Geopolitik 2.0
Diese Ausgabe von Think:Act zeigt Unternehmen Wege auf, wie sie in einer Welt, deren geopolitische Bedingungen sich verändern, erfolgreich bleiben.
Nur wer sich anpasst, wird auf Dauer erfolgreich sein. Das gilt auch für lokale Gepflogenheiten und Ansichten. Sieben Schritte, die Ihnen helfen, wenn Sie in anderen Kulturkreisen bestehen wollen.
Rauchwolken, eingeschlagene Fenster, brüllende Demonstranten. Die Aussagen des Fernsehreporters bestätigen: Das brennende Gebäude, das Sie gerade auf dem Bildschirm sehen, ist eine von Ihren Fabriken. Hätten Sie diese Situation vermeiden können? Vielleicht nicht. Schon seit Monaten gab es in dieser Region Proteste gegen ausländische Firmen; und die Bekanntheit Ihres Unternehmens machte es zu einem willkommenen Ziel.
Aber wie wäre es gelaufen, wenn Sie Kontakt zu den Protestierenden aufgenommen hätten, bevor der Boykott sich ausweitete? Oder wenn Sie rechtzeitig die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort verstärkt hätten? Dieses fiktive Szenario ist mehr als wahrscheinlich in einer Welt, die sich von einem globalen Handelsspielplatz wieder in einen Ort streng bewachter Grenzen und nationaler Interessen verwandelt. Für Unternehmen, die über Grenzen hinweg arbeiten, wird es immer komplizierter, die nuancierten kulturellen Unterschiede auszugleichen.
Einer der Gründe dafür ist die zunehmende weltweite Skepsis, dass der globale Handel den Menschen vor Ort Vorteile bringt. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung, die kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 erstellt wurde, ist die Zahl der Menschen, die internationalen Handel als etwas durchweg Positives betrachten, seit 2018 dramatisch gesunken. In vielen Staaten sehen mehr und mehr Menschen den internationalen Handel als etwas Negatives, sogar in Ländern, die zweifellos stark von Exporten profitieren wie Indien, Kanada, Frankreich, Japan, Deutschland und Mexiko.
Dennoch macht Ihre Firma noch immer einen bedeutenden Teil Ihres Geschäfts fern vom heimischen Hauptsitz. Wenn Sie mit ausländischen Kunden verhandeln, in eine Niederlassung im Ausland versetzt werden oder ein Team managen müssen, das sechs Zeitzonen entfernt arbeitet, stellen sich darum wichtige Fragen: Was wissen Sie über die Menschen, mit denen Sie dort arbeiten? Wie kommunizieren Sie Dinge richtig? Und wie erhöhen Sie die Chancen, dass der Auslandseinsatz für Sie zu einem Sprungbrett wird und nicht zu einem Stolperstein?
Gehen Sie nicht davon aus, dass Sie Ihre Wortwahl und Ihren Stil in Meetings automatisch auf Ihre neue Umgebung übertragen können“, warnt Edward Hess, emeritierter Professor für Business Administration an der Darden School der University of Virginia und Autor von Hyper-Learning: How to Adapt to the Speed of Change. Hess war als leitender Angestellter in mehreren großen Firmen auf zwölf verschiedenen Auslandsposten stationiert. Aus seiner Erfahrung heraus rät er dringend dazu, sich im Vorfeld gründlich über den Einsatzort zu informieren. "Fragen Sie Kollegen, die das Land besucht haben, wie man sich verhalten sollte. Was gilt als Fauxpas? Wenn Menschen in Ihrem Unternehmen bereits dort gearbeitet haben, fragen Sie nach, wie sie das Vertrauen ihrer Kollegen vor Ort erworben haben."
"Tauchen Sie hinein", lautet der Rat von Eric Rubin. Er ist Präsident der US Foreign Service Association, dem Berufsverband des Auswärtigen Dienstes der USA, für den Rubin 35 Jahre lang arbeitete, unter anderem als Botschafter in Bulgarien. "Ich lese Unmengen und rede mit Menschen. Nur so funktioniert es. Erstens weiß man so bereits vieles, bevor man ankommt. Zweitens: Wenn man sich wirklich hineinkniet und für Dinge begeistert, nimmt man viel mehr für sich mit."
Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes der USA werden in der Regel vor ihrem Einsatz sechs Monate bis zu zwei Jahre in Vollzeit in der Sprache des Gastlands geschult. Rubin lernte sechs Monate lang Bulgarisch, bevor er Botschafter wurde. Da er damals bereits Russisch und Ukrainisch sprach, fiel ihm das Erlernen einer weiteren slawischen Sprache leicht. Zudem schaute er bulgarische Nachrichtensendungen an. "Das hat sehr viel gebracht, weil sich meine Ohren an den Klang der Sprache gewöhnten", sagt er. "Hinzu kommt, dass im Fernsehen sehr schnell gesprochen wurde, das war eine tolle Herausforderung."
Wie aber geht man vor, wenn man sich nicht in einem neuen Land, sondern in einem neuen Unternehmen zurechtfinden muss? "Meine Antwort besteht aus zwei Worten: unaufhörliche Neugier", sagt David Omand , ehemaliger Staatssekretär im britischen Verteidigungsministerium, Geheimdienstkoordinator und Autor von How Spies Think: Ten Lessons in Intelligence. "Wenn Sie nicht wissen, wie es um Kultur und Umgebung bestellt ist, müssen Sie es herausfinden. Und der einzige Weg dafür ist, Fragen zu stellen."
