Produkte mit Superkräften

Think:Act Magazine "Performance: Schneller, Höher, Stärker"
Produkte mit Superkräften

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Think:Act Magazine

München Office, Zentraleuropa
27. September 2023

Ein Interview mit dem innovativen Erfinder und Unternehmer Tony Fadell

Interview

von Steffan Heuer
Fotos von Julien Faure

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Er half Steve Jobs bei der Entwicklung des iPod und des iPhone. Danach gründete er das Unternehmen Nest und löste eine Revolution im Smart-Home-Bereich aus. Think:Act sprach mit Tony Fadell über die Herausforderungen bei der Entwicklung wegweisender Produkte.

Kontinuierliches Lernen und die Suche nach neuen Möglichkeiten scheinen für Tony Fadell selbstverständlich zu sein. Als Neunjähriger verkaufte er Eier an der Haustür, am College entwickelte Fadell Computerchips und stieß schließlich zum legendären Start-up General Magic. Fadell schaffte es immer wieder, aus seinen Produkt- und Geschäftsideen "das nächste große Ding" zu machen. Heute konzentriert sich der Serienunternehmer mit seiner Firma Build Collective in Paris auf die Finanzierung und Begleitung von Start-ups.

Tony Fadell looking into the camera, left arm leaning on the back of a black office chair, to his right a desk and metal shelving storing electronic equipment.
Innovationstreiber: Tony Fadell hat mehrere Start-ups gegründet und ist heute CEO der Firma Build Collective, die als Mentor und Geldgeber fungiert.

Sie behaupten, gute Produkte verleihen Kunden eine Art Superkraft: Sie entwickeln ein Eigenleben, schaffen neue Wirtschaftszweige und Lebens­weisen. Abgesehen vom iPhone – gibt es weitere derartige Produkte?

Tony Fadell

Tony Fadell war Senior Vice President der iPod-­Abteilung bei Apple, wo er sieben Jahre lang die gesamte Entwicklung leitete. Als Entwickler und Investor mit mehr als 300 Patenten gründete er Nest Labs, bevor es von ­Google übernommen wurde. 2022 erschien sein New York Times- und Wall Street Journal-Bestseller Build.

Ein neues Produkt muss ein konkretes Problem lösen. Beim Unternehmen Nest war dies das Heizen und Kühlen von Häusern. Die Leute mochten ihre Thermostate nicht – sie kauften einfach das, was verfügbar war. Niemand fragte die Kunden, was sie wollen. Ein Thermostat steuert rund 50 % des Energieverbrauchs. Wenn Sie zwischen 1.000 und 2.000 US-Dollar im Jahr für Energie ausgeben, sollten Sie dann nicht ein Produkt bekommen, das Sie verstehen und das Ihnen etwas über Ihren Verbrauch verrät? Ein solches Produkt verleiht den Kunden ein Art Superkraft, denn man kann es von überall aus mit einem Smartphone bedienen.

Was sind für Sie heute transformative Technologien? Gehen Innovationen wie Haushaltsroboter oder das Metaverse auf die Bedürfnisse der Menschen ein?

Ich denke, es gibt viele Dinge, an denen wir heute arbeiten, die keine Probleme lösen, oder sie lösen sie nur für eine sehr kleine Gruppe von Menschen. Aber wenn wir uns die Agrartechnologie, neue Materialien oder saubere Energien ansehen, das sind echte Herausforderungen. Wir stecken in einer Klimakrise, und wir brauchen transformative Technologien, die uns aus dem Schlamassel heraushelfen. Ich spreche nicht von Lifestyle-Produkten. Sondern ich meine wirklich anspruchsvolle Technologien, die uns als Menschheit mehr Zeit auf diesem Planeten schenken.

"Man muss eine Vision haben, die Gesellschaft muss für diese Vision bereit sein, und die Technologie muss zur Verfügung stehen."
Portrait of Tony Fadell

Tony Fadell

Serienunternehmer

Von Ihrer ersten Idee für ein smartes Thermostat bis zur Gründung von Nest vergingen zehn Jahre. Dauert es immer so lange, bis der erste Schritt zur Markteinführung eines Produkts gelingt?

