Die deutsche Konjunktur in der ersten Hälfte von 2023
Die Studie analysiert die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands am Beginn des Jahres 2023 und gibt einen Ausblick auf die kommenden Monate.
Von David Born
Die im Frühjahr 2022 kursierenden Horrorszenarien für die deutsche Wirtschaft sind nicht Realität geworden. Angesichts der angespannten geopolitischen Lage und stark gestiegener Preise für Strom und Gas zeigte sich die deutsche Wirtschaft 2022 erstaunlich robust. 2022 ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 1,8% gewachsen.
Noch im Oktober ging die Bundesregierung in ihrer Herbstprognose lediglich von einem Wachstum um 1,4% aus. Im vierten Quartal 2022 ist das deutsche BIP im Vergleich zum Vorquartal um 0,2% gesunken. Aktuellen Prognosen zufolge deutet dezeit viel darauf hin, dass es damit im laufenden Quartal zu einer sog. technischen Rezession kommt, also zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit rückläufigem Wirtschaftswachstum. Trotzdem dürfte die drohende Rezession mild ausfallen. Die deutsche Wirtschaft zeigte sich also unter schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit anhaltender Corona-Pandemie, Lieferengpässen, weiter steigenden Preisen und dem Krieg in der Ukraine robust.
Die Industrie hatte im vergangenen Jahr neben stark gestiegenen Erzeugerpreisen, Lieferkettenproblemen und dem Fachkräftemangel vor allem historisch hohe Energiekosten zu bewältigen. Diese hohen Energiekosten und die Sorge vor einer Gasmangellage veranlassten Unternehmen, vor allem den Verbrauch von Gas durch Einsparungen und Substitution zu reduzieren. Obwohl das produzierende Gewerbe 25% weniger Gas als in den Vorjahren verbrauchte, ist die Produktion im produzierenden Gewerbe – exklusive Energie und Baugewerbe – um etwa 0,6% gestiegen. Sorgen bereiten allerdings die energieintensiven Wirtschaftszweige, die im November etwa 12,8% weniger produzierten als noch im Vorjahr.
Zuletzt haben sich die Geschäftserwartungen in der deutschen Wirtschaft mit Ausnahme des Baugewerbes allerdings wieder etwas aufgehellt. Tendenziell sind die Erwartungen aber noch deutlich unter dem Schnitt der Vorjahre. Einer der Gründe hierfür sind die rückläufigen Auftragseingänge. Diese lagen im November etwa 11% unterhalb des Vorjahresniveaus und sind auch im Vergleich zum Oktober 2022 um mehr als 5% gefallen. Grund hierfür ist die schwächelnde Nachfrage aus dem Ausland. Insbesondere die Nachfrage aus der Eurozone ist um 10,3% zum Vormonat gefallen. Dennoch sitzt die deutsche Industrie noch auf einem hohen Bestand an Aufträgen, die es abzuarbeiten gilt. So betrug die durchschnittliche Reichweite des Auftragsbestandes in der Industrie im November noch 7,3 Monate.
Trotz der relativ robusten Entwicklung der industriellen Produktion in Deutschland mussten einige Unternehmen dem zuletzt schwierigen weltwirtschaftlichem Umfeld Tribut zollen. So ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2009 wieder gestiegen. Insgesamt haben im abgelaufenen Jahr mit 14.700 Unternehmen rund 4% mehr Unternehmen Insolvenz angemeldet als im Vorjahr. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass die befürchtete Insolvenzwelle nicht eingetreten ist. Das Insolvenzaufkommen blieb trotz schwierigen Umfelds weiterhin auf niedrigem Niveau.
Mit rund 175.000 Arbeitnehmern waren 2022 jedoch mehr Personen von Insolvenzen betroffen als im Jahr zuvor. Grund hierfür sind zahlreiche große Insolvenzfälle. Verglichen mit 2021 lag die Zahl der Insolvenzen bei Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten im vergangnenen Jahr um rund 25% höher. Den stärksten Anstieg an Insolvenzfällen musste im vergangenen Jahr das Baugewerbe mit einem Anstieg von 17,3% erleben. Auch im verarbeitenden Gewerbe war der prozentuale Anstieg mit 15,2% sehr hoch. Die meisten Insolvenzen gab es allerdings wie im Vorjahr im Dienstleistungssektor. Im Handel hingegen war die Zahl der Insolvenzen rückläufig.
Bereits heute weisen rund 20% der Unternehmen in Deutschland keinen ausreichenden Zinsdeckungsgrad auf. Durch die restriktivere Geldpolitik der EZB werden sich die Finanzierungskosten für viele Unternehmen weiter erhöhen, während die Erträge aufgrund der aktuellen Krisen unter Druck geraten dürften. Beim Insolvenzgeschehen könnte sich also nach Jahren der rückläufigen Insolvenzen eine Trendumkehr abzeichnen.
Die Inflation ist im abgelaufenen Jahr auf den höchsten Stand seit Gründung der Bundesrepublik gestiegen. Im Jahresdurchschnitt betrug der Anstieg der Verbraucherpreise 7,9%. Preistreiber waren insbesondere die stark angestiegenen Preise für Energie und Nahrungsmittel.
Nachdem die Verbraucherpreise im Oktober noch um 10,4% gestiegen waren, flacht die Teuerungsrate seitdem kontinuierlich ab. Es scheint, als hätte die Inflation ihren vorläufigen Höhepunkt im Herbst 2022 erreicht. Mit einer Rückkehr zu Inflationsraten von etwa 2% ist jedoch kurzfristig nicht zu rechnen, da viele Unternehmen laut Umfragen 2023 nochmals ihre Preise erhöhen werden, um die gestiegenen Erzeugerpreise zu kompensieren. Auch die Erzeugerpreise, die im Spätsommer zwischenzeitlich um 45,8% gestiegen waren, waren zuletzt wieder deutlich rückläufig. So betrug der Anstieg der Erzeugerpreise im November 2022 „nur“ noch 28,2%.
Die Inflationsentwicklung setzte im vergangenen Jahr indes die Notenbanken hinsichtlich ihrer Geldpolitik unter Druck. So erhöhte die EZB im Laufe des Jahres die Leitzinsen in der Eurozone von 0,0% auf nunmehr 2,5%. Auch für dieses Jahr werden weitere Zinserhöhungen erwartet. Erst im kommenden Jahr gehen Analysten wieder von leichten Zinssenkungen aus.
Nach dem Rückgang im vierten Quartal 2022 dürfte das Wirtschaftswachstum in Deutschland auch im ersten Quartal 2023 einen leichten Rückgang erleben. Zum aktuellen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass das BIP im zweiten Quartal wieder zulegen kann – und die Rezession damit moderat ausfällt.
Für 2023 rechnet das Roland Berger Institute mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um -0,1%. Gründe hierfür liegen in einer schwächelnden Weltwirtschaft, einer damit einhergehenden schwachen Exportnachfrage und weiterhin volatilen Energiemärkten. Weiterhin schätzt das Roland Berger Institute, dass die Inflation dieses Jahr mit 5,1% auf hohem Niveau verharrt. Dies bremst das Konsumwachstum und damit auch die Geamtkonjunktur. Auch wenn sich die Stimmung in der Wirtschaft aufhellt, bleibt dieser Optimismus verhalten.
Die Studie analysiert die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands am Beginn des Jahres 2023 und gibt einen Ausblick auf die kommenden Monate.