Erin Meyer über kulturelle Einflüsse am Arbeitsplatz

Think:Act Magazin “Das Leben Verbessern”
Erin Meyer über kulturelle Einflüsse am Arbeitsplatz

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München Office, Zentraleuropa
22. November 2021

Die Ökonomin Erin Meyer hat eine Culture Map über kulturelle Einflüsse am Arbeitsplatz entwickelt

Interview

von Janet Anderson
Illustrationen von Sören Kunz

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Die Management-Expertin Erin Meyer schult Führungskräfte darin, wie sie kulturbedingte Missverständnisse in ihren globalen Teams erkennen – und Diversität in Innovationskraft umwandeln.

Mal ehrlich: Wie oft hat Sie das Verhalten eines Kollegen verwundert? Sprang er beim Meeting direkt ins Thema, ohne auch nur "Hallo" zu sagen? Oder starrte er Sie nur schweigend an, als Sie versuchten, ihm eine klare Antwort auf eine Frage zu entlocken? Dann liegt vielleicht eine kulturelle Problematik vor. Multikulturelle Teams gehören in unserer globalisierten Arbeitswelt zur Tagesordnung. Diversität sorgt für frische Ideen und Herangehensweisen. Aber auch für Missverständnisse.

Die Management-Professorin Erin Meyer hat Führungskräfte weltweit in kultureller Achtsamkeit geschult. Ihr Buch Die Culture Map ist ein praxisorientierter Leitfaden für alle, die im Arbeitsleben kulturelle Unterschiede austarieren wollen. 2016 wurde Meyer vom Netflix -CEO Reed Hastings engagiert, um die internationale Expansion des Streamingdienstes zu begleiten. Heute bedient sein Unternehmen mehr als 200 Millionen Menschen aus verschiedensten Kulturen mit Inhalten.

Die Illustration zeigt Erin Meyer, Management-Professorin an der Business School INSEAD und Autorin des Buchs The Culture Map. © Sören Kunz
Erin Meyer ist Professorin für Management an der Business School INSEAD und Autorin von "Die Culture Map".

Warum ist es eine solche Herausforderung, kulturelle Unterschiede am Arbeitsplatz auszutarieren?

Was in dem einen Kulturkreis einen guten Kommunikator ausmacht, ist etwas anderes als das, was in einer anderen Kultur einen guten Kommunikator ausmacht. Auch der Aufbau von Vertrauen läuft in einem Land nach anderen Regeln ab als in einem anderen. Die Culture Map hilft Führungskräften, die global im Einsatz sind, zu verstehen, wie sie ihren Stil anpassen können.

Wie nutzen Unternehmen Ihr Tool?

Netflix erstellte damit eine eigene Culture Map seines Unternehmens. Dafür diskutierten die 100 führenden Entscheider des Unternehmens in kleinen Gruppen darüber, an welchem der acht Punkte sie einen Haken setzen würden. Anschließend glichen sie ihre Unternehmenskultur mit der der Länder ab, in die sie expandieren wollten.

Erin Meyer

Erin Meyer ist Professorin für Management an der Business School INSEAD. In ihrem Buch "Die Culture Map" erklärt sie, wie sich kulturelle Unterschiede am Arbeitsplatz austarieren lassen. In ihrem zweiten Buch "Keine Regeln" erkundet sie gemeinsam mit Netflix-CEO Reed Hastings, wie die Unternehmenskultur von Netflix Innovationen rund um die Welt ermöglicht.

Was fanden sie dabei heraus?