Das war ungewöhnlich. Zum einen war ich bei Apple mit der Entwicklung des iPod und des iPhone beschäftigt. Aber auch die benötigten Technologien gab es noch nicht. General Magic hat das iPhone 15 Jahre zu früh entwickelt. Daraus habe ich gelernt, dass man drei Dinge beachten muss: Man braucht eine Vision; man muss sich sicher sein, dass die Gesellschaft bereit dafür ist; und man muss die Technologien zur Verfügung haben. Für General Magic war das ein großer Misserfolg, weil diese Dinge noch nicht im Einklang waren. Es war einfach zu früh. Das Internet gab es noch gar nicht. Anfang der 2000er-Jahre habe ich versucht, Nest zu etablieren. Aber die Technologie war noch nicht reif. Es gab kein WLAN und keine Smartphones. All diese Dinge mussten erst zusammenkommen. Und man brauchte eine Gesellschaft, die die Technologien nutzen will. Ich habe das beobachtet und gewartet. Doch keines der etablierten Unternehmen hat sich darauf eingelassen, weil sie nicht innovativ genug waren. Und ich dachte: Wenn die großen und trägen Unternehmen nichts tun, dann werden wir die Lücke schließen.

Woher weiß ein Unternehmer, wann die Zeit reif ist für die Markteinführung?

Man sollte seiner Zeit immer ein wenig voraus sein. Dadurch stellt man sicher, dass man die Konkurrenz hinter sich lässt. Es gibt viele schlaue Leute auf der Welt, die Zugang zu Technologien und Geld haben. Aber man darf auch nicht zu früh dran sein. Um das zu verstehen, muss man Mentoren um sich herum haben. Das sind Leute, die so etwas schon einmal gemacht haben – und die genau erkennen können, was man vorhat.

Jedes Produkt braucht eine Story. Warum ist Story­telling so wichtig? Und warum sollte es dem eigentlichen Produkt sogar vorangestellt werden?

Wenn du Ingenieur, Forscher oder Designer bist, dann verfügst du über alle Bestandteile einer Technologie. So fangen jedenfalls die meisten Leute an. Sie sehen etwas und denken, dass sie diese Teile nur zusammensetzen müssen, um ein cooles Produkt zu erschaffen. Aber darum geht es überhaupt nicht. Die Frage nach dem Warum wird auf diese Weise nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Warum sollte der Kunde das Produkt haben wollen? Das ist die entscheidende Frage, und dafür muss ich die Perspektive wechseln. Ich muss nicht den anderen Nerd neben mir beeindrucken – sondern meine Kunden dazu bringen, etwas zu kaufen und es auszuprobieren.

Technische Meisterleistungen allein sind noch keine guten Geschichten?

Sie brauchen eine Art Pressemitteilung. Lassen Sie mich dafür eine Analogie bemühen. Wenn man einen Film macht, geht man ja auch nicht einfach raus und fängt spontan an zu drehen. Man erstellt vorher ein Treatment, um das Publikum, die Handlung, die Schauplätze und den Spannungsbogen der Geschichte zu skizzieren. Erst dann schreibt man ein Drehbuch. Ein Film kann ja auch den Faden verlieren. Vielen Technologieunternehmen passiert genau das! Ich investiere weltweit in mehr als 200 Unternehmen und sehe, wie viele von ihnen behaupten, sie wüssten genau, was sie da so tun. Aber viele haben gar keinen Plot. Sie brauchen etwas, was dem Treatment beim Film entspricht – und das ist die Pressemitteilung. Die schreibst du am besten gleich zu Beginn als fesselnde, nicht-fiktionale Geschichte. Zu oft bauen die Leute etwas auf und am Ende sagen sie: Jetzt machen wir das Marketing dazu. Aber dieses Marketing stimmt meist nicht mit dem eigentlichen Produkt überein. Man muss gleich zu Beginn beschreiben, was man sich vorstellt, und das dann auch umsetzen. Die Beteiligten müssen sich zunächst eine lebendige Vorstellung davon machen können, was sie erschaffen, und das als roten Faden nutzen.

