Warum es uns so schwerfällt, Dinge zu ändern

Think:Act Magazin “Geopolitik 2.0”
Warum es uns so schwerfällt, Dinge zu ändern

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München Office, Zentraleuropa
25. Juli 2022

Die Verhaltensforscherin Katy Milkman erklärt, warum es uns so schwerfällt, Dinge zu ändern

Artikel

von Neelima Mahajan
Illustrationen von Nigel Buchanan

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Warum nur fällt es uns so schwer, Dinge in unserem Leben nachhaltig zu verändern? Die Verhaltensforscherin Katy Milkman erklärt, welche psychologischen Hürden gute Vorsätze ausbremsen – und wie es uns gelingt, sie zu überwinden.

Gute Vorsätze? Seien wir mal ehrlich: Es läuft doch fast immer gleich, wenn wir uns große Ziele setzen. Egal, ob es um unsere Gesundheit, Finanzen oder Weiterbildung geht: Zu Beginn sind wir noch voller Leidenschaft dabei, aber schon nach wenigen Wochen schwindet der Enthusiasmus, und dann verlieren wir innerhalb kürzester Zeit unser Ziel komplett aus den Augen. Und das, obwohl wir ganz genau wissen, dass wir etwas in unserem Leben ändern müssen.

Verhaltensforscherin und Ökonomin Katy Milkman ist fasziniert davon, wie Menschen sich trotz bester Absichten ständig selbst sabotieren. Über Jahre hinweg hat sie die Eigentümlichkeiten des menschlichen Hirns studiert und daraus ein Repertoire an Instrumenten entwickelt, das uns hilft, unser unstetes Ich davon zu überzeugen, das zu tun, was wirklich gut für uns ist.

Die Strategien, die Milkman in ihrem Buch How to Change skizziert, wurden bereits von zahlreichen Unternehmen wie Google, der Fitnessstudio-Kette 24 Hour Fitness und der Supermarktkette Walmart, aber auch vom US-Verteidigungsministerium angewendet. Jüngst fragte sogar das Weiße Haus bei Milkman um Rat, wie man Menschen davon überzeugen könne, sich gegen Covid impfen zu lassen.

Eine Illustration zeigt die lächelnde Verhaltensforscherin Katy Milkman. © Nigel Buchanan
Katy Milkman, Professorin an der Wharton School der University of Pennsylvania und Autorin von How to Change.

Warum fällt es uns schwer, Dinge zu verändern, obwohl wir wissen, dass es gut für uns wäre?

Katy Milkman

Katy Milkman ist Professorin an der Wharton School der University of Pennsylvania und Präsidentin der Society for Judgment and Decision Making. 2021 wurde sie in die Thinkers50-Liste aufgenommen und erhielt deren Strategy Award.

Die erste Hürde ist mangelnde Motivation für einen echten Neubeginn. Eine weitere ist die Neigung, "instant gratification" anzustreben, also die sofortige Befriedigung der langfristigen Belohnung vorzuziehen. Dann kommt Prokrastination hinzu. Auch Vergesslichkeit kann eine reale Hürde darstellen: Menschen unterschätzen, wie wichtig Gedächtnisstützen sind, die uns an unser Vorhaben erinnern und anspornen, es durchzuziehen. Dann gibt es noch die Faulheit. Wir neigen dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen – diese Eigenschaft teilen wir mit den besten Algorithmen. Hinzu kommen die Faktoren Selbstvertrauen und Konformität: Wenn uns das Selbstvertrauen fehlt, dass wir tatsächlich etwas verändern könnten, kann uns das davon abhalten zu handeln. Ebenso, wenn wir auf andere schielen, um uns zu versichern, was überhaupt machbar ist und wozu wir in der Lage sind. Wer eine One-fits-all-Lösung anstrebt, ist meist nicht annähernd so erfolgreich wie jemand, der diagnostiziert und begreift, was ihm im Weg steht.

Sollten wir erst kleinere Ziele anstreben?

Eine meiner Lieblingsstudien dazu haben wir mit einer Non-Profit-Organisation durchgeführt. Diese bat ihre Unterstützer, 200 Stunden Arbeit pro Jahr für sie zu investieren. Alle zwei Wochen gab es Erinnerungsschreiben: "Wir möchten uns versichern, dass Sie uns als Unterstützer erhalten bleiben." Als Experiment haben wir in einigen Schreiben umformuliert: "Das sind gerade mal vier Stunden pro Woche", oder: "Das sind acht Stunden alle zwei Wochen." Wenn wir das große Ziel in kleinere Abschnitte unterteilten, nahm die Arbeitsleistung um rund 10% zu.