Offenheit gilt bei Netflix als wichtiger Wert. Aber die Niederländer meinten, ihre amerikanischen Kollegen wüssten nicht einmal, was Offenheit bedeutete. Tatsächlich zeigte sich auf der Culture Map, dass Amerikaner weniger direkt kommunizieren als Niederländer. Hinzu kommt, dass die niederländische Entscheidungsfindungskultur viel stärker auf Konsens ausgerichtet ist. Das Netflix-Team erkannte, dass eine Menge Probleme daher rührten, dass sich die Niederländer viel Zeit für Entscheidungen ließen und sich gleichzeitig durch die Art und Weise, wie die Amerikaner Entscheidungen fällten, nicht einbezogen fühlten. Die Probleme beruhten also nicht auf persönlichen Ursachen, sondern auf kulturellen. Mit diesem Wissen konnte das Team bessere Strategien entwickeln.

Die meisten Menschen sind sich nicht darüber bewusst, wie sehr Kultur ihr Verhalten beeinflusst. Wie helfen Sie ihnen dabei, dies zu erkennen?

Ein interessantes Beispiel dafür ist die Art, wie wir Feedback geben. In den USA geben wir viel positives Feedback. Wir nutzen es, um negatives Feedback darin zu verpacken. Für Menschen aus anderen Ländern ist das sehr verwirrend. In Frankreich erhalten Mitarbeiter seltener positives Feedback und in schwächerer Form. So dachte ein amerikanischer Chef, dass er seiner französischen Mitarbeiterin deutlich erklärt hätte, dass ihre Arbeitsleistung unzureichend ist. Aber weil er zunächst alles aufzählte, was sie gut machte, hielt sie es für das beste Feedback, das sie jemals von einem Chef erhalten hatte.

Brauchen wir mehr Bescheidenheit?

Es gibt nichts Frustrierenderes als Menschen, die glauben, das alles zu wissen, weil sie seit Langem international arbeiten. Aber als Netflix 2016 die Expansion in 130 Länder begann, sagte man: Wir wollen herausfinden, was wir noch über die Welt lernen können, angefangen beim CEO. Das ist genau das Maß an Bescheidenheit und Neugier, das es braucht, um international agierende Unternehmen voranzubringen.

Viele Menschen in Firmen, die international tätig sind, kommunizieren in einer Fremdsprache. Welche Rolle spielt das?

Wer in seiner Muttersprache spricht, befindet sich in einer mächtigeren Position. Aber ob sich jemand in Meetings zu Wort meldet, hängt meist nicht von der Sprache ab, sondern von anderen Dingen, beispielsweise der Risikobereitschaft. In den USA erhalten wir eine Note dafür, wie sehr wir uns im Unterricht einbringen: Wer nichts sagt, trägt nichts bei. In Singapur, Japan oder Brasilien liegt der Fokus darauf, Risiken zu vermeiden. Dort vergewissert man sich, alles gründlich zu durchdenken und mit anderen in der Gruppe abzustimmen, bevor man sich meldet. Wer das begriffen hat, kann damit umgehen. So kann ein Teamleiter beispielsweise ankündigen: "Nächste Woche frage ich nach eurem Input. Bitte stellt euch darauf ein."

Welche Botschaft kommt an?
1. Überzeugungskraft

Wer Hintergründe und Prozesse erklärt, zeigt damit Respekt – oder nervt Menschen aus Kulturkreisen, die direkt zum Punkt kommen.

2. Effizienz

Strikte Zeitpläne erscheinen einigen Kulturen essenziell, andere empfinden sie als ein Hindernis für echte Produktivität.

3. Führungsstärke

Chefs, die sich als Gleiche unter Gleichen gebärden, wollen so ihrem Team Wertschätzung signalisieren. Manche Kulturen aber werten dies als Inkompetenz.

Es ist nichts Persönliches (aber auch)

Wir sind alle Individuen, unabhängig von unserer kulturellen Herkunft. Dennoch: Kultur spielt eine große Rolle in unserem Verhalten. Es ist notwendig, das zu respektieren.

Gibt es weitere Faktoren, die Kommunikation beeinflussen?

