Die deutsche Konjunktur in der zweiten Hälfte von 2024
Aufgrund schwacher Geschäftsaussichten und geopolitischer Unsicherheit kommt die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 kaum über eine Stagnation hinaus.
Von David Born
Die erhoffte Trendwende der deutschen Wirtschaft zur Jahresmitte scheint auszubleiben – relevante Indikatoren deuten auf eine anhaltende Konjunkturschwäche hin. Nach einem Jahr mit Negativwachstum in 2023 droht in 2024 eine Stagnation. Hohe Zinsen sowie (geo-)politische Unsicherheit machen der deutschen Wirtschaft weiter zu schaffen, auch wenn die Europäische Zentralbank die Zinswende eingeleitet hat und bis zum Jahresende mit weiteren Zinssenkungen zu rechnen ist.
Die deutsche Volkswirtschaft steht nach wie vor vor großen Herausforderungen. Wie angespannt die Situation ist, zeigt ein Blick auf die Auftragslage. Im Juni 2024 lag der Index der Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe um 11,8 Prozent unterhalb des Wertes des Vorjahresmonats. Der Rückgang der Aufträge aus dem Ausland war mit einem Minus von 15,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr deutlich stärker ausgeprägt als der Rückgang der Aufträge aus dem Inland (-6,1 Prozent). Besonders deutlich sanken die Auftragseingänge im Automobilsektor sowie im sonstigen Fahrzeugbau. Auch der Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe lag im Mai um 5,4 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat niedriger.
Die Verschlechterung der Auftragslage blieb nicht ohne Wirkung auf die Industrieproduktion. Sie ist weiter rückläufig und lag im Juni 2024 um mehr als 4 Prozent unterhalb des Vorjahreswertes. Die Produktionsschwäche war in einer Reihe von Wirtschaftszweigen festzustellen: Die größten Rückgänge im Vergleich zum Vorjahr verbuchten die Sektoren Automobil (-10,5 Prozent) und Maschinenbau (-13,7 Prozent). Der Rückgang der Produktion in den energieintensiven Sektoren scheint hingegen zunächst gestoppt – die Produktion stieg zuletzt angesichts rückläufiger Energiepreise wieder leicht an, befindet sich aber weiter auf niedrigem Niveau.
Die schwache Auftragslage wirkt sich auch auf die Kapazitätsauslastung aus. Diese ist in der überwiegenden Mehrheit der Industriesektoren deutlich rückläufig. Im Juli 2024 sank die Auslastung im verarbeitenden Gewerbe auf 77,5 Prozent – ein Rückgang von 5,5 Prozentpunkten im Vergleich zum Juli 2023. Besonders deutlich war der Rückgang auch hier im Maschinenbau (-9,4 Prozentpunkte auf 78,9 Prozent) und im Automobilsektor (8,6 Prozentpunkte auf 79,0 Prozent).
Die schwache Auslastung in der Industrie spiegelt sich auch in den Zahlen zum Arbeitsmarkt wider: Im Juli waren rund 192.000 Menschen mehr arbeitslos als im Vorjahresmonat, was die Gesamtzahl der Arbeitslosen auf 2,81 Millionen und die Arbeitslosenquote auf 6,0 Prozent ansteigen ließ. Zudem lag die Zahl der Kurzarbeiter im Mai 2024 um fast 50 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.
Die deutschen Unternehmen sehen auch für die nähere Zukunft mehrheitlich keine Besserung voraus. Seit zwei Jahren sind die Geschäftserwartungen deutscher Unternehmen – gemessen mit dem ifo Geschäftsklimaindex – in allen Wirtschaftsbereichen negativ. Im Juli 2024 nahm der Pessimismus sogar wieder leicht zu. Das deutet darauf hin, dass die von den Unternehmen noch im Frühjahr gehegten Hoffnungen auf eine Trendumkehr sich allmählich in Luft auflösen.
Ein Lichtblick: Aufgrund der abflachenden Inflation konnte die Europäische Zentralbank ihre Zinswende einleiten. Im Juli senkte sie erstmalig die Zinsen um 25 Basispunkte, nachdem sie die Leitzinsen zur Bekämpfung der Inflation ab Herbst 2022 drastisch erhöht hatte. Für den weiteren Jahresverlauf erwarten Marktteilnehmer zwei weitere Zinssenkungen.
In ihrer Gesamtschau geben die Indikatoren wenig Anlass zu Optimismus. Zwar dürften die erwarteten Zinssenkungen zu einer leichten Entspannung beitragen – in Anbetracht des weiterhin hohen Zinsniveaus, (geo-)politischer Unsicherheiten und schwacher Geschäftsaussichten dürfte eine Trendumkehr allerdings ausbleiben. Das Roland Berger Institute geht deshalb in seiner Prognose für 2024 von einem Wachstum der Wirtschaftsleistung um lediglich 0,1 Prozent aus. Damit ist Deutschland in diesem Jahr mit Ausnahme von Argentinien das Schlusslicht unter den G20-Nationen. Erst 2025 ist wieder mit einem stärkeren Wachstum von 1,2 Prozent zu rechnen.
Aufgrund schwacher Geschäftsaussichten und geopolitischer Unsicherheit kommt die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 kaum über eine Stagnation hinaus.