Der Zirkus der Transformation
Think:Act befragt profilierte Experten zu Themen wie Unternehmenswandel, ethisches Wirtschaften, Resilienz und Innovationsstrategien.
von Steffan Heuer
Fotos von Katrin Binner
Dirk Hoke war Vorstand von Airbus Defence and Space, heute steuert der erfolgreiche Manager Volocopter, ein deutsches Start-up für Flugtaxis. Er ist überzeugt, dass Metropolen Verkehrsinfarkte und Luftverschmutzung nur in den Griff bekommen, wenn sie ihre Lufträume für den Nahverkehr nutzen.
Dirk Hoke trug früher Anzug und Krawatte, wenn er morgens ins Büro ging und Großaufträge für die Industriegiganten Siemens und Airbus an Land zog. Heute trägt Hoke schwarze T-Shirts und will Verkehrsgeschichte schreiben. Eines Tages, wenn Forscher Beiträge zum Aufstieg von Passagierdrohnen schreiben, werden vielleicht auch Volocopter einige Absätze gewidmet werden. Das Start-up aus dem baden-württembergischen Bruchsal ist einer von Dutzenden Wettbewerbern, die mit einer bislang in der Praxis nicht erprobten Mobilitätsform Geld verdienen wollen. Hokes Erfahrungen in der Führung von Großunternehmen könnten ein wichtiger Vorteil sein, um Lufttaxis zum Fliegen zu bringen.
Sie haben Ihre gut bezahlte Führungsposition bei Airbus aufgegeben, um bei einem kleinen Start-up namens Volocopter elektrische Passagierdrohnen zu bauen. Warum der radikale Neustart?
Dirk Hoke war Manager bei Siemens und leitete seit 2016 bei Airbus die Sparte Defence and Space. Im September 2022 übernahm Hoke das Steuer bei Volocopter. Bis Mitte 2023 hatte das Unternehmen mehr als 780 Millionen US-Dollar eingesammelt. Volocopter rechnet 2024 mit einer Zulassung der Europäischen Behörde für Flugsicherheit, um rechtzeitig zu den Olympischen Sommerspielen im Juli 2024 in Paris die ersten kommerziellen Flüge anbieten zu können.
Wie oft im Leben bekommt man schon die Chance, ein völlig neues Industriesegment ins Leben zu rufen – und an einem Kapitel der Luft- und Raumfahrtindustrie mitzuschreiben? Ich habe viele Angebote abgelehnt, als CEO in großen Unternehmen einzusteigen. Einen Vertrag hatte ich schon in der Tasche, ich musste nur noch unterschreiben. Aber mein Vorgänger bei Volocopter und ein Vorstandsmitglied setzten alles daran, mich zu überzeugen. Zunächst lehnte ich ab. Dann wurde mir klar, dass ich immer schon ein Start-up führen wollte, bislang hatte sich nur nie die passende Gelegenheit ergeben. Also sprach ich mit meiner Familie und meine Tochter sagte immer wieder: "Papa, du hast große Unternehmen geführt, du hast gut verdient. Warum machst du nicht mal was richtig Cooles?"
Denken Sie, dass erfahrene Manager aus Großkonzernen Start-ups besser führen?
Nicht zwingend, für Volocopter jedoch gilt das schon. Das Unternehmen ist an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr ausreicht, Investoren gute Geschichten zu erzählen. Wir müssen liefern, was wir versprochen haben. Unsere Ziele sind anspruchsvoll und wir müssen uns strengen Zertifizierungsprozessen stellen.
Ist es ein großer Unterschied, ein relativ kleines und junges Unternehmen zu leiten?
So groß sind die Unterschiede am Ende gar nicht. Bei Volocopter arbeiten 700 Leute. Wenn man für 30.000 oder 40.000 Mitarbeiter verantwortlich ist, führt man nicht alle unmittelbar, sondern durch die Unternehmenshierarchie. In einem kleineren Unternehmen gibt es nicht für jedes Thema eine eigene Abteilung. Das Kostenbewusstsein ist größer und man muss sorgsamer mit den Ressourcen umgehen. Diversität ist auch ein großes Thema. Wir sind ein sehr junges Team, im Schnitt knapp über 30 Jahre alt. Dabei kommen 60 Nationalitäten zusammen. Viele Mitarbeiter sind zu uns gekommen, weil sie einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Industrie leisten wollen.
Wie wird sich die Menschheit Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahrzehnten fortbewegen?
Es gibt immer stärkere Bestrebungen, die gesamte Mobilitätsbranche zu dekarbonisieren. Bei großen Verkehrsflugzeugen wird man sich stark auf Wasserstoff- oder Hybridantriebe konzentrieren. Zusätzlich werden wir große Anstrengungen in Richtung Elektroantrieb sehen, je nachdem, wie schnell die Weiterentwicklung von Batterien voranschreitet. Elektroantriebe sind zunächst für kleinere Flugzeuge interessant, aber perspektivisch sollen auch große Maschinen elektrisch fliegen.
