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Volldigitalisierte Lieferketten als Antwort auf die Herausforderungen im Einzelhandel

Volldigitalisierte Lieferketten als Antwort auf die Herausforderungen im Einzelhandel

10. Dezember 2019

Was der Handel tun muss, um sein Geschäft zukunftsfest zu machen

Der Einzelhandel und besonders seine Lieferketten stehen vor einschneidenden Veränderungen: Politische und gesellschaftliche Unsicherheiten, die Auswirkungen des Klimawandels und demografischer Trends, neue Produkte und Geschäftsmodelle sowie veränderte Kundenansprüche – diese und weitere externe und interne Faktoren zwingen die Unternehmen, ihre Lieferkettenstrategien zu hinterfragen und an den Wandel anzupassen. Wir haben acht zentrale Supply Chain Paradigmenwechsel identifiziert, die hierbei berücksichtigt werden sollten. Im Ergebnis muss eine radikal digitalisierte Lieferkette entstehen. Einfach auf die neuesten technologischen Trends aufzuspringen ist dabei allerdings kein erfolgversprechender Weg. Vielmehr gilt es auf Basis des individuellen Status quo ein passendes Gesamtkonzept zu erarbeiten und die richtigen Schritte zu dessen Umsetzung einzuleiten.

Um aktuellen Anforderungen zu begegnen, muss der Einzelhandel acht Paradigmen in seiner Lieferkettenstrategie ändern und mit digitalen Technologien hinterlegen.
Um aktuellen Anforderungen zu begegnen, muss der Einzelhandel acht Paradigmen in seiner Lieferkettenstrategie ändern und mit digitalen Technologien hinterlegen.

Lieferketten sind die Schlagader des Einzelhandels – nur wenn sie reibungslos funktionieren, können die Unternehmen die Ansprüche ihrer Kunden befriedigen und erfolgreich wirtschaften. Umso wichtiger ist es, dass die Prozesse höchst effektiv und effizient ablaufen. Da Lieferketten heutzutage internationale oder sogar weltumspannende Netzwerke sind, werden sie anfällig für eine Vielzahl an Störfaktoren. Solche Einflüsse treten gerade in der heutigen Zeit immer häufiger auf, sie kommen sowohl aus dem Umfeld als auch von intern und sie haben einzeln und in Kombination erheblichen Einfluss auf die Lieferketten.

Zu den externen Faktoren gehört zum Beispiel die Politik: Weltweit zunehmende nationalistische und globalisierungskritische Tendenzen führen zu Handelskonflikten, höheren Zöllen und Kosten für die Unternehmen. Aber auch strengere Klimaschutzgesetze, Datenschutzregeln oder Arbeitnehmerrechte betreffen den Einzelhandel und seine Güterströme, zudem fehlen häufig gesetzliche Rahmenbedingungen für neue Technologien oder Produkte. Ein weiterer Faktor ist die wirtschaftliche Entwicklung: Wachstum im Einzelhandel findet heute vor allem in Schwellenländern statt, während unbegrenzter Konsum in den gesättigten westlichen Märkten zunehmend hinterfragt wird. Dazu kommen Einkommensunterschiede, die die Nachfrage regional beeinflussen, aber auch Herausforderungen wie der Mangel an Arbeitskräften, welcher bereits zum Beispiel Deutschland betrifft.

Klimawandel als Herausforderung für Lieferketten

Weitere externe Faktoren sind der Klimawandel und die Demographie: Lieferketten tragen einerseits selbst zum Klimawandel bei, müssen also in Bezug auf transportbedingte Emissionen optimiert werden; andererseits bedeuten zum Beispiel wetterbedingte Produktionsausfälle oder unterbrochene Infrastruktur Risiken für den Nachschub im Einzelhandel, denen durch regionale Diversifizierung begegnet werden muss. Demographische Entwicklungen dagegen verändern nicht nur die Kundenbasis durch alternde Bevölkerungen und abnehmende Haushaltsgrößen, sondern sorgen durch die weltweit zunehmende Urbanisierung und in der Folge überlastete Infrastrukturen auch für logistische Herausforderungen.

