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29. September 2024

Wie Führungskräfte von einer gut geplanten Auszeit profitieren

Artikel

von Natasha D’Souza
Fotos von Julia Sellmann

Einst als Karrierekiller gefürchtet, entscheiden sich heute immer mehr Führungskräfte für eine Auszeit. Sie kehren erholt und leistungsstärker zurück. Um aus Der Tretmühle auszusteigen, bedarf es jedoch einer gründlichen Planung, damit die angestrebten Ziele erreicht werden können.

Gut zu wissen
Prioritäten ändern:

Personalchefs bewerten eine berufliche Auszeit zunehmend positiv und nicht mehr als Karrierekiller.

Potenzial Pflegen:

Wie Profisportler sollten auch Führungskräfte gezielt Ruhe- und Erholungsphasen einplanen, um ihr Leistungspotenzial zu stärken.

Die Zeiten haben sich geändert:

Zu viele Führungskräfte, vor allem Frauen, fürchten zu Unrecht eine Stigmatisierung und einen Karriereknick.

Blick von unten auf ein offenes Fenster mit einem kleinen Vogelkäfig auf dem Fenstersims eines älteren Hauses.

Daisy Auger-Domínguez musste unfreiwillig eine Karrierepause einlegen. Im Jahr 2018 war sie Senior Vice President für Talent-Akquise bei ­Viacom und überwachte eine Umstrukturierung des Unternehmens. Im Laufe des Projekts stellte sie fest, dass ihre Stelle gestrichen wurde. "Als Immigrantin hatte ich noch nie ohne Arbeit gelebt, und ein Großteil meiner Identität bestand darin, dass ich für diese großartigen globalen Marken wie ­Disney, ­Google und ­Moody's tätig gewesen war", erinnert sie sich. "Mit 44 Jahren hatte ich zum ersten Mal keinen Job – und obwohl mich das zunächst verunsicherte, erkannte ich auch, dass mein finanzielles Sicherheitsnetz ein großer Luxus war."

Anstatt sich sofort nach einer neuen Aufgabe umzusehen, beschloss Auger-­Domínguez, eine Pause einzulegen und "intensiver darüber nachzudenken, was ich in meiner Karriere tun könnte". Diese Entscheidung erwies sich für die ­Personal- und Kulturmanagerin als goldrichtig. Während ihrer beruflichen Auszeit schloss sie ei­nen Buchvertrag ab und schrieb ihr erstes Buch Inclusion Revolu­tion: The Essential Guide to Dismantling Racial Inequity in the Work­place. Zuletzt war sie Global Chief People Officer bei ­Vice Media, im August 2023 legte sie ihre zweite Karrierepause ein.

"Vieles im Job wird heute anders betrachtet als früher."

Catherine Rymsha

Dozentin
University of Massachusetts Lowell

Früher wurde eine Auszeit als Rückschlag in der Laufbahn einer Führungskraft angesehen. Heute wird sie zunehmend als ein wichtiger Schritt anerkannt, weil immer mehr Führungskräfte die Tretmühle für eine gewisse Zeit verlassen. In der Gesellschaft insgesamt findet seit der Pandemie ein Umdenken statt. Themen wie Ehrgeiz und berufliche Ziele werden auf den Prüfstand gestellt. "Seit der Pandemie bewerten die Menschen ihr Leben und ihre Arbeit mit ganz anderen Augen", erklärt Catherine ­Rymsha, Autorin und Dozentin für Führungskräfte an der University of Massachusetts Lowell. "Das spiegelt einen Wandel bei den Fachkräften wider. Viele haben sich entschlossen, mehr Kontrolle über ihre Karriere zu übernehmen. Selbst Führungskräfte, vor allem die der Generation X, sehen ihre Karriere heute als eine verschlungene Linie – im Gegensatz zu den früher üblichen geradlinigen Karrierewegen", erklärt Rymsha.

Tankut Sensurucu, Partner bei ­Egon ­Zehnder, einem globalen Beratungsunternehmen für Führungskräfte, stimmt zu. "In den letzten zehn Jahren hat sich die Bereitschaft von Führungskräften, eine berufliche Auszeit oder ein Sabbatical zu nehmen, stark verändert. Die jüngeren Generationen haben eine andere Einstellung zur Work-Life-­Balance und ihrer Karriere. Diese Vorstellungen setzen sich bis in die Führungsetagen durch."

Ein Sabbatical sei heute "das Äquivalent zum Urlaub von vor 30 Jahren, als es noch keine Smartphones gab und es ein echter Urlaub war", meint ­Sensurucu. Außerdem sei es heute viel anspruchsvoller, als Führungskraft zu arbei­ten. Viele Menschen in solchen Führungs­positionen fühlten sich oft von äußeren Einflüssen überfordert. Und sie fänden nicht mehr die nötige Zeit zum Abschalten. "Wenn man sich vor Augen führt, dass Profisportler, die auf Höchstleistung ge­trimmt sind, in ihrem Terminkalender feste Ruhe- und Erholungsphasen einplanen, sollten das dann unsere Führungskräfte nicht auch tun?", fragt er.

