Die deutsche Konjunktur in der zweiten Hälfte von 2023
Die Konjunkturprognose für Deutschland ist negativ. Das Land rutscht 2023 in die Rezession ab. In anderen Industrieländern wächst die Wirtschaft.
Von David Born
Deutschland schafft es nicht aus der Krise: Nach einer Rezession im ersten Quartal stagnierte die Wirtschaft auch in den Folgemonaten – mit vorerst wenig Aussicht auf Besserung. Die Wachstumsprognose für das Gesamtjahr 2023 sinkt dementsprechend auf - 0,3%. Damit wäre Deutschland die einzige größere Industrienation, die in diesem Jahr schrumpft.
Noch im Frühjahr 2023 rechneten viele Investoren und Produzenten mit einer schnelleren Erholung der Wirtschaft. Anlass zur Hoffnung boten damals unter anderem ein unerwartet milder Winter sowie das Ende der Zero-Covid-Maßnahmen in China. Inzwischen ist dieser Optimismus verflogen. Die maßgeblichen Konjunkturindikatoren haben sich in ihrer Mehrheit deutlich verschlechtert.
Sorge bereitet insbesondere die schlechte Lage im verarbeitenden Gewerbe. Hier brach die Produktion im Juni mit 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr überraschend stark ein. Auch bei den Auftragseingängen und -beständen sowie der Kapazitätsauslastung mussten Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe empfindliche Rückgänge verkraften.
Hinzu kommt, dass sich mit dem Einzelhandel ein weiteres Schwergewicht der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung angeschlagen zeigt. Dort sanken die Umsätze im ersten Halbjahr um kräftige 4,5%. Besonders angespannt ist die Lage im Lebensmittelhandel (-5,8%), wo die Realeinnahmen seit 24 Monaten kontinuierlich zurückgehen. Auch dem Internethandel und den Baumärkten gelang es nicht, sich dieser Negativdynamik zu wiedersetzen. Angesichts der starken Umsatzsteigerung während der Pandemie sind die Einbußen in beiden Sektoren aber eher als Normalisierung zu interpretieren.
Die gute Nachricht: Zumindest bei den Erzeugerpreisen zeichnet sich eine Entspannung ab. Verglichen mit dem Vorjahr sanken sie im Juli um immerhin 6%, was vor allem an den rückläufigen Energiepreisen liegt. Insbesondere die Preise für Mineralölerzeugnisse (-16,6%) und für Strom (-30%) gaben spürbar nach. Letzterer liegt aber weiterhin deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau. Folgt man den Erwartungen der Stromunternehmen, dann wird sich daran mittelfristig allerdings nichts ändern.
Eine ähnliche Dynamik lässt sich in Bezug auf das Inflationsgeschehen in Deutschland beobachten. Zwar geht die Teuerungsrate zurück, sie tut dies hierzulande aber deutlich langsamer als in anderen europäischen Ländern. Im Juli lag die Inflation Deutschland bei noch immer hohen 6,2%. Größter Preistreiber ist aktuell die Nahrungsmittelbranche (+11,0%). Hinzu kommt der Strompreis, der sich für Endverbraucher – anders als für Großhandelskunden – wegen eines Verzögerungseffekts sehr wohl verteuert hat (+17,6%). Mit einer Normalisierung bei der Inflation rechnen Analysten frühestens im nächsten Jahr. Dann könnte die Inflationsrate zumindest wieder in die Nähe des 2-Prozent-Ziels der Notenbanken kommen.
Anders als in den Vorjahren wirkt sich das schwierige Wirtschaftsumfeld nun zum ersten Mal stärker auf die Unternehmenslandschaft aus. Rund 8400 Betriebe mussten zwischen Januar und Juni 2023 Insolvenz anmelden – ein Plus von 16,2% und damit die höchste Zuwachsrate seit über zwanzig Jahren. Auch die Zahl der vollständigen Gewerbeaufgaben legte im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr auf 246.500 zu (+ 14,0%).
Auf dem Arbeitsmarkt machen sich die steigenden Insolvenzzahlen bislang nicht bemerkbar. Die Zahl der offenen Stellen bleibt hoch. Die Arbeitslosenquote legte im Juli 2023 im Vorjahresvergleich saisonbedingt nur geringfügig zu und erreichte 5,7%. Ein anderes Bild zeigt sich in puncto Kurzarbeit: Hier stieg die Zahl der Betroffenen zuletzt wieder an, was vor allem am schwächelnden Bausektor lag. Das Gros der Kurzarbeiter stammt aber weiterhin aus dem produzierenden Gewerbe.
Der Blick nach vorne verheißt – zumindest kurzfristig – nichts Gutes. Der positive Trend bei den Geschäftserwartungen aus dem Frühjahr 2023 ist fürs Erste gestoppt. Über alle Sektoren hinweg rechnen die Unternehmen in Deutschland mit einer Verschlechterung ihrer Geschäftssituation. Am pessimistischsten blickt der Handel in die Zukunft, gefolgt vom Baugewerbe.
Parallel zu den düsteren Geschäftserwartungen der Unternehmen hat sich auch das Konsumklima abgekühlt. Unterm Strich sparen die Deutschen wieder mehr. Das heißt: Anschaffungen werden im Zweifel aufgeschoben. Viele Haushalte rechnen nicht damit, dass Lohn- und Gehaltssteigerung die Inflation vollständig ausgleichen können.
In der Summe legen die Konjunkturindikatoren nahe, dass die aktuelle Schwächephase der deutschen Wirtschaft andauert. Das verarbeitende Gewerbe und die Baubranche leiden weiter unter der schwachen Nachfrage und einer straffen Geldpolitik. Gleichzeitig reicht der Rückgang der Inflation und das gegenwärtige Konsumentenverhalten nicht aus, um positive Wachstumsimpulse zu setzen.
Vor diesem Hintergrund rechnet das Roland Berger Institut für das Gesamtjahr 2023 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um -0,3%. Die deutsche Konjunkturprognose unterscheidet sich damit deutlich vom Rest der weltweit führenden Volkswirtschaften. Unter den G20 Nationen dürfte neben Deutschland in diesem Jahr nur Argentinien schrumpfen.
Die Konjunkturprognose für Deutschland ist negativ. Das Land rutscht 2023 in die Rezession ab. In anderen Industrieländern wächst die Wirtschaft.