Erfolge ohne Eile
In der neuen Ausgabe des Think:Act Magazins erkunden wir die Vorteile eines ruhigeren Tempos und lernen vom Erfolg entschleunigter Unternehmen.
von Steffan Heuer
Illustrationen von Nigel Buchanan
Der legendäre Designer Don Norman lehrte seine Kollegen jahrzehntelang, ihr Augenmerk auf die Produktnutzer zu richten. Heute fordert er Designer auf, sich an der Suche nach Lösungen für die großen Probleme der Menschheit zu beteiligen.
Sie haben das Konzept des "menschenzentrierten Designs" geprägt. Wie definieren Sie es, und welche Art von Design wurde zuvor praktiziert?
Im Laufe der Zivilisationsgeschichte haben Menschen fast alles gestaltet, was uns heute umgibt. Die Objekte, die wir nutzen, mit denen wir leben und auf die wir uns verlassen, aber auch die Ideen, Überzeugungen, Gesetze und Bräuche, die unser Leben bestimmen – all dies wurde künstlich erschaffen. Blickt man auf die Geschichte des Designs, kann man das Tischgeschirr der britischen Firma Wedgwood als Meilenstein betrachten: Designer machten Produkte attraktiver, um Absatz und Gewinn durch Ästhetik zu optimieren. Als ich zum Design kam, war ich Psychologe und Kognitionswissenschaftler. Ich untersuchte Erinnerungen und Aufmerksamkeit, um herauszufinden, warum Menschen Fehler machen. 1979 beim Unfall im Atomkraftwerk Three Mile Island wurde ich hinzugezogen. Wir sollten herausfinden, warum die Betreiber so schreckliche Fehler gemacht hatten. Dabei stellten wir fest, dass sie ihr Bestes gegeben hatten. Aber die Anlage war schlecht konstruiert, fast so, als solle sie Fehler provozieren. Das brachte mich auf einen Gedanken: Man muss verstehen, wie Menschen Technik nutzen. Es stellte sich heraus, dass Industriedesigner, Psychologen und Informatiker an denselben Themen arbeiteten. Als wir uns austauschten, verschmolzen unsere Ideen zu dem, was man heute als menschenzentriertes Design bezeichnet.
Don Norman stieg 1993 bei Apple ein und wurde Vizepräsident des unternehmenseigenen Forschungslabors Advanced Technology Group. 1998 gründete er seine eigene Firma. Seit 2014 leitet Norman das Design Lab der University of California. Sein Buch Design for a Better World kam 2023 auf den Markt. Er rief den Don Norman Design Award ins Leben, um Nachwuchsdesigner zu fördern, deren Arbeit die Gesellschaft voranbringt.
Designer wie Sie sind maßgeblich an der Kreation verlockender Objekte und Dienstleistungen beteiligt. Wie viel Verantwortung trägt Ihr Berufsstand für die Schattenseiten des Kapitalismus, also überzogenen Konsum, wachsende Müllberge und Umweltzerstörung?
Designer stehen im Mittelpunkt vieler Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind. Aber ich werfe ihnen nichts vor. Sie sind auch Opfer, denn sie tun, was von Ihnen verlangt wird. Auf einer Zwischenebene im Entwicklungs- und Produktionsprozess von Unternehmen helfen Designer ihren Auftraggebern, ihre Umsätze und Gewinne zu maximieren.
War die Vorstellung von dem, was Design leisten soll, schon immer falsch?
Designer sind stolz auf ihr handwerkliches Können. Aber es geht um mehr. An einer traditionellen Designschule lernt man zwar viel über Designgeschichte, aber kaum etwas über die Geschichte von Kulturen, Politik oder Wirtschaft. Design wird überdies gerne mit Kunst oder Architektur in einen Topf geworfen, dabei passt das überhaupt nicht zusammen. Künstler kreieren etwas für sich selbst, während Designer etwas für andere erschaffen. Das ist ein großer Unterschied in der Denkweise. Und doch glauben viele Designer, sie müssten Dinge erfinden, die einzigartig und originell sind. Der Gedanke, Dinge immer wieder neu erschaffen zu müssen, verursacht eine große Ressourcenverschwendung. Wir sollten schrittweise Besseres erschaffen.
Ihr Buch The Design of Everyday Things über menschenzentriertes Design ist ein Klassiker. Was hat Sie mit fast 90 Jahren bewogen, noch ein Buch zu schreiben?
Ich habe über meine Karriere nachgedacht. Und auch darüber, welchen Beitrag ich leisten könnte, denn die Welt steckt im Chaos. Sie wird von den Überbleibseln des Modernismus dominiert. Technologie, Wissenschaft und Wirtschaft bestimmen unser Leben. Wir versuchen, alles zu messen – selbst Dinge, die man gar nicht messen kann. Dadurch werden fast alle Aspekte des Lebens zu abstrakten, bedeutungslosen Zahlen. Meine Bücher haben die Anwendung von Dingen vereinfacht. Das ist wichtig, wird die Welt aber nicht verändern. Die Probleme sind bekannt, sogar die Lösungen. Aber kaum jemand wendet das vorhandene Wissen an. Warum nicht? Weil das eigentliche Problem das menschliche Verhalten ist.
Heute fordern Sie Designer auf, sich an der Menschheit auszurichten. Was bedeutet das konkret?