Sie wollen eine Passagierdrohne, ein sogenanntes eVTOL ("electric vertical takeoff and landing vehicle") auf den Markt bringen. Wie passt diese Drohne in den Mobilitätsmix von morgen?
Wir haben die Chance, eine völlig neue Transportart zu erschaffen – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das ganz alltägliche Leben. Dabei reden wir nicht von einer Revolution von heute auf morgen. Aber gegen Ende des Jahrzehnts werden wir Tausende dieser Flugzeuge im Einsatz haben. Wir wollen nichts ersetzen; die Drohnen sollen eine zusätzliche Alternative bieten. Unser Ziel ist nicht nur ein komfortabler Flug für 15, 30 oder 45 Minuten. Vielmehr wollen wir dafür sorgen, dass diese Drohnen in ein durchgängiges Mobilitätskonzept eingebettet werden. Die Zeit, die Sie durch unsere Systeme gewinnen, darf nicht durch An- und Abreisen zum Start- und Landeplatz (Vertiport) oder Umsteigen auf andere Verkehrsträger verloren gehen.
Sehen Sie besondere Vorzüge für diese zukünftige Mobilität in verschiedenen Weltregionen, vor allem in Nordamerika, Europa und Asien?
Wir müssen uns im Klaren sein, dass eVTOLs nicht in allen Städten der Welt Sinn ergeben. Unser Augenmerk gilt Städten mit hoher Verkehrsdichte, wo ein echter Bedarf für ein zusätzliches Mobilitätskonzept besteht. Deshalb führen wir Analysen des Stadtgebiets und der Infrastruktur durch: Wie viel Platz gibt es für Vertiports? Und wie können wir unsere Angebote ins Stadtleben integrieren, sei es für kurze innerstädtische Strecken oder für etwas längere Entfernungen ins Umland?
Warum sollten wir künftig in eine Drohne steigen, wenn wir Zoom haben und eines Tages vielleicht das Metaverse, um andere Menschen zu treffen?
Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit diesem Thema. Das Metaverse wird niemals persönliche Begegnungen vollständig ersetzen. Wenn ich Sie heute zehn Mal auf dem Bildschirm gesehen habe und wir uns morgen in einer Stadt sehen, werde ich Sie wahrscheinlich nicht wiedererkennen – obwohl ich glaube, dass wir uns kennen. Wenn Sie ein Problem lösen wollen, das echten Austausch erfordert, dann funktioniert das nicht am Bildschirm. Bei wichtigen Angelegenheiten muss man sich persönlich treffen. Wird das Reisen verschwinden? Nein, definitiv nicht.
Wo liegen die Hauptprobleme der urbanen Mobilität? Ist es nur der Stau oder sind es die Emissionen?
Die Abgasprobleme sind eine Folge des zunehmenden Verkehrs. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, ihr Anteil steigt. Offenbar genießen viele Menschen die Anziehungskraft von Großstädten. Aber viele Städte haben sich aus ihrer bestehenden Infrastruktur heraus zu Megametropolen entwickelt und sind nicht gut auf den wachsenden Verkehrsbedarf vorbereitet. Sie müssen Lösungen finden, wie sie die Infrastruktur verbessern können. Das ist eine enorme Herausforderung, denn der Bau einer U-Bahn verschlingt Milliarden und dauert oft ein bis zwei Jahrzehnte. Nahverkehrslösungen, sofern sie nicht schon existieren, werden die Probleme in den nächsten Jahren nicht lösen. Die Zahl der Menschen, die in Städte ziehen, wird schneller steigen, als neue Massenverkehrsmittel gebaut werden.
Ingenieure entwickeln viele innovative Ideen. Was glauben Sie, was aus dem Hyperloop wird, bei dem die Passagiere mit hoher Geschwindigkeit in Kapseln durch eine Röhre transportiert werden sollen?
Bei Siemens gehörte ich zu dem Team, das den Transrapid als "Shanghai Maglev Train" in China gebaut hat. Das war eine sehr kluge Technologie, die wir leider nicht weiter erforschen konnten. Für uns gab es eine Reihe von Herausforderungen. Vor allem stand die Frage im Raum, wie man die Magnetschwebebahn in ein bestehendes Eisenbahn- und Massentransportsystem integriert. Letztlich hat es nicht geklappt. Nicht etwa, weil wir die technischen Probleme nicht in den Griff bekommen hätten. Sondern wegen der politischen Umstände: Deutschland wollte ja keine eigene Transrapidstrecke bauen. Beim Hyperloop sehe ich ebenfalls jede Menge Herausforderungen. Viele Menschen haben schon genug Angst davor, mit dem Eurostar den Ärmelkanal zu unterqueren. Selbst in eine U-Bahn zu steigen und mit hoher Geschwindigkeit unterirdisch zu reisen, ist für viele Leute keine angenehme Vorstellung. Außerdem lässt sich auch der Hyperloop nicht über Nacht realisieren. Der Aufbau einer effizienten Infrastruktur würde Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Deshalb sehe ich den Hyperloop als interessante Möglichkeit, um neue Technologien zu erforschen. Aber ich glaube nicht, dass er eine Antwort auf unsere Verkehrsprobleme ist.
