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Schlüsselbranchen stehen vor Strukturwandel

Schlüsselbranchen stehen vor Strukturwandel

7. Mai 2018

Wo Entscheider auch bei guter Wirtschaftslage mit Herausforderungen rechnen müssen

Die deutsche Wirtschaft brummt, die Unternehmen melden Rekordzahlen und sind optimistisch für die Zukunft. Doch Vorsicht ist angebracht, denn auch wenn der Konjunkturboom darüber hinwegtäuscht: die Herausforderungen für die Unternehmen nehmen trotzdem zu. Themen wie die Digitalisierung, ein wachsender Fachkräftemangel, nachlassende Innovationskraft sowie politische Turbulenzen mit zunehmendem Protektionismus schaffen in vielen Branchen Anpassungsbedarf.

Dabei reicht das Drehen an Stellschrauben meist nicht, sondern es geht um einen tiefgreifenden Strukturwandel. Die Unternehmen sollten daher gerade die guten Zeiten und ihre dann vorhandene Kraft nutzen, um ihre Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und zukunftstauglich weiterzuentwickeln. Denn Veränderungen des Umfelds und der Rahmenbedingungen bieten immer auch Chancen auf neues Wachstum – aber nur wenn man die Entwicklungen aktiv mitgestaltet. Genau das tun allerdings viele Unternehmen nicht: Die gute derzeitige Lage lässt sie vergessen, dass es nicht immer so weitergeht.

Wenn Unternehmen ihre positive Entwicklung fortsetzen möchten, sollten sie sich jetzt entsprechend aufstellen.
Wenn Unternehmen ihre positive Entwicklung fortsetzen möchten, sollten sie sich jetzt entsprechend aufstellen.

Verschiedene Bereiche sind auf unterschiedliche Weise betroffen

Das ist gefährlich, denn die Herausforderungen wachsen: Weltweit sind die Märkte im Umbruch und auch politisch ist das Klima alles andere als stabil. Neuer Protektionismus behindert den Handel und beeinflusst die Wertschöpfung und Kosten von Unternehmen, auch in Deutschland. Dazu kommen die Digitalisierung, die zunehmend ihre disruptive Wirkung entfaltet, und Technologien wie künstliche Intelligenz, die mehr und mehr anwendungsreif werden oder kurz davor stehen. Sie lassen neue Geschäftsmodelle und entsprechend mehr Wettbewerb entstehen, denn die neuen Technologien senken die Markteintrittsbarrieren auch für branchenfremde Unternehmen, etwa Plattformbetreiber.

All dies sorgt für Anpassungsbedarf in vielen Branchen, wie die neueste CRO-Studie von Roland Berger belegt, für die deutschlandweit Restrukturierungsexperten befragt wurden. Als externe Auslöser für Anpassungsdruck sehen 88 Prozent von ihnen einen branchenspezifischen Strukturwandel, gefolgt vom technologischen Wandel (86% der Nennungen) und dem globalen Wettbewerb (75%). Spätestens, wenn die Konjunktur nicht mehr so gut läuft, drohen dann Unternehmenskrisen. Eine frühzeitige und kluge Reaktion ist daher entscheidend, schließlich sehen die befragten Experten den Hauptgrund für Krisen in Managementfehlern (90%). Neue Wettbewerber folgen mit 78 Prozent sowie disruptive Technologien mit 74 Prozent der Nennungen auf dem zweiten und dritten Platz.

"Auf der – auf den ersten Blick – glänzenden Fassade der deutschen Ökonomie gibt es ein paar hässliche Kratzer, die in der aktuellen Diskussion beflissentlich übersehen werden."

Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup

Präsident
Handelsblatt Research Insitute

Zeitpunkt des Umschwungs noch nicht absehbar

Eine Prognose, wann der Konjunkturboom sich abschwächt, ist gerade in instabilen Zeiten schwierig. Doch wie der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrates Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup in seinem Gastkapitel zu der Studie schreibt, gibt es bereits "ein paar hässliche Kratzer auf der glänzenden Fassade der deutschen Ökonomie": Zum einen sei Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in Rankings gefallen, besonders in Bezug auf die Digitalisierung sei das Land nicht gut aufgestellt. Zudem sinke die Attraktivität des Standorts für Investoren weiter, verstärkt durch sinkende Unternehmenssteuern in den USA und einiger Länder in Europa. Drittens wachse die Arbeitsproduktivität seit fast zehn Jahren nur noch um 0,6 Prozent pro Jahr. Und schließlich seien als Folge der Zinspolitik der EZB in mehreren Euroländern "Zombie-Unternehmen" entstanden, die nur durch das billige Geld überleben könnten und so den Strukturwandel verzögerten. Bei steigenden Zinsen könnten diese zur Gefahr für ganze Volkswirtschaften werden.