Warum werden unmittelbare Folgen über- und Langzeitfolgen unterschätzt?

Ökonomen nennen das den "present bias". Wenn Sie mittags zwischen Pizza und Salat wählen müssen, denken Sie: "Oh, Pizza klingt toll." Sie werten das Langzeitziel, fit und gesund zu bleiben, ab. Beim Sparen ist es das Gleiche: Erhalten Sie einen fetten Bonus, möchten Sie gern schick essen gehen oder ein cooles neues Elektronik-Gadget kaufen, statt das Geld auf die hohe Kante zu legen. Man kann den present bias nicht verstehen, ohne einen Blick auf die menschliche Evolution zu werfen. Vor Tausenden von Jahren, als die Menschen konstant ums Überleben kämpften, konnten sie sich nicht mit langfris tigen Zielen auseinandersetzen.

Heute aber ist das nicht mehr von Vorteil. Aber man kann den present bias überwinden. Es gibt eine Strategie namens "temptation bundling", also das Bündeln von Versuchung und Aufgaben: Stellen Sie sich vor, Sie gönnen sich eine Belohnung dafür, dass sie sich in die Bibliothek setzen, um sich in den Büchern zu vergraben. So können wir die Versuchung mit etwas verknüpfen, das wir eigentlich als unangenehm empfinden. Der entscheidende Punkt, um die Fixierung auf die Gegenwart zu überwinden, ist, ihr nachzugeben. Akzeptieren Sie, dass sofortige Belohnungen enorm wichtig sind, wenn Sie eine Sache durchziehen wollen.

"Manchmal kann man Entscheidungsmöglichkeiten so strukturieren, dass der Weg des geringsten Widerstands zum besten Ergebnis führt."
Portrait of Katy Milkman

Katy Milkman

Professorin
Wharton School der University of Pennsylvania

Sie reden von einem Wollen-Ich und einem Sollen-Ich. Was meinen Sie damit?

Es gibt die Ansicht, dass wir zwei Ichs haben, die sich duellieren. Das Wollen-Ich ist auf die sofortige Belohnung fokussiert und bevorzugt das, was uns sofortiges Vergnügen verschafft. Das Sollen-Ich hingegen konzentriert sich auf Langzeitziele. Wenn die beiden sich bekämpfen, sollten Sie überlegen, welche Dinge die Waagschale zugunsten des Sollen-Ichs kippen lassen würden.

Sie sprechen auch von der Kraft des Neubeginns. Was steckt dahinter?

Zu Beginn eines neuen Jahres sind wir extrem motiviert, uns Ziele zu setzen. Solche Momente treten jedes Mal auf, wenn wir das Gefühl haben, dass wir ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen. Der Beginn einer neuen Woche, eines neuen Monats oder auch ein Geburtstag vermitteln uns das Gefühl, dass wir die Fehlschläge der Vergangenheit abhaken können: "Das war jemand anders." Bei solchen Neuanfängen oder dem Beginn neuer Abschnitte ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass Menschen tatsächlich ins Fitnessstudio gehen. Dasselbe gilt für Finanz- oder Ausbildungsziele. In einer Studie stiegen die Abschlüsse für Altersversicherungen um 20 bis 30%, wenn die Versicherten animiert wurden, die Versicherungen ab dem Datum eines bevorstehenden Geburtstags oder zum Frühlingsbeginn abzuschließen statt zu einem x-beliebigen Zeitpunkt, der ähnlich weit in der Zukunft lag.

Schritt für Schritt Verhalten ändern
1. Nehmen Sie sich nicht zu viel vor

Bleiben Sie flexibel. Dann können Sie jederzeit konsistent handeln. Auch wenn die Umstände einmal nicht ideal sind.

2. Führen Sie Buch über Fortschritte

Wenn Sie Verhaltensänderungen protokollieren, fällt es leichter, daran festzuhalten. Und es erinnert Sie daran, Erfolge zu feiern.

3. Das Ziel ist Kontinuität

Wenn Sie von erwünschten neuen Verhaltensweisen mehr als einmal auch nur minimal abweichen, wird es schwierig, sie zu verfestigen.

Können wir die Neigung, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, in etwas Positives umwandeln?