Brancheninterne Faktoren betreffen unter anderem die Verkaufsstrategie. Sie muss den veränderten Ansprüchen der Konsumenten gerecht werden, für die Online-Verfügbarkeit, schnelle und bequeme Lieferung, Produkterlebnis statt -besitz, Nachhaltigkeit und ähnliche Kriterien immer wichtiger werden. Für den Handel bedeutet dies weiteren Wachstum im Online-Geschäft, ein Omnichannel-Geschäftsmodel als langfristiges Ziel sowie einen steigenden Bedarf an kreativen neuen Geschäftsideen wie Pop-up-Konzepten oder Shopping-Events. Dafür müssen die Lieferketten optimiert werden, während gleichzeitig die nach wie vor hohe Preissensibilität der Kunden in Kombination mit allzeit verfügbaren Onlinevergleichen zu einer hohen Effizienz zwingt. Dazu kommt ein wachsender Wettbewerb, zum Beispiel durch neue Hersteller und Marken, die unter Umgehung des traditionellen Handels über Online-Kanäle direkt die Endkunden ansprechen. Auch die steigende Nachfrage nach lokal oder regional hergestellten Produkten, vor allem im Lebensmittelhandel, sowie immer kürzere Produktzyklen verlangen neue Wege in der Beschaffung.

Zusammenfassend ergeben all diese Faktoren vier zentrale Herausforderungen für Einzelhändler und ihre Lieferketten: Eine zunehmende Unsicherheit durch politische und regulatorische Instabilitäten und einen schwer vorherzusehenden Einfluss des Klimawandels; eine wachsende Komplexität, unter anderem durch die zunehmende Vielfalt an Geschäftsmodellen, Kanälen und Herstellern; anspruchsvollere Kundenerwartungen in Bezug auf Qualität, Auswahl, Preis und jederzeitige Verfügbarkeit des Sortiments; einen anhaltenden Kostendruck, zum Beispiel durch Fachkräftemangel und Ressourcenknappheit bei gleichzeitigem Preisdruck aufgrund gesättigter Märkte und zunehmenden Wettbewerbs.

Die acht Paradigmen-Wechsel für eine zukunftsfähige Lieferkette

Diese Herausforderungen zwingen den Einzelhandel, den Status quo zu überdenken und eine Vision für eine zukunftsfähige Lieferkette zu entwickeln. Dazu müssen sie acht Paradigmen über Bord werfen und durch neue ersetzen:

1. Informationsbündelung

Von Datensilos und Ad-hoc-Berichten zum geteilten Wissen über Finanz-, Umwelt- und Sozialdaten

Um Einsparpotenziale effektiv zu identifizieren, müssen sämtliche Kosten für alle Beteiligten zentral zugänglich sein. Die heutigen separaten Datenbanken, Tabellen und Zuordnungsschlüssel schaffen ein undurchsichtiges und inkonsistentes Netz von KPIs. Die zunehmende Komplexität von Lieferketten erzeugt eine solche Flut von Informationen, dass die Grenzen von Silo-Tools gesprengt werden und trotz höchstem Aufwand für das Datenmanagement inkonsistente Ergebnisse entstehen.

Außerdem ist zukünftig eine kontinuierliche Erfassung von Kennzahlen zu Umwelt- und gesellschaftlichen Auswirkungen geschäftskritisch. In längeren Zyklen zusammengestellte Nachhaltigkeitsberichte eignen sich z.B. nicht für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und erfüllen auch nicht die Wünsche von Verbrauchern und Politikern nach Transparenz auf der Ebene einzelner Produkte.

2. Fußabdruck & Infrastruktur

Von der fallweisen Optimierung zur kontinuierlichen Verbesserung von Footprint und Infrastruktur

Externe Faktoren wie Handelspolitik, nationale Gesetze, Löhne und der Klimawandel verändern sich unvorhersehbar in Tempo und Ausmaß. Dementsprechend kann die heute noch optimale Aufstellung einer Lieferkette innerhalb weniger Monate ineffektiv werden. Nur wenn die laufenden Kosten an jedem Standort kontinuierlich auf Basis zentraler Daten überwacht und gegen den Aufwand für eine Neuaufstellung abgewogen werden, lässt sich dauerhaft eine wettbewerbsfähige Lieferkette gewährleisten.

