Über die genannten Gründe und ihre genaue Gewichtung wird derzeit heiß debattiert: Diejenigen, die sagen die Inflation sei nur vorübergehend so hoch, stehen denjenigen gegenüber, die befürchten, dass wir in den nächsten Jahren dauerhaft höhere Inflationsraten erleben werden.
Die Mehrheit der Analysten geht für 2022 von Inflationsraten zwischen 2,5 und 3,2 Prozent für die Eurozone und zwischen 2,0 und 4,8 Prozent für die USA aus. Diese Prognosen sind niedriger als die Werte am Ende dieses Jahres, aber andererseits eben auch höher als die durchschnittlichen Inflationsraten der letzten Jahre. Allerdings würden sich auch solch höhere Inflationsraten noch innerhalb der Zielkorridore von EZB und Fed bewegen, da die zwei Zentralbanken eine durchschnittliche Inflation von 2 Prozent anstreben und nach vielen Jahren des Unterschreitens nun ein Überschreiten des Inflationsziels vertreten könnten.
Damit nun zur entscheidenden Frage: Was passiert, wenn sich die aktuellen Inflationsraten längerfristig auf dem aktuellen Niveau halten würden?
Eine erste Folge würde sich sehr rasch und für alle unmittelbar spürbar einstellen: Höhere Preise verringern die Kaufkraft der Verbraucher und sorgen so dafür, dass diese weniger
konsumieren
, was sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Der Rückgang der Kaufkraft birgt zudem die Gefahr, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. Am Beginn der 70er-Jahre etwa galoppierten in Deutschland Inflationsentwicklung und Entwicklung der Löhne synchron in die gleiche Richtung. Erst durch eine restriktive Geldpolitik, d.h. durch höhere Zinsen und eine Verknappung der Geldmenge bei gleichzeitig zurückhaltenden Lohnforderungen der Gewerkschaften konnte diese Entwicklung gestoppt werden.
Höhere Preise wirken sich zweitens aber nicht nur auf die Konsumenten, sondern auch auf die
Unternehmen
aus. Steigen die Preise für Input-Faktoren, wie Vorprodukte oder die gerade genannten Löhne, erzielen die Unternehmen geringere Gewinne. Sie werden also ihrerseits die Preise erhöhen. Damit droht ein Teufelskreislauf in Gang zu geraten, der sich nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig schädlich auf das Wachstum auswirken wird.
Zuletzt bestünde eine dritte Konsequenz einer dauerhaften Inflation darin, dass Käufe und Ausgaben vorgezogen werden, da Konsumenten wie Unternehmen lieber heute billig statt morgen teuer einkaufen wollen. Dies führt dazu, dass sich Nachfrage und Angebot immer stärker auseinander entwickeln. Auch die Sparquote wird dann sinken, was – zumindest theoretisch – zu höheren Zinssätzen führen müsste. (Unbegrenztes "quantitative easing" setzt diesen Konnex, wie wir derzeit sehen, freilich außer Kraft).
Fazit: Niemand vermag derzeit zu sagen, wie lang sich die Inflationsraten in Europa und USA auf ihrem derzeitigen Rekordhoch halten. Wenn es allerdings in den nächsten Monaten zu keinem nennenswerten Rückgang der Inflation kommt, dann wären damit die skizzierten Gefahren für die Realwirtschaft verbunden – mit erheblichen Konsequenzen für Verbraucher und Unternehmen.