Deutschland verliert an Innovationsfähigkeit, hält aber Platz 2 unter großen Industrieländern
Innovationen sind für industriebasierte Volkswirtschaften unverzichtbar. Nur mit ihnen können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit, ihr Wachstum und den Wohlstand sichern und steigern, ganz abgesehen davon, dass globale Herausforderungen wie Dekarbonisierung und Klimawandel oder auch Pandemien ohne Innovationen kaum zu bewältigen sind. Vor diesem Hintergrund stellen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Roland Berger den Innovationsindikator 2024 vor: Er erfasst und vergleicht die Innovationsfähigkeit von 35 Volkswirtschaften nach einem systematischen Messkonzept. Drei Aspekte stehen dabei im Fokus: Der erste, „Innovationen hervorbringen“, betrachtet den gegenwärtigen Stand, während der zweite Teilindikator „Zukunftsfelder durch Schlüsseltechnologien entwickeln“ den Blick in die Zukunft der technologischen Wettbewerbsfähigkeit der Länder richtet. Die dritte Ebene „Nachhaltig wirtschaften“ analysiert, ob und inwieweit die Innovations- und Produktionssysteme der einzelnen Volkswirtschaften planetare Grenzen einhalten und somit langfristig erfolgreich sein können.
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Innovationsindikator 2024
Die obersten Ränge im Gesamtranking des Innovationsindikators 2024 besetzen wie in den vergangenen Jahren kleinere Nationen. Auf Top 1 der Länder mit der höchsten Innovationsfähigkeit steht erneut die Schweiz mit 71 Punkten, gefolgt von Singapur, das sich um drei Punkte auf 68 steigern konnte. Ebenfalls 68 Punkte erreicht Dänemark: Es gehört zu den dynamischsten und innovativsten Ländern der Welt, konnte seine Performance um acht Punkte deutlich verbessern und ist bei einigen Schlüsseltechnologien weltweit vorne, etwa bei Energietechnologie und Biotechnologie. Durch die positive Entwicklung von Singapur und Dänemark sind die drei topplatzierten Länder enger zusammengerückt und der Punktabstand zu den nachfolgenden Ländern Schweden (58 Punkte), Irland (55) und Finnland (52) hat sich deutlich erhöht.
Keine große Industrienation unter den Top 10
Nach weiteren kleineren Ländern, darunter Belgien und Österreich, kommt erst auf Rang 11 das erste Land aus der Gruppe der großen Industrieländer: Südkorea (44 Punkte). Dahinter folgen Deutschland (43 Punkte, -2), das vom zehnten auf den zwölften Rang rutscht, und Großbritannien (42 Punkte, +1). Die USA (35 Punkte, -7) erreichen Rang 18 und setzen damit den seit Mitte der 2000er-Jahre anhaltenden langsamen, aber kontinuierlichen Rückgang ihrer Innovationskraft fort. Auch eine zwischenzeitliche Stabilisierung dieses Trends wurde durch die Corona-Pandemie zum größten Teil wieder zunichte gemacht.
Die Folgen der Pandemie treffen auch China: Als einzige große Volkswirtschaft zeigte das Land über Jahre hinweg eine sehr dynamische Entwicklung der Innovationsfähigkeit und konnte sich im Innovationsranking kontinuierlich verbessern. Aktuell reiht sich China auf dem 25. Platz noch vor Italien oder Japan ein. Allerdings haben die Corona-Krise und die extremen Abschottungsmaßnahmen der Regierung bewirkt, dass Chinas Innovations-Indexwert seit 2020 stagniert.
Japan steht auf Rang 28 und bildet damit das Schlusslicht des Mittelfelds. Dass das Land relativ weit hinten im Innovationsranking liegt, hat seinen Grund vor allem in Kriterien wie internationale Vernetzung, wissenschaftliche Performance sowie der Situation bei den Fachkräften und beim staatlichen Engagement für Forschung und Entwicklung. In all diesen Bereichen liegt Japan so deutlich zurück, dass auch seine Spitzenwerte in anderen Feldern, etwa bei F&E-Aktivitäten, der Zahl der Patentanmeldungen und beim Thema Hochtechnologie nicht ausreichen, um das Land im Ranking weiter nach vorne zu bringen.
