KI bei der Arbeit

Think:Act Magazin "KI neu denken"
KI bei der Arbeit

15. Mai 2024

Wie künstliche und menschliche Mitarbeiter miteinander klarkommen

Artikel

von Steffan Heuer
Kunstwerk von Carsten Gueth

KI ist dazu da, Arbeitnehmer zu unterstützen – nicht, um die wildesten Programmiererträume zu erfüllen und den menschlichen Geist zu überflügeln.

Daron Acemoğlu schreibt als Arbeitsökonom regelmäßig über Lohnunterschiede. Seine simple Frage an jede KI lautet: Was haben wir Menschen davon, speziell die Belegschaft? Folgt man dem Fachmann, fällt die Antwort darauf bislang alles andere als ermutigend aus. Acemoğlu bedauert, dass Volkswirtschaften weltweit einer "KI-Illusion erliegen" oder der Fehlwahrnehmung, dass neue Technologien wie intelligente Maschinen uns unfassbare Vorteile bringen werden. "Das ist die Fortsetzung von Vorstellungen aus den 1950er-Jahren, denen zufolge es einen großen gesellschaftlichen Wert bringt, Maschinen intelligent und autonom zu machen", sagt der Professor am Bostoner Massachusetts Institute of Technology (MIT) in einem Interview.

Daron Acemoğlu, Professor, Massachusetts Institute of Technology
Daron Acemoğlu, Professor, Massachusetts Institute of Technology
"Statt uns auf Intelligenz zu fixieren, sollten wir auf Nützlichkeit achten."

Daron Acemoğlu

Professor
Massachusetts Institute of Technology

Laut Acemoğlu ist der Großteil, vielleicht sogar die Gesamtheit der KI-Innovationen darauf ausgerichtet, Aufgaben zu automatisieren, zunächst simple Routinen und nun immer komplexere Aufgaben. Der stark umkämpfte und gut finanzierte Kampf um eine KI, die den Menschen in manchen Bereichen übertreffen kann, sei eine Einbahnstraße – weil dabei fälschlicherweise Biomasse gegen Silikon angesetzt werde.

Acemoğlu hält dagegen, dass wir uns statt auf KI besser auf eine andere Messgröße namens "Maschinen-Nützlichkeit" stützen sollten, um her-auszufinden, was KI für unsere Belegschaften leisten kann – etwa, ihre Arbeit produktiver und sinnvoller zu machen. "Statt uns auf Intelligenz zu fixieren, sollten wir auf Nützlichkeit achten", schreibt er in seinem neuesten Werk, Power and Progress: Our 1,000-Year Struggle Over Technology & Prosperity.

Maschinen-Nützlichkeit basiert auf der Feststellung, dass Technologie dem Menschen dienen und ihn ergänzen sollte. Acemoğlu nennt vier Möglichkeiten, wie neue KI-Systeme auf dieses Ziel ausgerichtet werden können: Sie sollten die Produktivität der Arbeitnehmer in ihren aktuellen Jobs verbessern; KI kann menschliche Fähigkeiten ergänzen und so neue Berufsbilder schaffen; KI kann menschliche Entscheidungen durch bessere und nutzbarere Informationen unterstützen; und sie kann schließlich neue Plattformen bieten, die Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen zusammenbringen. All das könnten Co-Piloten oder KI-gestützte Programme tun – wenn wir nur den anmaßenden Anspruch aufgeben würden, dass Werkzeuge wie ChatGPT genauso intelligent sein sollen wie wir, sagt Acemoğlu.

Daron Acemoğlu

Daron Acemoğlu ist spezialisiert auf das Zusammenspiel von Arbeitsökonomie, technischem Wandel, wirtschaftlicher Entwicklung, Wachstum und Ungleichheit. Der MIT-Ökonom hat sechs Bücher geschrieben oder an ihnen mitgewirkt, darunter Warum ­Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut.

Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer an erste Stelle zu setzen, ist kein abwegiger Gedanke. Als Stanford- und MIT-Forscher die Auswirkungen eines neuen, generativen KI-Tools auf Callcenter-Mitarbeiter analysierten, stellten sie fest, dass es die Produktivität um bis zu 30 % steigerte, weil es "die bewährten Verfahren erfahrenerer Mitarbeiter verbreitet und die Lernkurve neuerer Kollegen verbessert". Statt Jobs zu vernichten, kann es also allen nützen, den Arbeitnehmern eine Hand zu reichen. Langzeitstudien scheinen diese Bewertung zu bestätigen. Im Jahr 2013 veröffentlichten die Oxford-Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne eine wegweisende Studie mit dem Titel Die Zukunft der Beschäftigung: Wie anfällig sind Arbeitsplätze für Computerisierung? Sie sorgte für Aufsehen, weil sie fast die Hälfte aller US-Jobs gefährdet sah. Doch als sie ihre Ergebnisse zehn Jahre später überprüften, sahen die Autoren, dass die Maschinen weit davon entfernt waren, den Laden zu übernehmen: "In einer Welt, in der KI im virtuellen Raum brilliert, wird die Kunst des persönlichen Auftritts für viele Manager, Fachkräfte und kundennahe Mitarbeiter besonders wertvoll sein."

