Kreislaufwirtschaft
Rund um die Welt fasst der Nachhaltigkeitsgedanke immer weiter Fuß. Think:Act zeigt, wie Unternehmen einen geschmeidigen Übergang schaffen können – vom linearen zum zirkulären Wirtschaften.
von Fred Schulenburg
Illustrationen von Getty Images / Westend61 +Stocksy United / Giada Canu
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Warum einen Kühlschrank besitzen, wenn man nur die Lebensmittel braucht? Immer mehr Konsumenten wollen mieten statt kaufen, doch das bringt seine eigenen Probleme mit sich.
Tom Leenders liebt Musik. Und wie viele Musikliebhaber warf auch er immer wieder Kopfhörer weg. Nicht selten wegen einer Kleinigkeit – ein kaputtes Kabel oder ein Riss im Gehäuse –, aber am Ende war es doch wieder ein weiteres Teil auf dem weltweit wachsenden Berg an "Elektroschrott".
Dagegen wollte Leenders, Designstudent im niederländischen Delft, etwas unternehmen. Er verbündete sich mit seinem Freund Dorus Galama, damals Unternehmensberater, und entwickelte ein völlig neues Produkt. Die Idee war, ein gleichermaßen hochklassiges wie nachhaltiges Hörerlebnis zu bieten. Fünf Jahre später war Gerrard Street mit Sitz in Amsterdam geboren. Das Unternehmen verspricht seinen Kunden den "letzten Kopfhörer des Lebens". Entweder gegen eine monatliche Mietgebühr inklusive Reparatur, Ersatz und Updates oder zum Kauf mit "Reparatur-Recycle-Option". Das Ergebnis: laut Leenders eine massive Müllreduktion. "85 % der Kopfhörer können tatsächlich repariert werden", so der Gründer.
Gerrard Street ist nur ein Beispiel für die neue, innovative Philosophie des Products-as-a-Service (PaaS). Produkte werden nicht gekauft und weggeworfen, sondern im Sinne der Kreislaufwirtschaft als Dienstleistung angeboten. Denn nicht immer wollen Kunden ein Produkt besitzen, etwa ein Auto. Es geht vor allem um den Service, den es bietet, etwa eine Fahrt. Zudem achten Konsumenten und Firmen vermehrt auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit.
Dieser Gedanke setzt sich derzeit in zahlreichen Branchen durch, von der Mode- bis zur Automobilbranche, von Büroservices bis zur Elektroindustrie. Sogar die Politik traut sich, nachhaltige Wirtschaft zu fordern und zu fördern. Noch sei man ein kleiner Fisch in diesem Business, sagt Leenders: Gerrard Street verkauft monatlich rund 200 Kopfhörer und erzielt einen Jahresumsatz von knapp 400.000 US-Dollar.
Dafür werden drei Vollzeitkräfte benötigt, die sich von Dutzenden Freelancern unterstützen lassen. Bald will Leenders allerdings von den Niederlanden und Belgien aus nach Deutschland und Großbritannien expandieren und europaweit 250.000 Kunden bedienen.
Für ein Start-up wie Gerrard Street ist es einfacher, im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu agieren, schließlich fange man laut Leenders "ja ohnehin bei null an". Etablierte Unternehmen hingegen müssen sich umstellen. Und das macht es komplizierter. Signify Lighting Services, vormals Philips Lighting, wurde 2016 aus dem niederländischen Mischkonzern ausgegliedert. Damit reagierte das Unternehmen auf grundlegende technologische und produktionstechnische Veränderungen innerhalb der Branche. Nun bietet Signify seinen Kunden – vom französischen Industriekonzern Air Liquide bis zur britischen National Union of Students – Light as a Service (LaaS), also Beleuchtung auf Abo-Basis, an. Ziel bis 2025: das "Kreislaufbusiness" auf einen Umsatzanteil von 32 % zu verdoppeln.
Francois Darsy, Head of Office and Industry Marketing bei Signify, erklärte kürzlich, dies stelle einen einschneidenden Wandel der Kundenbeziehung dar. Statt einer Transaktion, bei der die Verantwortung für das Produkt an den Konsumenten übergehe, entstehe nun ein Vertrag mit laufender Leistungsverpflichtung. Das erfordere langlebigeres Produktdesign mit Fokus auf Müllreduktion, nachhaltigere Verarbeitung und ein Geschäftsmodell, das nicht mehr das Produkt, sondern den Service in den Mittelpunkt stelle. "Ein Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft ist auch ein Bekenntnis zu einem innovativen Geschäftsmodell", sagt Andreas Rindt, Head of Customer Satisfaction & Governmental Affairs bei Signify.