Schwarz-Weiß-Nahaufnahme von Händen mit ineinander verschränkten Fingern vor dunklem Hintergrund.

53 %: Anteil der Personen, die meinen, dass sie durch eine berufliche Auszeit besser geworden sind. 51 % der Personal­chefs bestätigten das in derselben Umfrage.

Quelle: LinkedIn

Eine Pause einlegen

Sensurucu weist darauf hin, dass Führungskräfte, die über ein Sabbatical nachdenken, meist be­reits mehrere Karriereziele er­reicht und sich in ihrer Branche einen Namen gemacht hätten. In der Regel hätten sie auch finanziell ausgesorgt oder einen gewissen gesellschaftlichen Status erlangt. Manchmal möchten sie sich selbst verwirklichen und weiterentwickeln. Ein beruflicher Rückzug auf Zeit kann also viele Gründe haben: familiäre Verpflichtungen, gesundheitliche Beschwerden, eine Weiterbildung, Reisen, ehren­amtliche Arbeit und anderes mehr.

Ein Beispiel ist James Raybould, der nach zwölf Jahren bei LinkedIn eine Auszeit nahm. Er war vor dem Börsengang zu dem Unternehmen gekommen und zu einer Führungskraft mit Verantwortung für über 100 Mitarbeiter aufgestiegen. ­Raybould erzählt, seine einjährige Pause habe mehrere Gründe gehabt: der Verlust eines engen Freundes, das Gefühl, dass er bei LinkedIn nicht mehr viel Neues ler­nen kann, und die Erkenntnis, dass seine Kinder in einem Alter waren, in dem er sie gerne mehr sehen wollte. Ein Jahr ohne Einkommen konnte er finanziell durchstehen. ­Raybould nutzte seine Karrierepause, um mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen und Kaltwasser-Marathonschwimmen zu trainieren, eine Leidenschaft seit seiner Teenagerzeit. "Ich gestaltete meine Auszeit so, dass ich viele neue Anregungen bekam. Und ich merkte, wie sehr ich die größere Flexibilität und intellektuelle Vielfalt genoss. Nach meiner Karriere­pause wusste ich, dass eine Rückkehr in eine Vollzeit­beschäftigung nicht das Richtige für mich war", erzählt ­Raybould. Heute arbeitet er für ­LinkedIn und als Teilzeit-Führungskraft für zwei KI-Start-ups.

Fünf Tipps, wie man die berufliche Auszeit sinnvoll und gewinnbringend gestaltet:
Warum das alles?

Machen Sie sich klar, warum Sie eine Pause einlegen wollen. Ein Burn-out? Kommen Sie beruflich nicht weiter? Auf Sinnsuche? Klarheit wird zu Ihrem Kompass.

2. Die Gedanken befreien

Sie sollten den Kopf frei ­bekommen, bevor Sie sich eine neue Struktur zurecht­legen. Das gilt insbesondere nach einem Burn-out. Lesen, malen, wandern oder ­schreiben: Beschäftigen Sie sich mit ­Dingen, bei denen Sie Ihre Gedanken schweifen lassen können. Es geht nicht darum, produktiv zu sein.

3. Einen Rahmen schaffen

Bei einem Sabbatical muss man sich drei Fragen stellen: Was sollte erledigt werden, bevor man entschleunigt? Welche neuen ­Möglichkeiten erhoffen Sie sich vom Innehalten? Was könnte Sie dabei unter­stützen, sich über Ihre Zukunfts­ziele klar zu werden?

4. Lassen Sie sich beraten

Viele Führungskräfte entscheiden sich in dieser Zeit für die Zusammenarbeit mit einem Coach, um an sich zu arbeiten. Sie können auch einen engen Freund oder ein Familien­mitglied hinzuziehen.

5. Dauer festlegen

Ein Sabbatical von mehr als einem Jahr kann Fragen beim Wiedereinstieg aufwerfen. Bereiten Sie sich darauf vor, einen guten Grund für ihre lange Auszeit nennen zu können.

Die ehemalige Google-Mitarbeiterin und Autorin von Pause: Harnessing the Life-Changing ­Power of Giving Yourself a Break, ­Rachael ­O'Meara, sagt, sie habe sich zu einer bezahlten Auszeit entschlossen, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken und in Ruhe darüber nachzudenken, welche Art von Führungsrolle im Unternehmen am besten zu ihr passt. Nach drei Monaten Pause kehrte sie zu Google zurück – und blieb dem Unternehmen weitere zehn Jahre treu. Sie ist überzeugt davon, dass eine Karrierepause in Unternehmen so normal werden sollte wie in akademischen Institutionen. "Ein Sabbatical ist für fest angestellte Professoren geradezu obligatorisch. Warum sollte das nicht auch in der Wirtschaft gelten?", fragt ­O'Meara.

"Man weiß nie, was man über sich lernt."