Um sich diesen sehr menschlichen Vorteil zu sichern, muss man sich fortbilden. Laut IBM erwarten 40 % der Führungskräfte, dass ihre Belegschaft aufgrund von KI und Automatisierung umgeschult werden müsse. Das wären Statistiken der Weltbank zufolge immerhin 1,4 Milliarden Menschen.

Die gegenwärtige Welle der KI-Begeisterung ist für ­Acemoğlu nichts Neues, sondern nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte des Techno-Optimismus. Dieser neige dazu, Menschen zu unter- und Technologien zu überschätzen. Letztlich helfe dies Unternehmen, riesige Gewinne zu erzielen, während viele Menschen marginalisiert würden. "Die letzten tausend Jahre sind voll von Beispielen für Erfindungen, die alles andere taten, als den neu geschaffenen Wohlstand zu verteilen", schreibt er.

Diesem eher düsteren Ausblick zum Trotz hält ­Acemoğlu die Angst vor millionenfachen Jobverlusten durch technologische Sprünge für übertrieben, zumindest vorerst. "Die Forschung zeigt, dass so etwas Arbeitsplätze vernichtet, Löhne gesenkt und zu mehr Ungleichheit geführt hat, aber die Leute fanden anderswo Arbeit. Wird KI also Massenarbeitslosigkeit erzeugen? In den nächsten 30, 40 Jahren wahrscheinlich nicht", sagt er. Was dabei aber übersehen wird, sind die versteckten Kosten, die immer ungleichere Löhne nach sich ziehen. Im Endeffekt entsteht so eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der eine Tech-Elite riesige Datenmengen kontrolliert, samt der Tools, um sie zu nutzen.

DARUM KI IST NICHT DEIN KOLLEGE

Joanna Bryson warnt uns vor den Neuen im Büro

Wissensarbeiter, die ihre neuen, synthetischen "Kollegen" begeistert annehmen, sollten auf den Rat von Joanna Bryson, Professorin für Ethik und Technologie an der Hertie School in Berlin, hören: "KI ist nicht dein neuer Freund oder Kollege!" Wahre Zusammenarbeit basiere auf vergleichbaren Absichten, moralischer Handlungsfähigkeit und Verantwortung.

"KI ist eine Erweiterung des Kapitals und des Managements – etwas, das dein Arbeitgeber gebaut hat oder für das es ein anderes Unternehmen bezahlt hat. Beide verfolgen damit ihre Ziele. Du arbeitest nicht mit der KI, sondern für sie. Wenn KI deine Arbeit angenehmer macht, ist das großartig. Aber am Ende des Tages musst du mit deinen menschlichen Kollegen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass du angemessene Bezahlung und Arbeitsschutz erhältst. Die KI wird nicht für dich sprechen."

Um sicherzugehen, dass Software der Belegschaft dient, müsse der Kurs korrigiert werden, solange dazu noch Zeit ist, betont Acemoğlu etwas hoffnungslos. "Der Weg der Maschinen-Nützlichkeit ist mit GenAI-Tools vielversprechender geworden", sagt er. "Aber wir reden über die falschen Dinge."

Viel besser wäre es demnach, ein neues Narrativ zu finden, in dem KI vor allem den Belegschaften helfen und die Bürger besser informieren soll. In einem zweiten Schritt müssten Gegenkräfte entwickelt werden: neue Institutionen, Normen und Gesetze. Obwohl Acemoğlu weiß, dass die Macht der Gewerkschafter und Verbraucherschützer schwindet, plädiert er für einen Versuch. "Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Wenn wir den Technik-Genies, die behaupten, uns zu retten, immer mehr vertrauen, wird es zu einer Falle ohne Ausweg. Es geht nicht darum, sich der Technologie zu widersetzen, sondern darauf hinzuweisen, wie man sie besser nutzen kann."

KI verändert die Vorstandsetage, den Arbeitsplatz, die Gesellschaft - und unser Privatleben. Lesen Sie hier die andere Teile der Titelgeschichte:
ÜBER DEN AUTOR
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Steffan Heuer lebt in Berlin und Kalifornien. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schreibt er über Technologie, Wirtschaft und Kultur des Silicon Valley, unter anderem für The Economist, die MIT Technology Review und brandeins.
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