Unsere aktuelle Umfrage zeigt: Mittelständische Zulieferer sehen wachsende ESG-Anforderungen als Chance, sich vom Wettbewerb zu differenzieren.
Nachhaltigkeit als Differenzierungsfaktor?
Von Felix Mogge und Thomas Schlick
Interview mit Arndt G. Kirchhoff zu Status Quo und Trends von ESG im automobilen Mittelstand
Im Interview mit Arndt G. Kirchhoff, ehemaliger geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff Gruppe und nun Vorsitzender des Unternehmensbeirats, wird das aktuelle Unternehmenssumfeld der Automobilzulieferer beleuchtet. Gemeinsam mit Thomas Schlick, Senior Partner bei Roland Berger, thematisieren die beiden Experten neben dem steigenden Druck von Lieferengpässen und immensen Preissteigerungen insbesondere die zunehmende Relevanz an ESG-Expertise in Unternehmen.
Die Kirchhoff Gruppe ist ein deutsches Familienunternehmen mit Sitz in Iserlohn. In seinen vier Geschäftsbereichen Automotive, Mobility, Witte Tools und Ecotec erwirtschaftete es 2021 mit über 12.000 Beschäftigten weltweit einen Umsatz von rund 2,2 Mrd. Euro.
Wie bewerten Sie das aktuelle Unternehmensumfeld als Automobilzulieferer?
A. Kirchhoff: Die Zeiten sind von operativer Unsicherheit geprägt. Häufige, kritische Ausfälle in der Lieferkette sind in den letzten Monaten die Regel: Man weiß oft bis kurz vor der geplanten Produktion nicht, welche Teile verfügbar sind. Ebenso schwierig ist es, die starken Schwankungen von Kundenvolumina zu steuern. Aber auch intern ist die Planung erschwert: Oft erst in letzter Minute erfährt man von ausfallenden Schichten aufgrund von COVID-19 Infektionen. Neben den operativen Themen beschäftigen wir uns aber sehr intensiv mit strategischen Fragen wie ESG.
Stichwort ESG: Wie schätzen Sie das Thema in Ihrem Umfeld ein?
A. Kirchhoff: Viele Unternehmen im Mittelstand sind nicht ausreichend vorbereitet. Die meisten wissen zwar, was mit diesen Themen verbunden ist und fürchten zusätzliche bürokratische Anforderungen. Häufig fehlt allerdings die Expertise zur umfassenden Ausgestaltung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien. Dabei verspürt natürlich jedes Unternehmen den Druck, einen Klimaschutzplan zu erstellen, der die gewünschten Enddaten von OEMs, Käufern und Politik erfüllt. Das Ziel ist zunehmend klar, den Weg dahin muss jedes Unternehmen für sich selbst beschreiten.
ESG-Anforderungen an Zulieferer durch ihre Kunden steigen. Wie hart werden diese eingefordert? Werden die Kunden am Ende nicht trotzdem den günstigsten Lieferanten wählen?
A. Kirchhoff: Automobilhersteller spielen das hart, sie wollen negative Schlagzeilen vermeiden. Da gibt es nicht einen Kunden, der sagt: Nein, ESG mache ich nicht.
Für uns ist beispielsweise mit dem Kauf von CO2-freiem Stahl auch ein Risiko verbunden. Wir wissen nicht, ob der Kunde uns am Ende den Aufpreis für nachhaltige Stahlproduktion zahlt oder ob er sich für günstigere Alternativen entscheidet. Das erfordert eine gewisse Konsequenz auf Kundenseite, dass sie auch zu ihren Ankündigungen stehen.
Warten wir mal ab, wie sich das entwickelt. Wir sind darauf vorbereitet und wir gehen auch den Wünschen des Kunden nach. Aber wir werden dafür nicht darauf verzichten, profitable Geschäfte zu machen.
Wo sehen sie die größten Herausforderungen bei der Planung und Umsetzung einer stringenten Nachhaltigkeitsstrategie?
A. Kirchhoff: Ganz klar: Bei den im Haus verfügbaren Kompetenzen. Die Themen sind einfach zu komplex. Im ersten Schritt braucht man eine Feststellung des Status Quo und der Anforderungen an das Unternehmen, also: Welche Informationen benötige ich und was muss ich dementsprechend messen? Im zweiten Schritt geht es an die Umsetzung, beispielsweise die Installation von Sensoren zur Messung von Energie, Wasser und weiteren Werten. Als letztes sind grundsätzliche Änderungen im Prozess nötig: Themen wie die Kreislaufwirtschaft müssen schon bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden.
Ein großer Teil der Firmen im automobilen Mittelstand ist selbst den ersten Schritt noch nicht zur Genüge gegangen. Deswegen haben wir im Mittelstand einen enorm hohen Beratungsbedarf. Den Unternehmen fehlt die nötige ESG-Expertise. Hier können und müssen Beratungen unterstützen.
Unsere ESG-Berichterstattung ist übrigens durch digitale Prozesse so gestaltet, dass kein zusätzlicher Personalaufwand nötig ist. Von Seiten unserer Kunden erwarten wir ohnehin keine Bereitschaft, für Mehrkosten aufzukommen.
Welche Unterstützung benötigt der automobile Mittelstand von Seiten der Politik?
A. Kirchhoff: Die Digital- und Energieinfrastruktur in Deutschland und Europa muss ausgebaut werden. Dafür bedarf es eines klaren Planes mit Zeitleiste, regelmäßiger Messungen und einer Evaluation des Fortschritts. Ohne eine lückenlose Digitalisierung ist die Messbarkeit in Gefahr – auch zum Beispiel in einem "smarten" Stromnetz. Fahrzeuge werden Zugang zu einer Ladeinfrastruktur benötigen, die grünen Strom bereitstellt. Die Stahlproduktion, die bei uns im Unternehmen einen großen Teil des CO2-Ausstoßes ausmacht, kann nur grün werden, wenn der Zugang zu grünem Wasserstoff sichergestellt ist. Zudem reicht es nicht, wenn das nur in einem Land der Fall ist. Die Umsetzung muss international vorangetrieben werden. Insgesamt muss bei der weiteren regulatorischen Ausgestaltung von ESG-Anforderungen unbedingt auf die Umsetzbarkeit für den Mittelstand geachtet werden: Es hilft niemandem, bürokratische Monster zu schaffen.
Welche Chancen sehen Sie im Zusammenhang mit ESG?
A. Kirchhoff: Wir als Unternehmer sehen jede Veränderung als Chance. Eine Pionierstellung im Bereich ESG kann Zulieferer differenzieren, nicht nur in Richtung Kunde. Auch für heutige und zukünftige Mitarbeitende ist eine aktive Nachhaltigkeitsgestaltung attraktiv. Für eine gelungene Umsetzung und zur Erreichung der Klimaziele muss jede Firma ihren Beitrag leisten. Aber auch hier ist die Infrastruktur entscheidend. Der Ukraine-Krieg beschleunigt zudem den Zwang, alternative Energiekonzepte umzusetzen und alternative Lieferketten zu entwickeln. Diesen Impetus müssen wir nutzen, sowohl in der Politik als auch in der Industrie.
Wir bedanken uns sehr herzlich für das Gespräch!
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