Tankut Sensurucu

Partner
Egon Zehnder

Auch einschneidende Ereignisse im Leben wie der Verlust eines geliebten ­Menschen oder eine schwere Krankheit bringen einen Wendepunkt. ­Sensurucu war 35 Jahre alt und auf dem Weg nach oben bei Coca-Cola, als er seinen Vater verlor. "Plötzlich veränderte sich meine Sicht auf das Leben, meine Karriere und die Welt so sehr, dass ich in dieser Rolle nicht mehr voll bei der Sache sein konnte", erinnert er sich. ­Sensurucu organisierte sich für fast zwei Jahre lang einen flexiblen Arbeits­plan, bevor er zu ­Egon ­Zehnder wechselte.

Wie wirkungsvoll eine Auszeit vom Beruf sein kann, ist in den vergangenen Jahren zunehmend deutlich geworden: Führungskräfte, meist ab 40, zeigen Möglichkeiten auf, wie man eine oder mehrere bewusst gewählte Pausen einlegt und gleichzeitig erfolgreich Karriere macht. Auger-Domínguez führt den Erfolg ihrer ersten Auszeit darauf zurück, dass sie dank ihrer Expertise einen Mehrwert schaffen konnte: Sie baute ihre Beratungstätigkeit aus, schrieb ein Buch und hielt Vorträge. "Die jüngere Generation hat es vorgemacht. Es wird immer mehr Führungskräfte geben, die eine Mischung aus selbst­ständiger Arbeit, Teilzeitarbeit und Vollzeitbeschäftigung ausüben", sagt sie.

Blick von oben auf einen Mann in heller Hose und dunkler Jacke, der an einem sonnigen Tag auf einer Straße geht; rechts von ihm ist sein langer Schatten zu sehen.

Das "Pausen-Paradox" auflösen

Ex-Google-Führungskraft O'Meara warnt, dass viele Manager im "Pausen-Paradox" gefangen blieben. Sie wüssten zwar um die Vorteile, fürchteten aber zugleich auch Rückschläge oder eine Stigmatisierung, wenn sie auf dem Weg in die Chefetage eine Auszeit nähmen. Konventionelle Exzellenz- und Leistungsstandards scheinen Spitzenkräfte immer noch davon abzuhalten, eine Karrierepause einzulegen. ­Sensurucu fügt hinzu, dass dazu auch Mut gehöre: "Nach meiner Beobachtung haben Führungskräfte nicht nur Angst davor, als nicht gut genug abgestempelt zu werden, sondern sie fürchten auch das Unbekannte. Man weiß eben nie, wohin einen eine solche Erfahrung führen wird und was man dabei über sich lernt."

Eine Auszeit auf dem Höhepunkt der Karriere oder nach einer großen Leistung könne als Verlust des Interesses an der eigenen Karriere oder der Motivation interpretiert werden, so Auger-­Domínguez. Deshalb sei es wichtig, eine Auszeit bewusst und strategisch zu gestal­ten. "Jeder wird eine Meinung dazu haben, warum jemand eine berufliche Auszeit ­nimmt. Aber solange man selbst etwas Sinnvolles aus der Pause mitnimmt und klar formulieren kann, was einen zu der Auszeit bewogen hat, werden die richtigen Leute das auch verstehen."

46 %: Anteil der Personalchefs, die der Meinung sind, dass Bewerber, die eine Berufspause eingelegt haben, ihre neuen Fähigkeiten nicht gut genug hervorheben.

Quelle: LinkedIn

Bei Frauen scheint eine Auszeit schlechter angesehen zu sein als bei Männern. Sie unterbrechen ohnehin häufiger ihre Karriere, wobei ein Mutterschaftsurlaub der häufigste Grund dafür ist. Eine globale Umfrage von ­LinkedIn hat ergeben, dass 64 % der Frauen im Laufe ihrer Karriere eine Berufspause einlegen. Diese Unterbrechungen können erhebliche Auswirkungen auf ihre Laufbahn, Führungsrolle und finanzielle Situation haben. Auger-­Domínguez betont, dass die gesellschaftlichen Erwartungen für beide Geschlechter verschieden sind. "Wenn Frauen aus den gleichen Gründen wie Männer eine berufliche Auszeit nehmen, gibt es immer noch soziale Normen, die Frauen den Löwenanteil der Hausarbeit und der Kinderbetreuung aufbürden. Frauen, die eine Auszeit nehmen, haben nicht die gleichen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung oder beruflichen Neuorientierung wie Männer."

Unabhängig vom Geschlecht bietet eine Pause zahlreiche Vorteile, die über den Beruf hinausweisen. "Ich glaube, wir erkennen langsam, dass eine Auszeit nicht nur für ein langes Berufsleben gut ist, sondern auch für ein langes Leben", sagt ­O'Meara. Sie verweist auf den Stress, den eine Führungsposition mit sich bringt: "Wenn wir nicht umsteuern, werden wir nicht die Spitzenkräfte sein, die wir sein könnten."

Über den Autorin
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Natasha D’Souza
Natasha D'Souza ist Journalistin, Beraterin und Vortragsrednerin. Ihre Texte zu Karrierefragen und Unternehmertum wurden in Fast Company und Harvard Business Review veröffentlicht.
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Veröffentlicht September 2024. Vorhanden in
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