Europas Stahlindustrie am Scheideweg
Die Stahlindustrie muss ihre Produktionstechnologie ändern, um die neuen Umweltstandards zu erfüllen.
Von Akio Ito
Der "Green Deal" aus Brüssel bedeutet einen gewaltigen Stresstest für die europäische Stahlindustrie. Ohne weitreichende Investitionen in neue Produktkionstechnologien wird die politische Vorgabe der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 nicht zu erfüllen sein. Wie die Transformation der Traditionsindustrie dennoch gelingen kann, zeigt eine aktuelle Studie.
In knapp drei Jahrzehnten muss die EU klimaneutral sein, so will es der „Green Deal“, den die EU Kommission im Dezember erstmals angekündigt und Anfang März noch einmal spezifiziert hat. Für die Industrie in Europa bedeutet diese Zielvorgabe generell Unsicherheit und finanzielle Belastungen, die Stahlindustrie aber stellt sie vor existentielle Probleme. Ob sie lösbar sind, ist ungewiss, insbesondere unter Berücksichtigung der zu erwartenden Belastungen durch die Covid-19-Krise.
Existenzielle Fragen für einen Industriezweig
Für die Stahlindustrie ist dieser Beschluss nichts weniger als existenzgefährdend, schließlich ist der Industriezweig für rund vier Prozent aller CO2-Emissionen in Europa verantwortlich. Betrachtet man nur die industriellen Emissionen, sind es sogar 22 Prozent. Mit einer reinen Optimierung der Produktionsmethoden im Bestand ist das Ziel der Emissionsfreiheit nicht erreichbar, denn aktuell werden rund 60 % des europäischen Stahls über die so genannte Hochofenroute produziert: eine effiziente, aber sehr CO2-intensive Produktionsmethode.
Die Stahlindustrie steht also vor folgenden Fragen:
Roland Berger hat die Situation der Stahlindustrie in einer Studie untersucht und Antworten auf einen Teil der Fragen formuliert. „The future of steelmaking – How the European steel industry can achieve carbon neutrality“ bewertet mögliche Technologien und zeigt einen Weg auf, wie die Transformation gelingen kann.
Wasserstofftechnologie als wahrscheinlichste Lösung
So haben die Autoren unterschiedliche Verfahren verglichen, mit deren Hilfe eine Reduzierung der CO2-Emissionen gelingen kann. Die wasserstoffbasierte Direktreduktion via Schachtofen ist dabei am weitesten entwickelt und für das Klima am sinnvollsten.
Unbeantwortet ist bei der Bewertung aber die Frage, wie emissionsarm der notwendige Strom erzeugt werden kann, denn wasserstoffbasierte Reduktionsverfahren benötigen große Mengen an elektrischer Energie für die Elektrolyse. So belaufe sich der Gesamtenergiebedarf für eine klimaneutrale Umstellung der Hochofenroute auf circa 120 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr.
Politischer Wille entscheidend
Bei dieser Aufgabe darf die Politik die Stahlindustrie in Europa nicht alleine lassen. Ohne den politischen Willen und entsprechende Unterstützung ist die notwendige Technologietransformation nicht zu erreichen. Zusätzlich sollte importierter Stahl, der nicht klimaneutral hergestellt wird, besteuert werden, damit die Preise vergleichbar bleiben.
Denn bleibt die Stahlindustrie mit dieser Aufgabe auf sich allein gestellt, müssen die Preise für deren Endprodukte massiv gesteigert werden, wodurch eine internationale Konkurrenzfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Die Abwanderung eines ganzen Industriezweiges oder zumindest der Upstream-Produktion wäre die Folge. Zudem können die finanziellen Folgen von Covid-19 die europäische Stahlindustrie auf Jahre finanziell schwer belasten und so die Technologietransformation gefährden – Konjunkturpakete für "Grünen Stahl" können hier das Mittel der Wahl sein.
Die Stahlindustrie muss ihre Produktionstechnologie ändern, um die neuen Umweltstandards zu erfüllen.