Wege zum Erfolg für die EU-Halbleiterbranche
Von Thomas Kirschstein und Michael Alexander
Wie Technologie-Partnerschaften mit außereuropäischen Zulieferern die EU-Halbleiterallianz zum globalen Powerhouse machen können
Die kürzlich vorgestellte „Europäische Initiative im Bereich Mikroprozessoren und Halbleitertechnologien“ hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, um die EU-Halbleiterbranche wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Aber auch mit den in Aussicht gestellten Investitionen in Höhe von 145 Milliarden Euro kann sie dies nicht allein stemmen. Wir untersuchen die eigentliche Initiative, bewerten ihre Handlungsfelder und erklären, warum der Schlüssel zum Erfolg unserer Meinung nach in Partnerschaften mit Unternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland und dem dadurch möglichen Wissenstransfer liegt.
Im Dezember 2020 haben 19 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Halbleiterallianz ("European Initiative on processors and semiconductor technologies") unterzeichnet, mit dem Ziel, die EU wieder als globales Zentrum in der Halbleiterbranche zu etablieren. Die gemeinsame Erklärung zielt darauf, Kooperationen zu fördern und Investitionen in Equipment und Materialien sowie in Entwicklung und in fortschrittliche Herstellungs - und Verpackungstechnologien zu erhöhen, und sagt dafür 145 Milliarden Euro an Unterstützung zu.
Dieser Vorstoß kommt zu einer kritischen Zeit. Europäische Halbleiterhersteller verlieren zu ihren Konkurrenten außerhalb der Union seit langem an Boden – die führenden Global Player sind heute längst in der Lage, fortschrittlichere Chips mit kleinen Strukturen zu produzieren. Hinzu kommt: Die Investitionsausgaben der europäischen Halbleiterindustrie stagnieren bei rund 4% der weltweiten Gesamtausgaben (Asien-Pazifik: 63% in 2019). Es besteht dringend Handlungsbedarf, und zwar nicht nur durch die Initiative oder durch erhöhte Investitionsausgaben.
In diesem Artikel beleuchten wir drei Handlungsfelder, die ausschlaggebend für den künftigen Erfolg der europäischen Halbleiterbranche sind, und geben entsprechende Empfehlungen. Im ersten geht es darum, wie die Branche eine ihrer Hauptstärken einsetzen kann, nämlich ihre solide Basis im Bereich Herstellung/Entwicklung von konventionellen Halbleiterprodukten. Im zweiten Handlungsfeld wird untersucht, wie die Branche eine kritische Masse beibehalten kann, während im dritten durchdacht wird, inwieweit die neue Initiative der EU helfen kann, die vorhandene Basis zu stärken. Und schließlich stellen wir dar, warum wir glauben, dass Partnerschaften mit Technologieunternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland der Schlüssel zum Erfolg für europäische Halbleiterhersteller sind.
Ein starkes Fundament
Die EU verfügt über eine solide Basis in der Herstellung, Forschung und Entwicklung der etablierten Technologieknoten, welche für die signifikante Stärkung ihrer Halbleiterbranche genutzt werden kann. 49% aller genutzten Fertigungskapazitäten entfallen auf ältere Technologien ≥0,2-µm Strukturbreite – das ist der höchste Anteil weltweit. Dies ist ein starkes Fundament und ermöglicht die Nutzung von Fachkräften für eine Skalierung der Industrie. Zu den wichtigen Produktionszentren in der EU und der Europäischen Freihandelszone (EFTA) mit jeweils mehreren, führenden Herstellern gehören Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Irland und die Niederlande.
In der EU und der EFTA sind führende Unternehmen ansässig, die spezialisierte, anwendungsintegrierte Bauelemente produzieren. Zudem gibt es sehr wettbewerbsfähige Hersteller für analoge und Mikrocontroller-Anwendungen. Dies wird bei der Gewinnung von Fachkräften ausschlaggebend sein.
Die EU engagiert sich stark für die Forschung, wobei der Fokus hier auf den kleinen und mittelgroßen Serien der 100-mm- und 200-mm-Wafer liegt. Zu den wichtigen Zentren gehören das Fraunhofer-Institut in Deutschland, das IMEC in Belgien und CEA-Leti in Frankreich. Sie werden eine entscheidende Rolle bei der Ausweitung der F&E-Bemühungen der EU spielen, welche nötig sind, um die Ziele der EU-Initiative zu erreichen.
Warum eine kritische Masse für das Überleben wichtig ist
Die Initiative vertritt den Standpunkt – und diesem stimmen wir zu –, dass die EU eine breitere Halbleiterbasis benötigt, um langfristige Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Rechen- und Speicherleistung werden für künftige Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sein, aber genau hier fehlt es der EU momentan an Kapazitäten. Um eine kritische Masse zu erreichen, sind zwei Dinge nötig: die Sicherung von Innovationen in Industrie und Fahrzeugbau und die Absicherung der Halbleiterbranche selbst.
Die neuesten bahnbrechenden Innovationen hängen stark von Halbleitern der aktuellen Technologieknoten (7 nm und 5 nm) ab. Dies trifft vor allem auf die großen und erfolgreichen Fahrzeug- und Industriesegmente der EU zu, wo Anwendungen in den Bereichen künstliche Intelligenz und autonomes Fahren die Nachfrage nach Halbleitern steigern. Mit ihrem Anteil am BIP der Eurozone von 24,6% wird klar, dass die Zukunftsfähigkeit der Branche gesichert werden muss.
