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State of the Nation: Inflation

State of the Nation: Inflation

18. August 2023

Reallöhne in Deutschland aktuell auf dem Niveau von 2015 – Konsumschwäche trifft Unternehmen

Die hartnäckig hohe Inflation dämpft die Lust am Konsum deutlich und setzt die Einnahmen von Unternehmen unter Druck. Dies ist das Ergebnis einer Analyse der Preis- und Lohnentwicklung in den vergangenen 18 Monaten, die Handelsblatt Research Institute (HRI) und Roland Berger im Rahmen der Studienreihe „State of the Nation“ durchgeführt haben. Wichtigstes Fazit: Die Reallöhne in Deutschland liegen aktuell auf dem Niveau von 2015 – damit fehlen Arbeitnehmern unterm Strich rund sieben Jahre Wohlstandszuwachs. Doch der neue Report bleibt bei der Bestandsaufnahme nicht stehen: Er zeigt auf, wie Unternehmen in einem inflationären Umfeld am besten agieren.

Alltagspreise erreichen Höchststände seit 50 Jahren, finanzielle Belastung für Geringverdiener wächst.
Alltagspreise erreichen Höchststände seit 50 Jahren, finanzielle Belastung für Geringverdiener wächst.
"Nur wer seinen Kunden kennt und Gestaltungsspielräume intelligent nutzt, kann den subjektiven Produktwert vollständig monetarisieren."

Die Analyse zeigt: Mit einer Inflation von 6,9 Prozent (2022) bzw. 5,4 Prozent (HRI-Prognose 2023) klettern die Preise so schnell nach oben wie seit 50 Jahren nicht mehr. Binnen vier Jahren ist das Preisniveau in Deutschland um 20 Prozent gestiegen – davor hatte dies fast 15 Jahre gedauert. Besonders verteuert haben sich Einkäufe im Supermarkt – im vergangenen Jahr konsumierten private Haushalte in Deutschland um 4,4 Prozent weniger Nahrungsmittel, gaben dafür jedoch 7,8 Prozent mehr Geld aus. Die Preissteigerungen treffen insbesondere einkommensschwächere Menschen, die einen überdurchschnittlichen Anteil ihres Einkommens dafür ausgeben müssen und auf keine Rücklagen zurückgreifen können. Mehr noch: Da seit 1980 die Kosten für Wohnen und Energie weit überproportional gestiegen sind, ist der Anteil nicht disponibler Ausgaben der privaten Haushalte so hoch wie lange nicht.

Die Löhne halten mit der Preisentwicklung nicht Schritt: Allein im Jahr 2022 hatten Arbeitnehmer in Deutschland einen Reallohnverlust von vier Prozent zu verkraften. Legt man die aktuelle Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte auf Basis der bereits getätigten Tarifabschlüsse zugrunde, dann dürfte die Schere zwischen Preisen und Arbeitseinkommen bis Ende 2023 weiter auseinandergehen. Folge: Der Reallohnverlust von 2021 bis 2023 wird sich auf 5,7 Prozent summieren. Ein Ausgleich des Kaufkraftschwunds für Arbeitnehmer in der kurzen Frist erscheint unwahrscheinlich, denn die Verteilungsspielräume sind gering: Schon heute hat Deutschland sehr viel höhere Lohnstückkosten als beispielsweise die USA oder auch Schweden. Ein wesentlicher Faktor dafür sind die Arbeitskosten (Löhne plus Sozialabgaben), bei denen Deutschland im EU-27-Vergleich im Vorderfeld liegt (Platz sieben).

Kaufkraftverlust wirkt als Konjunkturdämpfer und Wachstumsbremse

Für Unternehmen in Deutschland verheißt die Entwicklung nichts Gutes. Denn der Kaufkraftverlust für Arbeitnehmer schmälert den Konsum als wichtigstes Standbein der deutschen Wirtschaft und wirkt so auch mittelfristig als Wachstumsbremse. Und Besserung ist kaum in Sicht, denn das Konsumklima erholt sich von seinem historischen Tief im Oktober 2022 nur zögerlich und im Handel ist immer noch nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht. Weiter steigende Zinsen und damit sich verteuernde Konsumentenkredite sowie real an Wert verlierende Sparguthaben dürften die Kauflaune von Verbraucherinnen und Verbrauchern zusätzlich dämpfen.

