Reduzierung von CO2: Klimaschutz durch emissionsarme oder -neutrale Produktion in Deutschland
Wie der klimaneutrale Umbau des Industriestandorts Deutschland gelingen kann
Um die Klimaziele 2050 zu erreichen, sind immense Anstrengungen nötig. Die produzierende Industrie steht dabei besonders in der Verantwortung, denn sie stößt jährlich 322 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente (CO₂e, im Folgenden vereinfacht CO₂ genannt ) aus und zählt damit zu den größten Treibhausgas-Emittenten Deutschlands – noch vor dem Verkehrssektor, der derzeit im Fokus der Öffentlichkeit steht. Die Unternehmen müssen das Thema Treibhausgas-Reduktion daher angehen, zumal strengere gesetzliche Regularien zu erwarten sind und auch der öffentliche Druck zunehmen wird. Nicht zuletzt bietet der unternehmerische Wandel in Richtung CO₂-Neutralität auch Chancen, die es frühzeitig zu nutzen gilt.
Die aktuelle öffentliche Debatte über den Klimaschutz hat den entsprechenden Aktivitäten der Politik neuen Schwung verliehen. So hat das seit April 2019 bestehende "Klimakabinett" der Bundesregierung im September erste konkrete Maßnahmen beschlossen, um die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Erklärtes langfristiges Ziel ist eine weitestgehende CO₂-Neutralität Deutschlands im Jahr 2050. Es ist daher zu erwarten, dass es zukünftig deutlich strengere gesetzliche Vorgaben für die Treibhausgasemissionen der Industrie geben wird.
Doch abgesehen davon lohnt es sich für produzierende Unternehmen auch aus anderen Gründen, Zeit und Geld in die Reduktion ihrer CO₂-Emissionen zu investieren. So zeigen Erhebungen in der Autoindustrie, dass entsprechende Bemühungen der Unternehmen sehr positiv von der eigenen Belegschaft aufgenommen werden. Auch der Kapitalmarkt und die Endverbraucher achten bei ihren Entscheidungen zunehmend auf die ökologische Performance von Unternehmen. So analysiert etwa eine weltweit aktive britische Großbank bei der Kreditvergabe neben den klassischen Kennzahlen auch die CO₂-Bilanz ihrer Kunden und bietet Unternehmen, die bestimmte Nachhaltigkeitsrichtlinien erfüllen, attraktivere Konditionen an. Ein ebenfalls weltweit aktiver Versicherungskonzern verzichtet seit 2015 sogar ganz auf die Versicherung und Finanzierung kohlebasierter und damit besonders CO₂-intensiver Geschäftsmodelle.
Angesichts der Bedeutung des Themas Klimaschutz und des hohen Anteils der produzierenden Industrie am deutschen Treibhausgasausstoß bemühen sich viele Unternehmen um eine Reduktion ihrer Emissionen und haben konkrete diesbezügliche Ziele in ihren Corporate Social Responsibility-Leitlinien festgehalten. So kommunizieren die meisten DAX30-Konzerne und viele weitere Unternehmen aktiv entsprechende Ambitionen, bis hin zur Nennung konkreter Zeitpunkte, bis wann man eine vollständige CO₂-Neutralität erreicht haben will. Zu den wichtigsten Möglichkeiten, wie die Industrie ihren Teil zur Erreichung der Klimaziele beitragen kann, zählen der konsequente Einsatz erneuerbarer Energien, gesteigerte Energieeffizienz sowie neue Produktionsverfahren.
Transparenz beim unternehmerischen CO₂-Fußabdruck als Basis für Entscheidungen
Um die Wirkung der entsprechenden Maßnahmen verlässlich zu messen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist ein transparentes System zur systematischen Kontrolle emittierter Treibhausgase notwendig. Zum Berechnen ihres CO₂-Fußabdrucks können Unternehmen bereits auf erste Normen zurückgreifen, zum Beispiel den "GHG Protocoll Corporate Accounting and Reporting Standard". Allerdings fehlen bisher zentrale Prüfinstanzen, so dass weder aktuelle Emissionsdaten noch die Wirkung geplanter Klimaschutzinitiativen einzelner Unternehmen verlässlich miteinander verglichen werden können.