In meinem Buch The Design of Everyday Things habe ich über vier Grundsätze des menschenzentrierten Designs geschrieben. Inzwischen denke ich, dass diese Prinzipien falsch sind. Sie mögen noch immer der beste Ansatz sein, um ein gutes Produkt für Millionen von Menschen herzustellen. Aber die Nachhaltigkeit oder das, was Ökonomen externe Effekte nennen, bleibt dabei unberücksichtigt. Wenn wir schöne Gegenstände herstellen, wenn wir Rohstoffe abbauen, machen wir uns dann Gedanken über die Auswirkungen auf die Umwelt? Wie sieht es mit dem Produktionsprozess aus, der die Luft verschmutzt, oder mit dem Geschäftsmodell, das alle paar Jahre neue Produkte erfordert? Wir erschweren sogar die Reparatur und den Austausch von Teilen. Dadurch häufen wir riesige Müllberge an. Menschenzentriertes Design konzentrierte sich auf die Menschen, die etwas benutzen. In Zukunft müssen Designer die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die Menschheit insgesamt und den ganzen Planeten im Blick haben.
Sind Designer denn bereit, das große Ganze in Betracht zu ziehen?
Designer haben sehr gute Instrumente an der Hand, um die Dinge zum Besseren zu verändern. Leider wird dieses Potenzial noch immer stark unterschätzt. Die meisten Designer stecken in ihren Unternehmen regelrecht fest. Wie viele CEOs von großen Unternehmen kommen aus dem Design? Vermutlich kein einziger. Wie viele Chief Design Officers gibt es in großen Unternehmen? Vielleicht 20. Warum nicht mehr? Weil vor allem Ingenieure befördert werden. Und nach der Beförderung hört man ohnehin auf, in seinem Fachgebiet zu arbeiten. Stattdessen soll man das Unternehmen erfolgreich machen. Und es gibt noch eine zweite Herausforderung: Designer und Künstler verabscheuen Wirtschaft und Politik. Man kann die Welt aber nicht grundlegend verändern, ohne die politischen Rahmenbedingungen zu gestalten. Kurz gesagt: Designer sind zwar verantwortlich für den Schlamassel, in dem wir stecken, aber es ist nicht ihre Schuld. Es liegt daran, wie sie erzogen und ausgebildet wurden. Sie haben einfach nicht die Macht, etwas zu verändern. Noch nicht.
Haben wir vielleicht schon einen Punkt erreicht, an dem eine neue Generation von Designern das Ruder übernimmt und das blinde Vertrauen in Modernismus und Technologie hinter sich lässt?
Das ist ein Trend, ja. Aber nicht notwendigerweise, weil Jüngere nachkommen. Unsere Gesellschaft hat endlich ein anderes Verständnis für Themen wie die Umweltzerstörung entwickelt. Sie sind ja auch nicht wirklich neu. Durch Klimawandel, Stürme, Überschwemmungen und Dürren beginnen wir zu erkennen, was wir angerichtet haben. Das ist es, was den Wandel vorantreibt.
Wie können Unternehmen das Problem angehen? Müssen sie Designern eine neue Rolle zuweisen und sie mit mehr Macht ausstatten?
Ich denke, der Wandel muss vom Berufsstand der Designer selbst ausgehen. Wie kann man die Umweltzerstörung aufhalten? Die Lösung heißt Kreislaufwirtschaft . Im Grunde kopieren wir damit die Natur: Was wächst, wird irgendwann sterben und wieder zur Grundlage für neues Leben. Diese Erkenntnis verändert das Wesen eines Unternehmens. Wenn Sie als Designer biologisch wiederverwertbare oder verwendbare Materialien nutzen möchten, müssen Sie es Ihren Vorgesetzten sagen: Wir machen das falsch! Sie können sich jedoch nicht nur beschweren. Manager wollen Lösungen. Die Kreislaufwirtschaft ist aber noch keine Lösung, sie ist ein Konzept. Zeigen Sie ihnen also, wie man eine Kreislaufwirtschaft implementiert und wie viel das kosten wird. Entwerfen Sie Produkte, die leicht zu reparieren sind und lange halten, geht der Umsatz zurück. Designer müssen also Vorschläge entwickeln, wie das Unternehmen mit einem solchen Modell weiterhin erfolgreich im Geschäft bleibt.
Wenn etwas logisch und rational erscheint, war es vielleicht so, als Sie geboren wurden. Ein Konstrukt, keine natürliche Tatsache. Wollen wir unsere Lebensweise verändern, müssen wir fast alles ändern: wie wir leben, uns verhalten und auch die Dinge, die wir produzieren.
Können Sie uns Beispiele für Designlösungen nennen, die Ihren Vorstellungen entsprechen und auch für Unternehmen attraktiv sind?
Es gibt eine wunderbare Lösung, für die Designer ihre Expertise einsetzen sollten, und zwar das "System- und Dienstleistungsdesign". Die Idee besteht darin, nicht mehr auf den Verkauf von Produkten zu setzen, sondern Dienstleistungen anzubieten. In jedem Produkt steckt ja letztlich eine Dienstleistung. Ich kaufe eine Tasse, weil sie ein Getränk fasst und warm hält. Eine Kamera macht nicht nur Bilder, sie speichert Erinnerungen. Unternehmen wie Rolls Royce und General Electric verkaufen keine Triebwerke mehr, sie verkaufen Flugstunden und Servicemodelle. Um ein großartiger Designer zu werden, muss man ein guter Geschäftsmann sein – mit besonderer Kenntnis für die Funktionsweise von Gesellschaften und Kulturen.
In der neuen Ausgabe des Think:Act Magazins erkunden wir die Vorteile eines ruhigeren Tempos und lernen vom Erfolg entschleunigter Unternehmen.