Ränder ist nicht auszuschließen.
Anlass zur Sorge gibt die politische Entwicklung in den USA, einem der wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschlands. Dort ist die Gesellschaft gespalten, ähnlich wie in manchen europäischen Ländern. Die anstehenden Wahlen in den USA und in Italien können deshalb richtungsweisend sein. Die mangelnde Geschlossenheit der EU bleibt eine politische Herausforderung. Schließlich droht noch die Gefahr einer verstärkten Konfrontation zwischen den USA und China. Krisenherde, die auf die deutsche Konjunktur in der Zukunft Einfluss haben können, gibt es weltweit also reichlich.