Stores, neu erfunden
Der Online Handel boomt, zuletzt durch die mit Covid-19 verbundenen Lockdowns nochmals deutlich befeuert. Jetzt gilt es, die Kunden mit magischen Momenten zurückzuholen und auf Convenience sowie Online-Unterstützung zu setzen.
Der Siegeszug des E-Commerce, Geschäftsschließungen während der Pandemie und zuletzt gestörte Lieferketten durch Lockdowns in China und den Ukraine-Krieg haben den (stationären) Einzelhandel in den letzten Jahren stark belastet und manche Händler an den Rand des Ruins getrieben. Nun droht neues Ungemach: Durch die massiv steigende Inflation explodieren die (Einkaufs-)Kosten der Handelsunternehmen.
Gleichzeitig werden die Kunden immer anspruchsvoller und halten sich aufgrund der Inflation bei nicht notwendigen Anschaffungen zurück. Der Einzelhandel muss sich neu erfinden, um nicht weiter abzurutschen, prognostizieren die Handels- und Restrukturierungsexperten von Roland Berger.
Der Handel ist mit 22 Prozent der Beschäftigten eine der größten und zugleich die vielleicht vielfältigste Branche in Deutschland. Möbel, Mode, Elektro, Baumärkte und Drogerien sind neben dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) seine größten Sparten. Hinzu kommen weitere Non-Food-Segmente wie Apotheken, Bücher, Kfz-Handel oder Tankstellen sowie der Großhandel. Die Branche befindet sich seit vielen Jahren im Umbruch. Haupttreiber des Wandels ist der E-Commerce, der während der Corona-Lockdowns nochmals an Dynamik gewonnen hat. Digitalisierung und Convenience verändern die gesamte Handelslandschaft: Umsätze verlagern sich von der Fläche ins Netz, Konzerne expandieren auf Kosten mittelständischer Anbieter und die Attraktivität der Metropolen wächst zulasten kleinerer Städte. Neue Vertriebsarten wie Quick Commerce (Q-Commerce), bei dem sich alles um Geschwindigkeit dreht, erhöhen den Transformationsdruck der Branche weiter.
Während der Lockdowns in der Covid-Pandemie bot der E-Commerce für viele Menschen zeitweise die einzige Einkaufsmöglichkeit. Der Online-Handel boomte, und für Händler wurden Multichannel und Convenience-Angebote wie "Click & Collect" ein Muss. E-Commerce profitierte von der Corona-Krise, sein Anteil am Einzelhandel im engeren Sinne (ohne LEH) beträgt mittlerweile 20 Prozent.
Großer Verlierer war dagegen der stationäre Handel mit massiven Umsatzeinbußen, die bis heute nicht aufgeholt werden konnten. Zeitweilig war der LEH die einzige Sparte, die im Normalbetrieb arbeiten konnte. Für alle anderen Handelsunternehmen waren die Ladenschließungen im Lockdown desaströs. In der Mode und Kosmetik etwa brachen die Umsätze um bis zu 30 Prozent ein.
Kaum hat sich der Handel einigermaßen von den Auswirkungen der Pandemie erholt, droht neues Ungemach: Die massiv gestiegene Inflation drückt sowohl auf die Margen der Händler als auch auf die Kauflaune der Kunden. Und es gibt vorerst keine Entwarnung, denn die (Einkaufs-)Kosten werden auf absehbare Zeit nicht sinken. Abgesehen von Nahrungsmitteln wird die Kostenweitergabe an die Kunden nur Marktteilnehmern gelingen, die über eine hohe Preissetzungsmacht verfügen. Auch für den zweiten Ansatz zur Margensicherung, die Senkung der eigenen Kosten, gilt: Er ist mit Blick auf die gestiegenen Kundenerwartungen - die nachhaltig ökologische und faire Produktion und Lieferung von Produkten - nicht so einfach umsetzbar. Kann ein Händler diese Anforderungen nicht erfüllen, ist der Wettbewerbsnachteil programmiert. Und nicht nur Kunden fordern die Einhaltung von ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance): Auch auf Banken- und Investorenseite gewinnt das Thema an Bedeutung und kann, bei Nichteinhaltung oder zu langsamer Umsetzung, zu Nachteilen bei der Finanzierung bzw. zu hohen Finanzierungskosten führen.
Und es gibt weitere Herausforderungen: Neben den steigenden Energiekosten und der notwendigen Umstellung der Lieferflotte auf Elektromobilität belastet der zunehmende Fachkräftemangel die künftige Entwicklung. Hinzu kommen die weltweiten Lieferketten- und Logistikprobleme, die sich durch den Ukraine-Krieg und periodische Lockdowns in China nochmals verschärft haben.
Für mehr Unabhängigkeit und Effizienz gerade in Krisenzeiten sind Investitionen in die Digitalisierung der Lieferketten notwendig. Viele Händler nutzen bereits smarte Systeme zur Optimierung ihrer Logistik, Lagerhaltung und Supply Chain, um Kapazitäten besser auszulasten, den Durchlauf zu erhöhen oder Lieferzeiten zu verkürzen. Aber auch die Datenanalyse wird für den Handel zunehmend wichtiger: Mithilfe dynamischer Bepreisung (ähnlich wie an Tankstellen) lassen sich die Preise kurzfristig an die Nachfrage anpassen. Mit Big-Data-Anwendungen können zudem Einkaufstrends und -verhalten der Kunden analysiert und die Kundenansprache optimiert werden. Die Digitalisierung erfordert allerdings hohe Investitionen, die für den stationären Handel nur Sinn machen, wenn die öffentliche Hand ebenfalls ihren Beitrag leistet und mit städtebaulichen Maßnahmen die teilweise vom Verfall bedrohten Innenstädte oder Kieze belebt. Mit neuen Konzepten wie der "10-Minuten-Stadt" können Fußgängerzonen wieder attraktiver werden: In maximal zehn Minuten Fahrzeit erreichen Menschen alles, was sie zum Leben brauchen - Einkaufsläden, Gastronomie, Arztpraxen, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen.
Der stationäre Handel hat eine Zukunftschance, wenn er sich neu erfindet. Organisationen und Systeme müssen zukunftsfähig gemacht werden. Dabei geht es sowohl um die Digitalisierung von Prozessen und Lieferketten sowie den Einsatz intelligenter Systeme als auch um die konsequente Verbesserung von Einkaufserlebnissen am Point of Sale. Dies erfordert umfangreiche Investitionen und einen langen Atem. Aber es wird sich lohnen, wenn jetzt damit begonnen wird.
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