Einige Startups, NGOs und staatliche Organisationen haben sich das erklärte Ziel gesetzt, diesbezüglich Transparenz zu schaffen und so die Entscheidungsprozesse von Anteilseignern, Kunden, Investoren oder politischen Akteuren zu unterstützen. Einen vielversprechenden Ansatz in diese Richtung verfolgt bspw. das Startup "right. based on science" mit seinem XDC Modell (XDC = X Degree Compatibility). Damit lässt sich individuell für jedes Unternehmen berechnen, wie hoch der Temperaturanstieg auf der Erde unter bestimmten Szenarien ausfallen würde, wenn die gesamte Industrie so treibhausgasintensiv wirtschaften würde wie das konkret betrachtete Unternehmen. Auf dieser Basis können Firmen ihren individuellen Handlungsbedarf in Bezug auf die Reduktion von Treibhausgasen bestimmen und sich mit anderen relevanten Unternehmen vergleichen. Zudem lassen sich so unter anderem auch die Effekte geplanter treibhausgasreduzierender Maßnahmen bestimmen und Szenarioanalysen durchführen.
Investitions- und Handlungsbedarf für die Reduktion von Treibhausgasemissionen stark abhängig von Industriesektor
Es besteht kein Zweifel, dass enorme gesellschaftliche und industrielle Anstrengungen nötig sind, um das ehrgeizige Ziel der CO₂-Neutralität Deutschlands bis zum Jahr 2050 zu erreichen. So beziffert der BDI den Investitionsbedarf für einen nahezu vollständig CO₂-neutralen Industriesektor bis 2050 auf rund 230 Milliarden Euro. Um 80 Prozent des Ziels zu erreichen, sind immerhin noch etwa 120 Milliarden Euro nötig. Dabei unterscheiden sich die benötigten Investitionen und Anstrengungen der einzelnen Unternehmen in Abhängigkeit von Art und Energieintensität der Produktionsprozesse erheblich (vgl. Grafik).
Hohe Emissionen und hohe Reduktionskosten: Metall-, Chemie- und Baustoffindustrie
Bedingt durch eine hohe Energieintensität sowie zusätzliche prozessbedingte Treibhausgasemissionen stehen die Sektoren Metallherstellung, Grundstoffchemie und Baustoffherstellung vor besonders großen Herausforderungen. Allein die Stahlindustrie emittierte im Jahr 2015 rund 55 Megatonnen CO₂, vor allem prozessbedingt im Rahmen des üblichen Hochofen-Konverterverfahrens. Auch in der Baustoffindustrie fällt ein großer Anteil der insgesamt 31 Megatonnen emittierten Treibhausgase nicht energie- sondern prozessbedingt bei der Herstellung der Baustoffe selbst an, wie z.B. bei der Kalkproduktion oder dem Brennen von Zementklinker. Doch die Entwicklung CO₂-optimierter Produktionsprozesse schreitet voran: Verschiedene Unternehmen haben entsprechende Verfahren bereits zur weitgehenden technischen Einsatzreife gebracht und wollen in den nächsten Jahren Pilotprojekte vorantreiben. So entwickeln beispielsweise mehrere große Stahlkonzerne parallel Verfahren für eine treibhausgasreduzierte Stahlherstellung.
Drei beispielhafte Wege zur Senkung des CO₂-Ausstoßes in der Stahlindustrie:
- Nutzung von Wasserstoff statt Kohlenstaub als Reduktionsmittel im Hochofenprozess > CO₂ - Einsparpotential: ca. 20%
- Umstellung der Hochofenroute auf Direktreduktionsanlagen. Diese erzeugen sog. Eisenschwamm, der in Elektrolichtbogenöfen zu Rohstahl weiterverarbeitet werden kann > CO₂ - Einsparpotential: ca. 20-30%
- Carbon-Capture-and-Utilization (CCU): Einfangen der bei der Stahlherstellung anfallenden Kuppelgase und Nutzung als Rohstoff durch die Herstellung von Basischemikalien > Beliebig hohe CO₂ - Einsparung möglich
Auch in der Chemieindustrie gibt es erste Ansätze zur Senkung der prozessbedingten CO₂-Emissionen. Beispielsweise wäre durch den Einsatz regenerativ erzeugten Wasserstoffs eine emissionsfreie Ammoniaksynthese möglich. Für entsprechende Produktionsverfahren fallen jedoch hohe Investitionskosten an, die insbesondere in Kombination mit den langen Abschreibungszeiträumen der genutzten Großanlagen einer schnellen und flächendeckenden Umstellung im Wege stehen. Neben den erheblichen benötigten Investitionen stellt der hohe Bedarf an grünem Strom und nachhaltig erzeugtem Wasserstoff eine weitere Hürde für den Einsatz treibhausgasneutraler oder -reduzierter Verfahren in der Stahl- und Chemieindustrie dar. Allein für die vollständige Umstellung auf wasserstoffbasierte Stahl- und Ammoniakerzeugung in Deutschland entstünde ein zusätzlicher Bedarf an erneuerbaren Energien von bis zu 190 Terawattstunden pro Jahr – das entspricht mehr als einem Drittel des bundesweiten Stromverbrauchs und 87 Prozent des heute in Deutschland regenerativ erzeugten Stroms.