Es gibt beispielsweise Unterschiede darin, wie gut wir mit Stille umgehen können. Wenn ich auf eine Frage drei Sekunden lang schweige, wird ein Amerikaner denken, dass etwas nicht stimmt – und sich selbst eine Antwort geben. Japaner hingegen können ohne Probleme zwölf Sekunden durchhalten. Das bedeutet auch, dass in einigen Kulturen mehr gesprochen wird. Ist ein multikulturelles Team sich nicht darüber bewusst, wie es Diskussionen moderieren muss, werden einige den gesamten Raum einnehmen und viele Stimmen nicht gehört werden.

Sie sagen, dass monokulturelle Teams oft schneller entscheiden. Was sind die Vorteile multikultureller Teams?

Mit Menschen, die derselben Gruppe angehören, können wir uns leichter abstimmen. Das zeigt ein Blick auf die Vorstandsetagen vieler Unternehmen, in denen es kaum Diversität gibt. Ist das Ziel aber, innovativer zu denken, lohnt es sich, in multikulturelle Teams zu investieren. Möglicherweise braucht man etwas länger, wenn man sicherstellen will, dass jede Stimme gehört wird. Zudem kann es ein sehr emotionales Erlebnis werden, weil wir feststellen, dass unsere Botschaften falsch interpretiert wurden. Aber je häufiger wir so handeln, desto mehr öffnen wir das Tor für Innovationen.

Werden in unserer globalisierten Welt die Unternehmenskulturen irgendwann miteinander verschmelzen?

Die Welt ist in Bewegung, aber sie verschmilzt nicht. Wir sehen, dass sich die ganze Welt hin zu weniger hierarchischen Strukturen bewegt – von Nigeria, einer der hierarchischsten Kulturen überhaupt, bis hin zu Dänemark, einer der egalitärsten. Aber das bedeutet nicht, dass Dänemark und Nigeria zusammenkommen werden, sondern lediglich, dass sie sich in dieselbe Richtung bewegen. Gleichzeitig beobachten wir, dass sich die gesamte Welt hin zu kontextärmerer Kommunikation bewegt. Je häufiger wir mit Menschen aus anderen Ländern zusammenarbeiten, desto schwieriger wird es, mit unterschwelligen Botschaften zu kommunizieren. Wir müssen vereinfachen.

Kann man kulturelle Differenzen in Videokonferenzen ausgleichen?

Computerbildschirme berauben uns der Möglichkeit, die Signale des anderen zu erkennen. Menschen aus Kulturkreisen, die stark beziehungsgeprägt sind, fällt es schwer, Vertrauen aufzubauen, wenn sie keine emotionale Bindung herstellen können. Und es ist nicht natürlich, emotionale Bindungen über Videokonferenzen herzustellen. Aber man kann es schaffen, wenn man daran arbeitet.

Wie erging es Netflix mit seiner multikulturellen Herausforderung?

Ich glaube, dass Netflix vor allem gelernt hat, Kulturen so anzugehen, wie es seine Fernsehsendungen angeht. Netflix bietet großartige Filme und Inhalte aus allen möglichen Ländern mit lokaler Einfärbung. Und genauso sollte man Kulturkreisen begegnen. Wer sich internationalisiert und in neue Märkte vordringt, braucht nicht sein ganzes Wertesystem umzukrempeln und alle Pfeiler einzureißen, die ausmachen, wer man ist. Aber man sollte jedem Land zugestehen, sich auf Verhaltensweisen zu konzentrieren, die in dieser Umgebung funktionieren. Das Unternehmen Netflix, dem Offenheit so wichtig ist, hat gelernt zu hinterfragen, wie Offenheit in anderen Ländern definiert wird.

Über den Autor
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Janet Anderson
Janet Anderson hat in Cambridge studiert. Sie schreibt als Autorin für diverse Unternehmenspublikationen und hat in Kommunikationsabteilungen zahlreicher Unternehmen gearbeitet, darunter ein Logistikkonzern und ein Chemieproduzent.
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