Konkret bedeutet das: Unternehmen müssen sich in ihrer Strategie auf eine anhaltend hohe Inflation und einen weiterhin schwachen Konsum im deutschen Markt einstellen. Eine mögliche Anpassungsstrategie ist es, die Kosten zu senken, die Produktion zu verlagern und die Wertschöpfungsketten flexibler zu gestalten – möglichst ohne dabei neue Abhängigkeiten zu schaffen. "Viel stärker als in der Vergangenheit geht es heute darum, einen globalen Unternehmensverbund resilient aufzustellen – idealerweise, ohne dadurch die Kosten zu steigern,“ sagt Cyrus Asgarian, Senior Partner und Organisationsexperte bei Roland Berger.

Effizienzsteigerung und Margensicherung sind für Unternehmen das Gebot der Stunde

Doch der Transformationsbedarf reicht noch weiter. An umfassenden Effizienzsteigerungs- und Ergebnisverbesserungsprogrammen führt in vielen Fällen kein Weg vorbei. Margen, Pricing, Sortimentsgestaltung, Vertriebswege, Marktstrategien und Standortwahl gilt es jetzt einer kritischen Prüfung zu unterziehen, andernfalls geraten Wachstumsziele in Gefahr. Einen deutlichen Bedeutungszuwachs erfährt das Thema dynamisches Pricing. Dafür kommt es mehr denn je darauf an, die Datenpunkte der Konsumenten zu analysieren und zu nutzen. "Nur wer seinen Kunden kennt und Gestaltungsspielräume intelligent nutzt, kann den subjektiven Produktwert vollständig monetarisieren", sagt Andreas Weinfurter, auf dynamisches Pricing spezialisierter Partner bei Roland Berger.

Darüber hinaus gilt es, das Einkaufserlebnis positiver zu gestalten und die kurzfristige Verfügbarkeit von Produkten sicherzustellen, die für immer mehr Kunden den Ausschlag gibt. "Der Einkauf der Zukunft wird geprägt sein von den Faktoren Erlebnis, Belohnung, Zeit, Preis und Nachhaltigkeit", sagt Patrick Müller-Sarmiento, Senior Partner bei Roland Berger und globaler Leiter der Konsumgütersparte. Immerhin, einen Lichtblick sehen die Experten von HRI und Roland Berger: Konsumstärkend dürften sich eine weiterhin hohe Beschäftigung und eine derzeit positiver Wanderungssaldo auswirken.

"Die Ausarbeitung einer detaillierten Tarifverhandlungsstrategie sollte aktuell ganz oben auf der Agenda jedes Arbeitsdirektors stehen."
Portrait of Cyrus Asgarian
Senior Partner
Frankfurt Office, Zentraleuropa

Nicht zuletzt setzen Reallohneinbußen die Arbeitnehmervertreter zunehmend unter Druck, in Tarifverhandlungen einen Ausgleich zu schaffen. Da sich die meisten Unternehmen inflationsausgleichende Abschlüsse aber nicht leisten können, ist eine umfassende Vorbereitung zäher werdender Lohnrunden von herausragender Bedeutung. "Wir sehen, dass der Verteilungskampf insgesamt härter wird und Spannungen zunehmen", sagt Experte Asgarian. "Die Ausarbeitung einer detaillierten Tarifverhandlungsstrategie sollte deshalb ganz oben auf der Agenda jedes Arbeitsdirektors stehen."

Asien als Hoffnungsträger auch für deutsche Unternehmen

Mit seiner strukturellen Wachstumsschwäche und seinem Kaufkraftverlust entwickelt sich der deutsche Markt gegen den Trend. Fast überall weltweit wachsen die Volkswirtschaften wieder und die Nachfrage steigt. Asien dürfte mittelfristig die sich wirtschaftlich am stärksten entwickelnde Region sein. Fast die Hälfte des globalen BIP dürfte im Jahr 2050 dort erwirtschaftet werden. Fast eine Milliarde Bewohner des Kontinents werden in die Mittelschicht eintreten und kaufkraftbereinigt über ein jährliches Haushaltseinkommen von mindestens rund 15.000 US-Dollar verfügen. Im Klartext: Während die Kaufkraft hierzulande tendenziell sinkt, steigt sie in anderen Märkten massiv. Perspektivisch wird der Heimatmarkt für global agierende deutsche Unternehmen also an Bedeutung verlieren.

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