Manchmal kann man Entscheidungsmöglichkeiten so strukturieren, dass der Weg des geringsten Widerstands tatsächlich zum besten Ergebnis führt. Ein Beispiel dafür ist eine Firma, die erreichen wollte, dass mehr Angestellte ihr Altersvorsorgeprogramm nutzen. Um daran teilzunehmen, musste man bis dahin bei der Einstellung nur die Option ankreuzen: "Ich möchte, dass ein Teil meines Gehalts in das Altersvorsorgeprogramm eingezahlt wird." Dann wurde das Prozedere geändert. Nun musste man einen Haken setzen, wenn man nicht teilnehmen wollte. Das Ergebnis: Als keine aktive Handlung nötig war, stieg der Anteil der Sparer um 40%. In einer anderen Studie verschrieben Ärzte zu häufig Medikamente von bekannten Marken mit hohen Preisen.

Ich gegen mich

Sehen Sie Veränderung als einen Wettkampf an, bei dem Sie gegen sich selbst antreten. Die Hürden, die sie dabei bewältigen müssen, können sich im Lauf der Zeit verändern; dann müssen Sie Ihre Strategie anpassen.

Es stellte sich heraus, dass dahinter keine Absicht stand, sondern dass sich die Ärzte nur den Markennamen gemerkt hatten. Darum gaben sie ihn bei der Rezepteingabe ein. Also wurde der Vordruck geändert: Nun stand dort der Text: "Bitte schicken Sie exakt das Rezept zur Apotheke, das ich aufgeschrieben habe." Wurde das Kästchen, das sich neben dem Text befand, nicht angekreuzt, wurde automatisch ein Generikum bestellt. Das senkte die Kosten für Versicherer und Patienten gewaltig.

Wir können unsere Voreinstellungen verändern, indem wir den Weg des geringsten Widerstands zu dem Weg machen, für den wir uns entscheiden zu dem, der uns zugewiesen wird. Tauschen Sie die Lebensmittel aus, die in Ihrem Kühlschrank stehen, ändern Sie die Einstellungen ihres Browsers so, dass sie nicht mehr Ihre sozialen Medien aufrufen, sondern eine Webseite, die Ihnen dabei hilft, langfristige Ziele zu erreichen.

Sie haben Change Management mit einer chronischen Krankheit verglichen…

Gemeinsam mit der Psychologieprofessorin Angela Duckworth hatte ich ein einmonatiges Programm für die Fitnessstudio-Kette 24 Hour Fitness entwickelt, das enttäuschend endete. Das Ziel war es, dauerhafte Trainingsgewohnheiten anzustoßen. Doch nach Beendigung des Programms verpufften die Veränderungen fast vollständig; meist verfiel man wieder in alte Muster. Ich sprach darüber mit Kevin Volpp, einem Verhaltensökonomen von der University of Pennsylvania.

Er meinte: Wenn wir bei einem Menschen Diabetes diagnostizieren, geben wir ihm auch nicht bloß einen Monat lang Insulin, nehmen es dann weg und erwarten, er sei geheilt. Wir behandeln es als einen chronischen Zustand. Warum sollten Verhaltensänderungen anders sein? Diese Einsicht war für mich überwältigend. Es hat verändert, wie ich forsche und wie ich über Coaching denke und darüber, wie man andere zu Veränderungen ermutigt. Wir haben es mit nachhaltigen Herausforderungen zu tun, und wir wollen nachhaltige Verhaltensänderungen erzielen, also brauchen wir auch nachhaltige Lösungen.

Über die Autorin
Portrait of Neelima Mahajan
Neelima Mahajan
Neelima Mahajan ist Chefredakteurin von Think:Act. Sie hat seit zwei Jahrzehnten als Wirtschaftsjournalistin für verschiedene Publikationen in Indien und China gearbeitet, unter anderem war sie Mitglied des Gründungsteams der indischen Ausgabe des Magazins Forbes. Von 2010 bis 2011 war sie Gaststudent an der University of California in Berkeley und Stipendiatin der Bill und Melinda Gates Stiftung für ein Reportageprojekt über Afrika. Majahans Leidenschaft sind Management-Themen. Sie hat zahlreiche renommierte Managament-Vordenker, Nobelpreisträger und Unternehmenslenker interviewt. 2010 erhielt sie den Polestar Award for Excellence in IT and Business Journalism, einen der renommiertesten Journalistenpreise Indiens.
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