"Es gibt dafür das wunderschöne deutsche Wort "Fingerspitzengefühl'", sagt Omand. "Ich habe es durch einen Kollegen kennengelernt, der in der Britischen Rheinarmee diente. Dort beschrieb man damit das Gefühl, das ein Militärkommandant für das Gelände haben muss. Das Gefühl in den Fingerspitzen sagt einem: Das fühlt sich richtig an oder eben nicht. Ich glaube, dass erfahrene Führungskräfte ein ebensolches Gefühl entwickeln. Wenn sie eine Firma oder eine Fabrik betreten, oder im Falle des Geheimdienstes eine dieser fallverarbeitenden Abteilungen, in denen die Mitarbeiter Akten über Menschen anlegen, bekommen sie ganz schnell dieses Gefühl. Unternehmer haben mir erzählt, dass es exakt dasselbe ist, wie wenn man sich eine Produktionslinie anschaut: Liegen Späne auf dem Boden herum oder ist er gereinigt? Wie riecht es auf der Toilette? Es sind kleine Dinge, die einem anzeigen: Dieser Laden läuft, diese Menschen wissen, was sie tun."
Versuchen Sie so viel wie möglich über das Privatleben Ihrer Kollegen zu erfragen", sagt Prasad Kaipa, Leadership-Coach, Berater und Co-Autor von From Smart to Wise: Acting and Leading with Wisdom: "Man muss persönliche Dinge kennen, wenn man etwas Bedeutsames erreichen und Engagement und Interesse wecken will. Werden diese Faktoren nicht in die Arbeit integriert, erhalten Sie vielleicht Produktivität, aber nur eine glanzlose Form von Produktivität."
Wenn Sie ein Team leiten sollen, das aus Menschen besteht, die Sie nicht kennen, müssen Sie nicht nur sicherstellen, dass Sie diese Gruppe verstehen, sondern auch, dass dies umgekehrt der Fall ist. Auch kleine Aufträge würden in der Regel sehr viel schneller erledigt, wenn Menschen verstünden, warum sie erteilt werden, meint Leadership-Coach und Berater Prasad Kaipa: "Ergänzen Sie Ihren Auftrag um etwas Kontext." Zudem rät er dazu, offen zu kommunizieren. "Wenn wir Menschen die Möglichkeit geben, etwas zu jammern und sich zu beschweren, stärkt das die Beziehung untereinander." Und das beinhaltet auch Sie selbst: "Wer Authentisches von sich preisgibt, macht sich verletzbar", sagt Kaipa. "Dann werden sich Menschen Ihnen gegenüber eher öffnen."
Dennoch müssen Sie wachsam sein, meint Rubin. Im Falle eines US-Botschafters wäre sogar die ehrliche Antwort auf die Frage, wie es Ihnen auf Ihrem neuen Posten gefällt, ein mögliches Sicherheitsrisiko.
"Menschen zu führen ist wie Tango tanzen", meint Nancy Benthien, Coach und Kultur-Beraterin: "Eine Führungskraft aus den USA, aus Deutschland oder aus Kanada, die Mitarbeiter aus vollkommen unterschiedlichen Kulturkreisen führen soll, muss begreifen, dass Menschen in anderen Teilen der Welt gleich aussehen mögen, aber sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was eine gute Führungskraft auszeichnet." Es kann hilfreich sein, einige Verhaltensnormen zu vereinbaren, etwa zu Pünktlichkeit bei Meetings. "Wenn Pünktlichkeit der Standard sein soll, aber niemand ein Teammitglied, das verspätet erscheint, darauf hinweist, ist die Regel hinfällig", sagt Benthien. Sie rät deswegen darum, Regeln direkt zu Beginn aufzustellen: "Ganz besonders, wenn das Team geografisch verstreut ist, weil die Mitarbeiter sonst unterschiedlichste Vorstellungen davon haben, wie Sachen gehandhabt werden, warum wir uns heute trefen und warum wir als Team arbeiten."
Vertrauen aufzubauen ist in vielen Kulturen ein schrittweiser Prozess. Der Austausch von Geschichten hilft, ihn zu beschleunigen, sagt Nancy Benthien: "Manchmal lasse ich zu Beginn von Workshops oder Team-Coaching-Sessions die Teilnehmer eine Geschichte erzählen, die ihnen etwas bedeutet. So erhalten die anderen einen kleinen Einblick in einen Aspekt von ihnen, der sich von dem unterscheidet, was sie im Büroalltag oder bei einem Meeting erleben. Das hilft, ein Gefühl von psychologischer Sicherheit aufzubauen."
Aber diese Methode ist nicht für jedermann geeignet: "In einigen Ländern, in denen ich gearbeitet habe, trafen sich Führungskräfte und Teammitglieder zu langen Abendessen, bei denen viel getrunken wurde", sagt Hess. Teilweise empfanden meine Gastgeber als beleidigend, dass ich mir selbst dabei Grenzen setzte, darum musste ich Plan B einsetzen: Ich suchte einen Platz in der Nähe von Blumen- oder Pflanzentöpfen und habe heimlich meine Drinks dort hineingegossen."
Ob es darum geht, eine Studie zu erstellen oder einen Toast auszusprechen – in ihrem tiefsten Inneren verbindet Menschen mehr, als sie trennt. "Letztlich sind Menschen überall gleich", sagt Benthien. So wie der viel gereiste Essayist Michel de Montaigne schrieb: "Uns unterscheidet genau so viel von uns selbst, wie uns von anderen unterscheidet."
Diese Ausgabe von Think:Act zeigt Unternehmen Wege auf, wie sie in einer Welt, deren geopolitische Bedingungen sich verändern, erfolgreich bleiben.