Ob durch den Handelskonflikt zwischen den USA und China, die Covid-19-Pandemie oder den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine: Globale Warenströme und Lieferketten sind seit einigen Jahren immer wieder massiv gestört. Deutsche Unternehmen treffen die Disruptionen besonders, denn sie sind überdurchschnittlich stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden. Sie hoffen auf eine neue Form der Globalisierung – mit weiterhin hoher Offenheit, sicheren Handelsbeziehungen und reduzierten Abhängigkeiten von einzelnen Ländern. Wie berechtigt ist ihr Zukunftsglaube und was heißt das für die eigene Organisation? Unser aktueller "State of the Nation"-Report skizziert die Lage, analysiert die Hintergründe und zeigt, wie sich Unternehmen mit robusten Lieferketten für anhaltend stürmische Zeiten rüsten können.
Welthandel zwischen neuer Bipolarität und Decoupling
Deutschland ist wie kaum eine andere große Volkswirtschaft in die internationale Arbeitsteilung eingebunden – und profitiert davon. Nach Berechnungen der Weltbank summierten sich seine Im- und Exporte 2021 auf rund 89 Prozent in Relation zur jährlichen Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: In China und Japan lag diese Quote bei etwas mehr als einem Drittel, in den USA sogar nur bei einem Viertel.
Mit der Öffnung der vormaligen Ostblockstaaten, durch Liberalisierungsfortschritte im weltweiten Handel und den Siegeszug der Informationstechnologie wurden die Lieferketten der Unternehmen seit den 1990er-Jahren immer internationaler und komplexer. Nicht nur der Handel mit einzelnen Gütern, sondern ganze Produktionsprozesse wurden ausgelagert, um durch Spezialisierung und räumliche Konzentration Größenvorteile zu realisieren und kostengünstig zu produzieren. Eine mindestens genauso wichtige Grundlage des deutschen Geschäftsmodells war und ist der Import von Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland. Global Sourcing senkt die Produktionskosten und trägt maßgeblich dazu bei, trotz höherer Lohnkosten wettbewerbsfähige Arbeitsplätze im Inland zu sichern.
Eine umfassende Deglobalisierung lässt sich derzeit nicht beobachten, dennoch ordnen sich die internationalen Warenströme neu. „Die geopolitischen Entwicklungen sind aktuell der größte Risikofaktor für den Welthandel“, sagt Gerd Sievers, Co-Leiter der globalen Beratungseinheit Restructuring, Performance & Transaction und Mitglied der DACH-Geschäftsführung bei Roland Berger.
Nach einer langen Phase der Liberalisierung sind politische Interventionen und Protektionismus wieder salonfähig geworden. Neben Zöllen spielen auch nicht tarifäre Handelshemmnisse wie Local-Content-Klauseln, Beschränkungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge oder Subventionen eine große Rolle.
Relokalisierung als Option?
Seit der Corona-Pandemie setzen einige Unternehmen auf die Errichtung nahe gelegener Produktionskapazitäten, um weniger stark von politischen Entwicklungen und globalen Warenströmen abhängig zu sein. Was theoretisch sinnvoll klingt, gestaltet sich in der unternehmerischen Praxis allerdings oft schwierig, weil hohe Kosten anfallen und notwendige Kompetenzen für die Rückholung von Wertschöpfungsprozessen oftmals nicht mehr vorhanden sind. Als Modell für Deutschland taugt die Regionalisierung folglich nicht. So würde eine vollständige Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland einer Simulation des Münchener ifo Instituts zufolge zu einem Rückgang des
heimischen Bruttoinlandsprodukts
(BIP) von knapp zehn Prozent führen. Beim Nearshoring, bei dem Produktion in die EU, die Türkei oder Nordafrika rückverlagert würde, verlöre Deutschland immerhin noch gut vier Prozent Wirtschaftsleistung.
Zur internationalen Arbeitsteilung gibt es für die exportorientierte deutsche Wirtschaft keine Alternative. „Statt Rigorismus und Abschottung sollten wir weiterhin auf Offenheit und Kooperation setzen, allerdings bei einer bewussten Risikosteuerung“, sagt Oliver Knapp, Co-Leiter der globalen Sparte Operations & Procurement und Mitglied der DACH-Geschäftsführung bei Roland Berger. Für Unternehmen bestehe eine der wichtigsten strategischen Herausforderung in der Sicherung der Lieferketten. „Wer hier keinen Qualitätssprung in der nächsten Zeit erreicht, wird in schweres Fahrwasser kommen“, so Knapp.
Eine Gesamtstrategie für robuste Lieferketten
Wichtig sei eine systematische Überprüfung und Neubewertung der Wertschöpfungsketten. „Die Maßnahmen müssen in eine Gesamtstrategie eingebettet sein. Ansonsten läuft das Unternehmen Gefahr, zwischen vor und zurück am Ende auf der Stelle zu treten“, sagt Roland Berger Partner Sievers.
Ein konsistentes Vorgehen umfasst dabei folgende Elemente:
Diversifizierung der Lieferanten. Es führt vielfach kein Weg daran vorbei, in der Beschaffung alternative Zulieferer aufzubauen. Allerdings ist das Potenzial eines solchen „Multiple Sourcing“ in der kurzen Frist oft limitiert, denn es ist mit hohem Zeit- und Ressourcenaufwand verbunden.
Regionalisierung der Produktion. Kürzere Lieferwege reduzieren die Schadensanfälligkeit von Lieferketten. Die Optionen sind klug abzuwägen, denn damit gehen oftmals hohe Wechselkosten einher. Digitalisierung und der Einsatz
künstlicher Intelligenz
werden einen Schub bei der Relokalisierung bringen, weil sie bestimmte Arbeitsschritte überflüssig oder zumindest kostengünstiger machen.
Ausbau der Lagerhaltung. Eine Aufstockung ist vor allem für strategisch wichtige Vorprodukte und Rohstoffe angezeigt.
Aufbau von Wertstoffkreisläufen. Mit Digitalisierung und Energiewende steigt die Nachfrage nach bestimmten Metallen und Seltenen Erden weiter an – und damit die Abhängigkeit von Förderländern. Neue Wertstoffkreisläufe können dem entgegenwirken.
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