Auch die digitale Infrastruktur selbst muss flexibel aufgebaut und ständig hinterfragt werden, denn auch in den Bereichen Sicherheit, Industriestandards und Vorschriften gibt es laufend neue Entwicklungen.

3. Echtzeit-Transparenz

Von der zentralen Koordination zur reibungslosen autonomen Echtzeit-Steuerung

Eine zentralisierte Betriebsplanung entfällt, wenn Algorithmen den nächsten Schritt für jeden Akteur kennen. Maschinen können in Echtzeit kommunizieren und dabei mehr interne und externe Faktoren berücksichtigen, etwa Verspätungen oder Verkehrsbehinderungen, als ein Mensch jemals in einen Plan integrieren könnte.

Wenn z. B. Fahrer per App in Echtzeit angewiesen werden, können Filialen und Lager auf Basis des tatsächlichen Warenbestandes und der prognostizierten Nachfrage für die nächsten Tage beliefert werden, statt veraltete Erfahrungswerte zu nutzen.

Auch bei der Personalplanung sind zentrale Pläne weniger effektiv, als wenn die Personalabteilung vor Ort eingreifen kann, sobald die Software ein Problem erkennt und eine Warnung ausgibt.

4. KI-gesteuerte Angebote

Von der Belieferung mit dem Standardsortiment zur auf den jeweiligen Verkaufspunkt zugeschnittenen Produktversorgung

Ein KI-gesteuertes Sortiments- und Platzierungsmanagement auf Filialebene muss die Lücke zwischen zentral vorgegebenem Sortiment für alle Kundenkontaktpunkte und dem individuellen Portfolio dezentralisierter Filialen schließen.

Ein zentrales System, das übergreifende Muster besser als der einzelne Händler berücksichtigt, gleichzeitig aber (im Gegensatz zum zentralen Category Demand Manager) Trends und Unterschiede zwischen Mikroclustern auf Filialebene erkennt kann das Bestands- und Serviceniveau optimieren und Gewinne maximieren, indem es das Angebot auf das spezifische Kundenmilieu zuschneidet.

Dazu gehört die Differenzierung auf Mikroebene mit Nischenprodukten, lokalen Lieferanten oder Kooperationen mit Start-ups.

5. Vernetzter Handel

Von einer standardisierten, operatorgesteuerten letzten Meile zur Lieferung, die sich in Art, Ort und Zeitpunkt am Kundenwunsch orientiert

Kunden, denen der Zugang zu Produkten wichtiger ist als Marke oder Preis, müssen zu ihren Bedingungen bedient werden. Im Fokus der Lieferkette der Zukunft steht die Übergabe an den Kunden – egal ob am selben Tag, am nächsten Montag zwischen 18.00 und 19.00 Uhr, im Regal im nächsten Eckladen oder in einem Pop-up-Shop, wo die Kunden Online-Möbel testen können.

Um dies zu erreichen, müssen Einzelhändler sich zu echten Omni-Channel-Playern entwickeln, d.h. den Kunden an jedem Kontaktpunkt aus einer Hand bedienen. Vernetzter Handel bedeutet, dass das Denken in Kanälen intern wie extern verschwindet. Dann kann die letzte Meile an jeder beliebigen Stelle beginnen.

6. Digitale Omni-Channel-Strategie

Von der Bestimmung für einzelne Kanäle zur allseitigen Zugänglichkeit der Waren

Jeder einzelne Artikel, der in der Lieferkette vorhanden ist, muss von jedem bestellt werden können. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob die Ware im Lager ist, in einem anderen Geschäft steht, oder gerade auf einem LKW unterwegs ist. Entscheidend ist, dass Verkäufer (oder Kunden direkt im Fall von z.B. E-Commerce) digitalen Zugriff auf den Artikel haben, um ihn zu reservieren und zu erfahren, wann und wie der Kunde ihn erhalten kann.

Die Entkopplung von Verkauf und physischer Verfügbarkeit eines Artikels ist der Schlüssel zu einer wirklich nahtlosen Omnichannel-Strategie.