Ihr ehemaliger Chef Steve Jobs war ein Meister des Storytelling. Können Sie beschreiben, wie er das einsetzte, was Sie den "Virus des Zweifels" nennen?

Das Virus des Zweifels habe ich erfunden, um in Kurzform zu erklären, wie man das Interesse an einer Geschichte wecken kann. Was du entwickeln willst, sollte, wie gesagt, ein Problem lösen. Also musst du den Leuten mit ihrer Geschichte sehr deutlich vor Augen führen, welche Probleme sie mit ihren alten Produkten haben. Denn im Laufe der Zeit gewöhnen sich die Menschen an die Probleme. Du musst sie also wachrütteln: mit dem Virus des Zweifels. Und dann erklärt man ihnen, dass es eine bessere Möglichkeit gibt, diese oder jene Aufgabe einfach und effektiv zu lösen. Man reißt die Leute also aus ihrer Gewohnheit heraus. Wofür braucht man ein Telefon, einen Musikplayer und einen Computer, wenn man alles in einem einzigen Gerät haben kann?

Ein echter Innovator
Apple

Fadell kam 2001 als freier Mitarbeiter zu Apple, um bei der Entwicklung eines portablen Musikplayers mitzuwirken. Er wurde Leiter für Sonderprojekte und beaufsichtigte 18 iPod-Versionen.

Nest Labs

2010 gründete Fadell zusammen mit einem früheren Apple-Kollegen Nest Labs, um digitale Technologien in Privathaushalten zu etablieren. Nach der Übernahme durch Google leitete Fadell Nest noch für eine Weile.

Build Collective

Fadell leitet heute Build Collective. Das Team investiert in Start-ups in sehr frühen Phasen und unterstützt sie als aktiver Mentor mit langem Atem.

Niemand baut Großes allein auf. Wie findet man die richtigen Leute?

Wenn man neu anfängt, muss man ein Team aufbauen. Zunächst muss man seine Impfkristalle finden. In der Chemie ist ein Impfkristall ein kleines Element, das es anderen Elementen ermöglicht, sich zu verbinden und sehr schnell eine Struktur zu bilden. Ein solcher Kristall ist im übertragenen Sinne also eine Person, die über ein umfassendes Netzwerk von Talenten verfügt. Man stellt diese Experten ein, egal in welcher Funktion. Denn sie sind in der Lage, weitere Talente an sich zu binden, die wiederum weitere Spezialisten anlocken. So können Sie viel schneller und zuverlässiger wachsen. Sie können weiterhin nicht einfach nur erfahrene Leute einstellen. Man braucht auch Neueinsteiger, ein Team unterschiedlicher Altersklassen.

"Große Konzerne wollen meist nicht das Risiko eingehen, mit ihren eigenen Erfolgsprodukten zu konkurrieren."
Portrait of Tony Fadell

Tony Fadell

Serienunternehmer

Gibt es so etwas wie eine kritische Grenze für die Teamgröße, ab der es kompliziert wird?

Ab 40 bis 50 Personen wird es kritisch. Organisationen beginnen zu scheitern. Nicht jeder kann dann noch an jeden berichten, nicht alle wissen, was gerade im Unternehmen vor sich geht. Wenn man wächst, entstehen weitere Sollbruchstellen, weil man die Organisation und die Kommunikation seines Unternehmens auf die nächste Phase ausrichtet. Diese natürlichen Bruchlinien habe ich immer wieder gesehen, in jeder Art von Unternehmen, auf jedem Kontinent.

Beeinflusst die Größe eines Unternehmens seine Inno­vationsfähigkeit?