Derzeit werden die meisten modernen Halbleiter (mit 7-nm- und 5-nm Strukturbreite) in Taiwan und Südkorea produziert. Aber sich auf diese Nicht-EU-Länder zu verlassen, birgt ein erhebliches Risiko. Taiwan ist anfällig für Erdbeben, mit durchschnittlich aller fünf Jahre auftretenden, starken seismischen Aktivitäten. 1999, zum Beispiel, führte ein Beben der Stärke 7,6 auf der Richter-Skala zu einem Produktionsverlust von 20% des monatlichen Outputs. Das Land ist außerdem in weltweite Handelskonflikte verwickelt, die die Erfüllung von langfristigen Lieferverpflichtungen gefährden könnten. Diese Risiken müssen abgeschwächt werden.
Die Notwendigkeit, die Branche in Europa abzusichern, wird außerdem verstärkt durch den aktuellen Trend weg von x86- und hin zu ARM-basierten Prozessoren. Die Infrastruktur in der EU ist auf die Produktion von x86-Chips ausgerichtet. Somit wird die Abhängigkeit von Nicht-EU Unternehmen zukünftig erhöht. Dieses Kompetenzdefizit wird durch den EU-Austritt Großbritanniens noch verschärft, denn ARM hat dort seinen Hauptsitz. Erhebliche Verluste an Fähigkeiten und geistigem Eigentum in der Prozessor- und der System-on-Chip Architektur sind die Folge.
Wie kann die EU-Halbleiterinitiative helfen?
Ein Hauptziel der Initiative ist es, Möglichkeiten zu schaffen, damit die Halbleiterhersteller in der EU ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückerlangen und mit den Global Playern wieder mithalten können.
Seit dem Konkurs des deutschen Chipherstellers Qimonda im Jahr 2009 und der zunehmenden Hinwendung zu Fab-Lite-Strategien (Outsourcing der Herstellung) bewegen sich die EU-Investitionsausgaben in der Branche auf einem niedrigen Niveau – zwischen 3% und 4% der weltweiten Gesamtkosten. Das Erhöhen dieses Wertes ist entscheidend für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Branche, aber Wirtschaftsakteure allein verfügen nicht über die dafür nötigen Mittel. Um dem gerecht zu werden, hat die Initiative 145 Milliarden Euro an staatlicher Unterstützung zugesagt.
Der Grund für das staatliche Eingreifen liegt auf der Hand. 2019 leisteten die Top 5 der weltweiten Halbleiterinvestoren, welche ihren Sitz alle außerhalb der EU haben, 69% aller Investitionsausgaben in der Branche. Dies entspricht 71,2 Milliarden US-Dollar. Eine solche Konsolidierung und derart hohe Ausgaben können einzelne EU-Unternehmen nicht ohne staatlichen Rückhalt leisten.
Der Erfolg der Initiative hängt entscheidend von der Umsetzung durch die Vertragsstaaten ab, wir sind jedoch zuversichtlich, dass ein abgestimmtes Vorgehen den Chipherstellern in der EU dabei hilft, die Lücke bei den Investitionsausgaben zu schließen.
Empfehlung: Partnerschaften mit Technologieunternehmen im Nicht-EU-Ausland
Ergänzend zu den Investitionshilfen empfehlen wir den Halbleiterherstellern aus der EU die Zusammenarbeit mit Technologieunternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland. Durch solche Partnerschaften lassen sich Entwicklungszeiten für Technologien verkürzen und R&D-Ressourcen besser zugänglich machen.
Die übliche Zeitspanne für die Entwicklung vom 14-nm-Technologieknoten auf die 7-nm-Technologie beträgt drei bis fünf Jahre. Unter den gegebenen Bedingungen ist es für EU-Unternehmen jedoch unrealistisch, diese Entwicklungsstufe ohne Partnerschaften bis zu den Jahren 2023-2025 zu erreichen. Außerdem arbeiten die weltweit führenden Hersteller bereits an den 3-nm- und 2-nm-Knoten. Dadurch besteht die Gefahr, dass EU-Unternehmen, trotz der versprochenen Investitionen, sogar noch weiter hinter den Global Playern zurückfallen.
Von den Vorteilen im R&D-Bereich, die sich aus Partnerschaften ergeben, profitieren alle Seiten. Zum Beispiel werben die führenden Zulieferer derzeit zahlreiche hochqualifizierte Leute an. TSMC verkündete im August 2020 die geplante Einstellung von 8.000 Ingenieuren für die Arbeit an der 2-nm-Technologie. Durch eine Partnerschaft mit einem Marktführer bekäme man daher schnellen Zugriff auf absolute Spitzen-Fachkräfte.
Solche Beispiele verdeutlichen, dass der Technologietransfer von Partnern außerhalb der EU mindestens genauso wichtig ist wie die finanzielle Unterstützung. Tatsächlich wäre das 145 Milliarden Paket der EU ohne solche Partnerschaften nur von geringem Nutzen. Vereint man aber die Potenziale von finanzieller Unterstützung und produktiven Partnerschaften mit Unternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland, so kann die Halbleiterindustrie in der EU wieder zu einem weltweiten Powerhouse werden und europäische Innovationen lassen sich zuverlässig absichern.