7. Vollautomatisierung

Vom Roboter als Handlanger zur übermenschlichen Arbeitskraft

Um die Abhängigkeit von manueller Arbeitskraft zu verringern, übernehmen Roboter zunehmend Tätigkeiten und entwickeln sich von der einfachen Prozessautomatisierung zu einem Ersatz für immer komplexere Aufgaben. Ein Beispiel sind körperliche Arbeiten unter unangenehmen oder gefährlichen Bedingungen, für die sich kaum noch menschliche Arbeitskräfte finden, etwa in der Lagerkommissionierung. Diese können intelligente Roboter problemlos rund um die Uhr erledigen, oftmals mit geringen laufenden Kosten.

Wo Vollautomatisierung immer noch zu komplex oder kostspielig ist, können Mensch-Maschine-Technologien wie beispielsweise Exoskelette die Produktivität der Mitarbeiter steigern, die Arbeitskosten senken oder Kapazitätsengpässe verhindern.

8. Neue Geschäftsmöglichkeiten

Von Retouren als Problem zu Kreisläufen als neuer Chance

Ein ausgeklügelter Retourenprozess wird zum Wettbewerbsvorteil sowohl in Bezug auf die Kundenzufriedenheit als auch für die Profitabilität des E-Commerce. Mit dem Ausbau der Sharing Economy bei langlebigen Konsumgütern wie Elektronik oder Mode erschließt eine auf Kreisläufe ausgelegte Lieferkette zusätzlich neue Geschäftsmöglichkeiten wie Mieten und Abonnements.

Und auch am Ende des Produktlebenszyklus können innovative Einzelhändler eine Schlüsselrolle einnehmen: als beiderseitiger Kontaktpunkt in einer Kreislaufwirtschaft, die darauf abzielt, gebrauchte Produkte wiederzuverwenden, aufzuwerten oder zu recyceln, anstatt sie zu entsorgen.

Die Umsetzung dieser Paradigmen-Wechsel erfordert den Einsatz der gesamten Bandbreite digitaler Technologien – von Robotern über Big Data-Analysen bis hin zu Künstlicher Intelligenz: Nur durch eine radikale Digitalisierung der gesamten Lieferkette wird es möglich, den Fluss von Informationen und Waren so effizient, flexibel, schnell und kostengünstig zu machen, wie es der Wandel im Einzelhandel erfordert (vgl. Grafik).

So erlauben zum Beispiel Big Data-Analysen, das Verhalten der Kunden besser zu verstehen und so die Nachfrage zeitlich und örtlich vorherzusagen. Mit diesem Wissen lassen sich Lieferkettenschritte von der Produktion bis zur Lieferung maßgeschneidert an den Bedarf anpassen. Mit künstlicher Intelligenz können Planung und Prognosen verbessert, ein effizientes Lagerhaltungssystem sichergestellt und Prozesse wie die Auswahl von Zulieferern optimiert werden. Und das Internet der Dinge erlaubt eine zunehmend autonom ablaufende Realtime-Steuerung von Lieferkettenprozessen.

Ein Abgleich der verfügbaren digitalen Technologien mit den acht Paradigmen der zukunftsfähigen Lieferkette zeigt, dass es nicht DIE EINE Technologie gibt, mit der sich alle Herausforderungen lösen ließen (vgl. Grafik). Getreu der Devise „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile“ braucht es vielmehr eine kluge Kombination aus den verschiedenen digitalen Werkzeugen, um im Zusammenspiel das Optimum herauszuholen. Dabei muss immer die individuelle Situation des Unternehmens wegweisend sein. Deshalb empfiehlt sich ein Vorgehen in vier Schritten – wobei diese nicht nur einmal durchlaufen werden sollten, vielmehr geht es um eine kontinuierliche Spirale der Optimierung:

Damit behalten Einzelhandelsunternehmen die Hoheit über die Transformation ihrer Lieferkette in ein vollständig durchdigitalisiertes System. Denn einfach den jüngsten Trends hinterherzulaufen, ist auf Dauer nicht erfolgreich. Vielmehr gilt es, ein Gesamtkonzept zu entwickeln und umzusetzen, um die zentrale Schlagader des Handels zukunftsfähig zu machen.

Für weitere Informationen oder die vollständige Studie kontaktieren Sie gerne unsere Experten Matthias Hanke und Jens Kilimann .

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Portrait of Matthias Hanke
Senior Partner, Managing Partner Switzerland, Central European Head of Transportation
Büro Zürich, Zentraleuropa
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