Covid-19 hat den Nachholbedarf bei der Digitalisierung über alle Branchen hinweg aufgedeckt. Welche Prioritäten haben die Unternehmen bei der Digitalisierung gesetzt und vor welchen Herausforderungen stehen sie?
Ulrich Kleipaß: Covid-19 beschleunigte die Nachfrage nach technologischen Lösungen und löste auch eine starke Verlagerung der Digitalisierungsbestrebungen von der Etablierung neuer Geschäftsfelder jenseits der Kernwertschöpfungskette hin zur Fokussierung der Bestrebungen auf die Kerngeschäftsprozesse aus. Konkret sehen wir derzeit, dass Unternehmen zunehmend digitale Lösungen nutzen, um ihre Kerngeschäftsprozesse effizienter und robuster zu gestalten. Besondere Herausforderungen bestehen für viele Unternehmen in der Modernisierung der IT-Strukturen, die oft noch viele Silo-Prozesse beinhalten.
Welche großen technologischen Trends unterstützen diese Entwicklung?
Ulrich Kleipaß: Die wichtigsten technologischen Trends sind Künstliche Intelligenz (KI) und Cloud Computing. Künstliche Intelligenz ist ein Trend, der nur langsam voranschreitet. Die KI hat ein enormes Potenzial, Prozesse effizienter zu gestalten und durch Automatisierung, Vorhersage und Personalisierung enorme Einsparungen zu erzielen, dennoch ist es für Unternehmen immer noch schwierig, gute Anwendungsfälle für die KI zu identifizieren. Es wird wahrscheinlich noch einige Zeit dauern, bis branchenspezifische Anwendungsfälle für die KI identifiziert und implementiert werden, und wir erwarten, dass bald mehr branchenunabhängige KI-Tools eingeführt werden - zum Beispiel die Automatisierung von Callcentern durch sprachgesteuerte Chatbots. Beim Cloud Computing sehen wir derzeit eine große Verschiebung von On-Premise- über Hybrid- zu Full-Cloud-Lösungen.
Welche Rolle werden digitale Plattformen in Zukunft spielen?
Ulrich Kleipaß: Es wird einen zunehmenden Trend zu digitalen Plattformen geben, auch in konservativen und komplexen Branchen. Im
Gesundheitswesen
zum Beispiel hat Covid-19 die Zeitspanne für den Aufbau und das Angebot von Plattformlösungen für Patienten, Ärzte und Versicherer deutlich verkürzt, da die Nachfrage von allen Seiten während der Pandemie gestiegen ist, insbesondere für Telemedizin. Im Gegensatz zu Preisvergleichs-Websites oder Suchmaschinen erwarten wir in komplexeren Branchen, in denen die Prozesse länger und komplexer sind und mehr Interessensgruppen einbeziehen, keine „winner takes it all“-Plattform. Stattdessen erwarten wir verschiedene Plattformen für unterschiedliche Anwendungsfälle. Am Beispiel des Gesundheitswesens erwarten wir, dass es separate Plattformen für Terminvereinbarungen, Telemedizin, Diagnostik und so weiter geben wird.
Wie lässt sich aus Sicht von PE-Firmen das kommerzielle Potenzial von Technologieunternehmen bewerten?
Ulrich Kleipaß: Es gibt verschiedene Faktoren, die bei der Bewertung des kommerziellen Potenzials von Technologieunternehmen berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören eine Überprüfung des schnell wachsenden Marktes, der Kundentrends und der Wettbewerbsdynamik. Darüber hinaus müssen die Einzigartigkeit und Skalierbarkeit einer bestimmten Technologielösung und deren technologisches Grundgerüst untersucht werden. In diesem Zusammenhang kann Roland Berger auf die umfangreichen Ressourcen unserer globalen Digital Practice zurückgreifen.