Ich habe erfolgreiche Unternehmen mit mehreren Zehntausend Mitarbeitern gesehen. Aber man muss solche Großorganisationen in kleinere Teams mit etwa 120, jedenfalls mit weniger als 300 Leuten aufteilen. Sie alle müssen gut organisiert sein und miteinander kommunizieren. Vor allem braucht man ein eigenes Team für Innovationen. In einer kleinen Organisation entstehen Innovationen spontaner. In Großunternehmen müssen sie stärker strukturiert werden, weil sie verschiedene Ebenen der Organisation betreffen. Man muss sicherstellen, dass die innovativen Abteilungen geschützt werden und scheitern dürfen. Sie müssen sogar scheitern. Schnell wachsende Unternehmen glauben, dass sie erfolgreich sind. Das mag sein. Aber sie müssen sich auf lange Sicht gewissermaßen selbst fressen. Sie müssen das, was sie tun, kannibalisieren. Große Konzerne wollen meist nicht das Risiko eingehen, mit ihren eigenen Erfolgsprodukten zu konkurrieren. Dann stagnieren sie. Die Innovationen kommen dann von anderen. Und die Innovatoren aus dem eigenen Unternehmen wandern zur Konkurrenz ab. Das heißt: Innovative Mitarbeiter sollte man bei Laune halten.

Sollten Mitarbeiter nach so viel Homeoffice öfter zurück ins Büro kommen, um gute Produkte und Storys zu entwickeln?

Innovationen entstehen tatsächlich durch kreative Spannung. Und die gibt es nur, wenn Menschen zusammenkommen. Nicht virtuell, sondern physisch. Sicher: Manches kann auch im virtuellen Raum passieren. Aber man kann neue Ideen nicht so einfach ausprobieren. Man stößt nicht auf diese glücklichen Momente, in denen zwei Ideen zusammenkommen, weil man sich zufällig auf dem Flur begegnet ist. Wenn Sie eine Innovationskultur aufbauen wollen, müssen nicht alle permanent gleichzeitig im Büro sein. Führungskräfte sollten ihre Mitarbeiter auch nicht dazu zwingen. Sie sollten vielmehr dafür sorgen, dass die guten Leute gerne ins Büro kommen, um mit ihren Kollegen produktiv zusammenzuarbeiten.

View from above of the product Ledger Stax and related items, plus a computer mouse, green circuit board and toolbox.
Klare Vision: Der von Tony­Fadell entwickelte Ledger Stax verfügt über einen Touchscreen mit E-Ink-Technologie. Er kann NFTs anzeigen und bietet höchste Sicherheit für Kryptoschlüssel.

Nest wurde 2014 von Google übernommen. Nur zweieinhalb Jahre später haben Sie Google verlassen. Warum scheitern Übernahmen so häufig?

Die meisten Übernahmen scheitern an unterschiedlichen Unternehmenskulturen. Es geht um die Art und Weise, wie Teams zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren. Sie verstehen sich oft einfach nicht und haben bisweilen völlig unterschiedliche Denkweisen. Wenn man ein Unternehmen kaufen will, muss man es schon verstehen. Sonst bringt das alles nichts. Man muss sich intensiv mit seiner Kultur auseinandersetzen, sie verinnerlichen. Wenn man ein Unternehmen nur wegen seiner Technologie oder wegen guter Zahlen kauft, wird das nicht funktionieren.

Sie leiten heute die Investmentfirma Build Collective. Was machen Sie anders als traditionelle Risikokapitalgeber?

Wir haben keine Teilhaber und müssen deshalb keine schnellen Renditen liefern. Das erlaubt uns langfristiges Denken. Vielleicht braucht ein Start-up ja noch fünf Jahre und auch mehr Geld. Wenn wir an seine Geschäftsidee glauben, können wir es länger unterstützen. Dafür braucht man aber eine andere Denkweise als Risikokapitalgeber.

Auf welche Innovationen konzentrieren Sie sich?

Ich konzentriere mich auf Produkte, die schwer zu entwickeln sind, weil sie transformativ und disruptiv sind. Auf Produkte, die uns bei der Klimakrise, Gesundheitsfragen oder anderen großen gesellschaftlichen Herausforderungen helfen. Unternehmen und Forscher, die sich an solche Herausforderungen wagen, finden keine Unterstützung bei Risikokapitalgebern. Sie brauchen Menschen an ihrer Seite, die an sie glauben – und die ihnen auch helfen, die Welt mit einer guten Story auf sich aufmerksam zu machen.

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Steffan Heuer
Steffan Heuer lebt in Berlin und Kalifornien. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schreibt er über Technologie, Wirtschaft und Kultur des Silicon Valley, unter anderem für The Economist, die MIT Technology Review und brandeins.
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