Dabei sind allerdings neue Partnerschaften gefragt. "Erst einmal bedarf es rechtlicher wie regulatorischer Rahmenbedingungen", so Rindt. "Und dann braucht es Partner, die nachhaltiges Material liefern oder die Verwaltung der langlebigeren Produkte übernehmen können." Wettbewerber müssten sich auf Standards einigen und gemeinsame Reparaturzentren aufbauen.
Auch der weltgrößte Möbelhändler Ikea testet aktuell eine Abonnement-Option. Bei Furniture as a Service können Privat- und Geschäftskunden ihre Möbel einfach mieten. Ursprüngliche Pläne, bis 2030 in der Kreislaufwirtschaft angekommen zu sein, sind jedoch pandemiebedingt verschoben. Ein Unternehmen, das bereits neue Wege in der Möbelvermietung beschreitet, ist Fernish aus Kalifornien. Kunden können für einen monatlichen Mindestbetrag von 75 US-Dollar stilvolle Möbel und Deko leihen: vom Siena-Bett (ab 76 US-Dollar/Monat) bis zum Josie-Teppich (ab 9 US-Dollar/Monat). Gerade bei Millennials und Menschen mit wenig Zeit und Budget ist Fernish beliebt. Die geliehenen Produkte können gegen etwas anderes getauscht, am Ende des Vertrages zurückgegeben oder gekauft werden. Vor einem erneuten Verleih werden sie professionell gereinigt und aufbereitet.
Susan Inglis, Executive Director des Sustainable Furnishings Council, sieht im Erfolg von Unternehmen wie Fernish eine Bewegung gegen "fast furniture" und die aktuell immer noch vorherrschende Wegwerfkultur. Die Leute würden gerade umdenken, und das erinnere sie an ihre Kindheit in einer Kleinstadt in North Carolina. Das örtliche Möbelhaus habe dort ebenso gerne aufbereitete wie neue Möbel verkauft. "Ich denke, das wird zurückkommen", sagt sie.
Einzig die Sorge, der Verleihservice könne auf Dauer für Kunden zu kostspielig sein, beschäftigt Inglis. "Leider ist die Herstellung von Dingen aus wiederverwerteten Materialien oft deutlich teurer – vor allem weil wir nicht über die Infrastruktur für effizientes Recycling verfügen", sagt sie. "Einrichtungsgegenstände sind jedoch eine wunderbare Ausnahme, denn es handelt sich um besonders langlebige Produkte. Gut verarbeitete Möbel können noch häufig den Besitzer wechseln."
Ein weiteres Unternehmen mit einem Abo-Modell für erstklassige Produkte ist Rent the Runway. Der 2009 in New York gegründete Online-Verleih möchte, dass "der Kleiderschrank in einer Cloud zu Hause ist". Zunächst ging es lediglich um hochwertige Kleidung für besondere Anlässe, inzwischen aber vor allem um Alltagskleidung. Für 89 US-Dollar im Monat können die 120.000 Abonnenten aus einem laufend wechselnden Angebot von 18.000 Artikeln wählen. Laut Analysten achten die Kunden dabei zunehmend auf Nachhaltigkeit. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen seit 2010 die Produktion von etwa 1,3 Millionen Kleidungsstücken ersetzt und damit Millionen Liter Wasser, Kilowattstunden Strom und Kilogramm CO₂-Emissionen eingespart.
Probleme bleiben jedoch auch hier nicht aus. Seitdem Rent the Runway im Herbst 2021 an die Börse ging, fiel der Kurs: Anleger kritisierten die Fixkosten für das Handling von Hunderttausenden Kleidungsstücken, während Analysten sich um Abschreibungen sorgten. Ähnlichen Gegenwind erfuhr der französische Konsumgüterriese Danone: Vorstandschef Emmanuel Faber, ausgesprochener Verfechter des "verantwortungsvollen Kapitalismus", wurde abgelöst – unter dem wachsenden Druck von Investoren, die über schwache Zahlen des Konzerns geklagt hatten.
Tatsächlich bringe das Mieten einige Herausforderungen mit sich, bestätigt Tom Leenders. Auch viele Kunden von Gerrard Street würden es noch immer vorziehen, Designerkopfhörer zu kaufen, als Lifestyle-Produkt und Ausdruck eines speziellen Images. So sah sich Leenders gezwungen, einen kontinuierlichen Reparatur- und Austauschservice für gekaufte Kopfhörer anzubieten. Dies sei jedoch kein Abweichen von der eigentlichen Mission, versichert er: "Wir sind und bleiben auf dem Weg der Kreislaufwirtschaft."
Rund um die Welt fasst der Nachhaltigkeitsgedanke immer weiter Fuß. Think:Act zeigt, wie Unternehmen einen geschmeidigen Übergang schaffen können – vom linearen zum zirkulären Wirtschaften.