Die hinteren Plätze unter den 35 im Innovationsindikator betrachteten Volkswirtschaften bilden sieben Schwellenländer, darunter vier der fünf BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, Südafrika) sowie die Türkei, Mexiko und Indonesien. Mit Indikatorwerten zwischen 21 und 12 Punkten erreichen sie nur Platzierungen am Ende des Rankings.
Kleine Länder oft hoch spezialisiert, größere breiter aufgestellt
Die Größe einer Volkswirtschaft hat erheblichen Einfluss auf ihre wissenschaftliche und technologische Spezialisierung und somit auf die Innovationsaktivitäten. Kleine Länder müssen sich spezialisieren, um ihre begrenzten Ressourcen und Kompetenzen zielgerichtet und effizient einzusetzen. Damit erreichen sie leichter Spitzenpositionen bei einzelnen Kriterien, wie etwa die drei Erstplatzierten Schweiz, Singapur und Dänemark: Ihre Wissenschaftseinrichtungen gehören zu den weltweit leistungsfähigsten, und ihre Wirtschaft konzentriert sich auf Felder wie Pharma und Biotechnologie oder Elektronik und Automatisierung, in denen neue Forschungsergebnisse besonders wichtig sind.
Bei größeren Ländern ist dagegen die Bandbreite der Aktivitäten deutlich größer, was ihnen erlaubt, in vielen Bereichen eine kritische Masse zu erreichen, gleichzeitig aber an der Gesamteffektivität zehrt. Zudem sind größere Volkswirtschaften auch heterogener, das heißt, bestimmte Aktivitäten sind in aller Regel regional konzentriert, zum Beispiel in Clustern. Betrachtet man zum Beispiel einzelne Bundesstaaten innerhalb der USA, relativiert sich die insgesamt eher schwache US-amerikanische Position teilweise: Eigenständig bewertet würden sich etwa Massachusetts mit Rang 7 und Kalifornien mit Rang 13 deutlich weiter oben im internationalen Vergleich einordnen. (Dasselbe gilt für das deutsche Bundesland Baden-Württemberg, das bei dieser Betrachtungsweise hinter der Schweiz, Singapur und Dänemark auf Platz 4 landet.) Es gibt also in den USA, aber auch anderen Staaten einzelne Landesteile, die weltweit Innovationsleuchttürme darstellen. Gleichzeitig gibt es im selben Land Regionen, die deutlich unterhalb der weltweiten Spitze agieren.
Der Innovationsindikator 2024 ist ein Abbild des weltweiten Innovationsgeschehens, basierend auf wissenschaftlich fundierten Zahlen, erhoben und ausgewertet durch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Vor allem in seinen Details zeigt er deutlich, dass die heutige Positionierung eines Landes das Ergebnis von Entscheidungen und Investitionen in der Vergangenheit ist. Umgekehrt gilt, dass heute die Zukunft gestaltet wird: Wer jetzt nicht Maßnahmen setzt, um die erforderliche Dynamik in Gang zu bringen, wird es in den kommenden Jahren schwer haben, mit den Vorreitern im Wettbewerb mithalten zu können. So besteht etwa in Deutschland in vielen Bereichen ein riskanter Investitionsstau. Denn ausgerechnet beim Aufbau neuen Wissens und neuer Technologien zu sparen, gefährdet Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, zumal immer mehr Länder in den Innovationswettbewerb einsteigen.
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Studie
Innovationsindikator 2024
Der Innovationsindikator 2024, vorgestellt von Roland Berger und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), analysiert die Entwicklung der Innovationsfähigkeit wichtiger Volkswirtschaften.