Reduktion energiebedingter Treibhausgasemissionen über mehr Effizienz und Einsatz erneuerbarer Energien
Die meisten produzierenden Unternehmen verursachen CO₂-Emissionen vor allem im Rahmen der Energiebereitstellung, beispielsweise für Prozesswärme oder -kälte, mechanische Energie, Raumwärme oder Beleuchtung. Laut BDI entfielen im Jahr 2015 im Industriesektor 127 Megatonnen Treibhausgasemissionen auf die Verbrennung fossiler Energieträger für solche Zwecke. Um diese energiebedingten Emissionen zu reduzieren, können produzierende Unternehmen insbesondere an zwei Hebeln angreifen. Zum einen sollten sie ihren Energieverbrauch so weit wie möglich reduzieren, indem sie konsequent effiziente Technologien einsetzen. Zum anderen sollten sie den verbleibenden Energiebedarf möglichst aus erneuerbaren Quellen decken und dazu gegebenenfalls auch dezentrale eigene Erzeugungskapazitäten einsetzen.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Lieferkette, wie ein Blick auf den CO₂-Fußabdruck von Endprodukten zeigt (vgl. Grafik): Im Durchschnitt über alle Branchen fällt nur etwa ein Viertel der gesamten Treibhausgas-Emissionen eines Produkts bei den OEMs selbst an. Der Rest entsteht in der Lieferkette bei Transporten und bei vorgelagerten Produktionsprozessen in Zuliefererunternehmen. OEMs, die den gesamten CO₂-Fußabdruck ihrer Produkte ermitteln und reduzieren möchten, sind also erheblich von ihren Zulieferern und Subunternehmern abhängig. Einige Zulieferer haben dies bereits als Chance erkannt und schaffen sich zusätzliche Wettbewerbsvorteile, indem sie ihre Kunden proaktiv in ihren Bemühungen zur CO₂-Reduktion unterstützen.
Fazit: Für eine klimafreundliche Produktion braucht es eine klare Roadmap und eine End-to-End-Kooperation über die gesamte Lieferkette hinweg
Mit Blick auf die weltweiten Entwicklungen beim Klimaschutz werden produzierende Unternehmen nicht umhinkommen, zeitnah eine individuelle CO₂-Reduktionsstrategie zu entwickeln. Diese dient als Basis für die langfristig angelegte Umstellung auf eine CO₂-reduzierte oder -neutrale Produktion und muss verschiedenen Dimensionen Rechnung tragen.
Dazu gehört auch, dass verschiedene Szenarien in Bezug auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen einbezogen werden. Um ein effektives und zielgerichtetes Vorgehen zu ermöglichen, muss die unternehmerische Strategie zur CO₂-Reduktion optimal auf die jeweiligen Produktionsprozesse sowie das Produktportfolio ausgerichtet sein. Gleichzeitig dürfen die nötigen Umstellungen in der Produktion die finanziellen Ressourcen des Unternehmens nicht zu sehr strapazieren, ebenso wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben muss. Zentraler Bestandteil jeder zielgerichteten CO₂-Reduktionsstrategie ist zudem ein langfristiger Umsetzungsplan mit konkreten und zeitlich terminierten Maßnahmen. Da ein Großteil des CO₂-Fußabdrucks einzelner Produkte in der Lieferkette entsteht, muss während des gesamten Prozesses auch eine enge Abstimmung mit Lieferanten eingeplant werden.
Auf der politischen Seite ist umsichtiges Handeln nötig, um die produzierenden Unternehmen bei der Umsetzung ihrer CO₂-Reduktionsstrategien zu unterstützen und Wettbewerbsnachteile durch gesetzliche Vorgaben zu vermeiden. Die konsequente Förderung erneuerbarer Energien und des Netzausbaus sowie die Subventionierung von Investitionen in die CO₂-Reduktion sind wichtig, um den Wandel überhaupt zu ermöglichen. Zusätzliche Regularien, wie beispielsweise die zunehmende Verteuerung des industriellen CO₂-Ausstoßes durch eine kontinuierliche Verknappung der sog. "CO₂-Zertifikate" stellen wichtige Hebel dar, um einen zeitnahen und raschen Wandel einzuleiten. Hierbei muss jedoch sichergestellt werden, dass produzierenden Unternehmen im internationalen Wettbewerb keine Nachteile entstehen und in Deutschland eingespartes CO₂ nicht durch Produktionsverlagerungen in anderen Regionen der Welt ausgestoßen wird. Die Erhebung von sogenannten "CO₂-Zöllen", also die gezielte Verteuerung von Produkten aus Ländern ohne CO₂-Bepreisung, könnte dieses Problem wirksam vermeiden.