Reden wir über Drohnen. Viele Leute werden bei der Vorstellung von "fliegenden Autos" mit den Augen rollen. Warum sind Sie so leidenschaftlich am Bau von eVTOLs interessiert?
Unser Ziel ist es, Menschen in Städten auf die effizienteste und nachhaltigste Weise zu befördern. Ich verstehe, dass die Leute bei unserem Ansatz zuerst an Hubschrauber denken. Aber das ist ein Missverständnis, unsere Fluggeräte haben mit Hubschraubern nicht das Geringste zu tun.
Können Sie das bitte erklären?
Unsere Fluggeräte sind hundertmal sicherer als jeder Hubschrauber, weil wir über ein MultirotorKonzept verfügen. Wir können einen oder zwei Rotoren verlieren und trotzdem sicher fliegen und landen. Außerdem erzeugen unsere Fluggeräte einen sehr niedrigen Lärmpegel, wie unabhängige Behörden bestätigten. Unsere größte Herausforderung besteht meines Erachtens darin, dass die Entwicklung neuer Batterien bislang hinter den Erwartungen zurückbleibt. Die Kapazität wird mit der Zeit jedoch zunehmen. Deshalb werden wir mit einem Doppelsitzer starten. Das ist die Größenordnung, die die gegenwärtigen Batteriegenerationen bewältigen. Sobald leistungsstärkere Batterien auf den Markt kommen, werden wir unsere Transportkapazitäten erweitern. Ich rechne 2026 damit. Unser schrittweiser Ansatz hat einen weiteren Vorteil. Selbst wenn wir bereits einen Vier- oder Achtsitzer anbieten könnten, wäre der Markt noch nicht vorbereitet. Die Bevölkerung ist noch nicht bereit dazu, Tausende solcher Flugobjekte um sich zu haben. Wir müssen zuerst in Paris, in Rom und in anderen ausgewählten Pilotstädten beweisen, dass unsere innovative Technologie sicher, leise und nachhaltig arbeitet.
Sie sind nicht das einzige Unternehmen, das an dieser Technologie arbeitet. Und wie überall werden auch in Ihrer Branche die meisten Start-ups früher oder später vom Markt verschwinden. Wie wird die Konsolidierung aussehen?
Wir arbeiten in einem äußerst kapitalintensiven Sektor. Jedes Unternehmen hat einen hohen Finanzbedarf. In den nächsten fünf Jahren werden wir deshalb einen Konsolidierungsprozess sehen. Aber die, die es schaffen, werden sich in einem nicht allzu intensiven Wettbewerbsumfeld wiederfinden. Denn der Markt ist groß genug. Je früher neue Mobilitätsangebote auf den Markt kommen, desto schneller wird es auch eine einheitliche Infrastruktur geben.
Ist autonomes Fliegen ein realistisches Ziel?
In der Luft ist autonomes Navigieren viel einfacher als am Boden. Obwohl die Rechenleistung rasch zunimmt und die Fahrzeuge zusätzliche Sensoren bekommen, bleibt der gemischte Verkehr von autonomen und nicht-autonomen Fahrzeugen eine Herausforderung. In der Luft gibt es weniger Überraschungen, weil die Verkehrsregeln sehr streng sind. Das macht den Verkehr leichter planbar. Der Automatisierungsgrad in der Luftfahrt wird deshalb schneller zunehmen als auf der Straße.
Ist das Luftverkehrsmanagement in der Lage, mit autonomen Flugobjekten umzugehen?
Das wird zu einer der größten Herausforderungen. Wir nutzen unseren Luftraum immer noch so wie vor 50 Jahren. Alles ist funkbasiert. Das muss automatisiert und digital ertüchtigt werden.
Wie wollen Sie dafür sorgen, dass Ihre Entwicklung möglichst vielen Menschen zugänglich wird und nicht allein Reichen vorbehalten bleibt?
Wenn wir bis zum Ende dieses Jahrzehnts mehrere Tausend Fluggeräte in Betrieb nehmen können, ist ein Preis von rund drei US-Dollar je Kilometer und Fahrgast aus meiner Sicht realistisch. Das ist ein vernünftiger Preis und entspricht in etwa einer teuren Taxifahrt. Wenn wir das Angebot in der Breite etablieren wollen, müssen jedoch Subventionen ins System fließen, zum Beispiel für den Aufbau einer guten Ladeinfrastruktur.
Was macht Sie so sicher, dass die Menschen das neue Verkehrsmittel akzeptieren werden?
Wie bei allen neuen Technologien wird es zu-nächst viel Ablehnung und Gleichgültigkeit geben. Das ist normal. Glauben Sie mir: Sobald der eVTOL-Service zu einem attraktiven Preis verfügbar ist, werden Menschen ihn nutzen, wenn er ihr Leben einfacher und besser macht.
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