Wann genau der Umschwung kommen wird, ist also offen. Klar ist aber, dass der Strukturwandel je nach Branche unterschiedlich heftig ausfallen wird: Besonders betroffen sind laut der Umfrage zentral wichtige Branchen der deutschen Wirtschaft wie Automobil (ca. 95% Nennung), Anlagenbau (ca. 87%) und Handel (ca. 84%). Hier ist der Umbruch bereits länger im Gang – etwa im Handel – oder gewinnt gerade an Fahrt – wie in der Automobilindustrie.

Die Restrukturierungsexperten von Roland Berger haben die Herausforderungen und Folgen des anstehenden Wandels für sechs Schlüsselindustrien im Detail analysiert:

Sechs deutsche Schlüsselbranchen und ihre Herausforderungen
Konsumgüter und Handel: Umbruch voll im Gange

Der (Groß-)Handel verändert sich schon länger, ein Ende ist nicht absehbar. Vor allem das Geschäftsmodell klassischer Händler wird durch digitale Innovationen erschüttert. Die Kunden wollen heute sowohl Online als auch Offline einkaufen und leicht zwischen den Welten wechseln. Bis 2022 steigt der E-Commerce-Umsatz weltweit um 65 Prozent auf rund 2,6 Billionen Dollar. Wer dabei sein will, muss schnell in digitale Technologien investieren.

Automobilindustrie: Im Jahrhundertwandel

Das Geschäftsmodell der Autoindustrie gerät durch neue Mobilitätstrends wie autonomes Fahren, Car Sharing oder Ride Hailing unter Druck. Um zukünftig statt Fahrzeugkäufern Mobilitätsnutzer als Kunden zu gewinnen, muss die Branche neue Geschäftsmodelle entwickeln. Dazu braucht es Investitionen, auch in Datenverarbeitung. Dass Venture Capital-Investoren 2017 mehr als doppelt so viel in Mobilität investiert haben wie 2016, zeigt das zukünftige Potenzial.

Energiewirtschaft: Sinkende Margen, hohe Verschuldung

Die Gewinnmargen im Erzeugungsgeschäft sinken: von über 20 Prozent vor zehn Jahren auf heute noch 6 Prozent. Außerdem ist bereits jedes fünfte Unternehmen der Branche so hoch verschuldet, dass es nicht mehr kreditwürdig ist. Trends wie der Ersatz fossiler Brennstoffe, die Dezentralisierung der Energieerzeugung oder die Sektorenkopplung machen weitere Anpassungen nötig. Unter anderem sollten die Unternehmen neue Geschäftsfelder erschließen, auch über ihr Kerngeschäft hinaus.

Maschinenbau: Trügerische Sicherheit durch gute Lage

Im Maschinenbau gibt es viele Hidden Champions, die sich bisher als relativ krisenfest erweisen. Allerdings steigt auch für sie der Druck: Die Nachfrage nach neuen Maschinen wird abnehmen, auch weil die Kapazitäten der Abnehmer, etwa der Automobilindustrie, langfristig sinken und mehr Additive Manufacturing eingesetzt wird. Außerdem drängen chinesische Hersteller in den Markt. Die Maschinenbauer müssen daher jetzt schon in ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit investieren.

Finanzindustrie: Gefangen in dauerhafter Transformation

Hoch innovative FinTechs, zunehmende regulatorische Anforderungen, wachsende Ansprüche der Kunden, die Nachwehen der Finanzkrise: Die Bankenbranche kämpft an vielen Fronten. Hier braucht es echte Innovationen, um traditionelle Geschäftsmodelle zukunftsfest zu machen. Nötig sind die Modularisierung und Digitalisierung des Produktportfolios, die Integration von Angeboten aus dem Bankenumfeld, der Aufbau strategischer Kooperationen sowie die Optimierung von Prozessen und Organisation.

Gesundheitswesen: Revolution rückt näher

Die Digitalisierung verändert auch die gesamte Gesundheitsbranche: Ärzte bekommen neue, exaktere und schnellere Diagnosetechniken, Pharmaunternehmen müssen entsprechend personalisierte Medikamente anbieten, Patienten werden durch Online-Informationen selbstbestimmter, Medizintechnikhersteller entwickeln sich zu Software- und Datenspezialisten usw. Demografischer Wandel, Fachkräftemangel und Zwang zu Effizienz schaffen neuen Druck. Alle Beteiligten einschließlich Politik und öffentliche Träger müssen daran arbeiten, die Branche zukunftsfit zu machen.

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Studie

Schlüsselbranchen stehen vor Strukturwandel

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Deutsche Unternehmen melden Rekordzahlen. Gleichzeitig wachsen Herausforderungen wie Digitalisierung, Fachkräftemangel und nachlassende Innovationskraft. In vielen Branchen besteht aktuell hoher Handlungsbedarf.

Veröffentlicht Mai 2018. Vorhanden in
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