Wie die digitale Kluft überbrückt werden kann
Digitale Inklusion ist zu einem entscheidenden Kriterium für globale wirtschaftliche Entwicklung und politische Stabilität geworden
Von Sulina Kaur, John Low und Damien Dujacquier
Die Digitalisierung hat die globale Wirtschaft von Grund auf verändert. Der Zugang zur digitalen Welt entscheidet aber längst nicht mehr nur über den Erfolg einer Volkswirtschaft. Auch weite Teile des Alltags finden inzwischen in der virtuellen Welt statt. Zugang zum Internet und Kompetenz im Umgang mit digitaler Technologie werden so zu entscheidenden Faktoren, die die gesellschaftliche und politische Stabilität eines Landes sichern. Die aktuelle Studie "Bridging the digital divide" von Roland Berger zeigt diesen Zusammenhang deutlich auf und schlägt sieben Schritte vor, wie die digitale Kluft verkleinert werden kann.
Unter digitaler Inklusion versteht man die Befähigung von Individuen und Gesellschaften zur effektiven Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Diese Fähigkeit ist Grundlage für die Teilhabe an einer digitalisierten Wirtschaft – und an wesentlichen Teilen des Alltagslebens. Digitale Inklusion ist somit ein entscheidendes Kriterium, um eine gerechte und stabile Gesellschaft zu garantieren und sowohl individuellen Wohlstand als auch nachhaltiges makroökonomisches Wachstum zu ermöglichen.
Einem UN-Bericht vom Oktober 2019 zufolge bleibt allerdings fast die Hälfte der Weltbevölkerung "offline" und ist somit von den Errungenschaften der Digitalisierung ausgeschlossen. Diese wachsende "digitale Kluft" wirkt sich besonders dramatisch auf sozioökonomisch benachteiligte Personen und Gruppen aus. So sind insbesondere einkommensschwache Haushalte vom Zugang zu digitalen Inhalten abgeschnitten, ebenso die ländliche Bevölkerung, ältere Menschen, Analphabeten, Menschen mit Behinderungen sowie in der Sphäre der Wirtschaft die Kleinst-, Klein- und mittelgroße Unternehmen (KKMU).
Digitale Inklusion aktiv zu fördern hat aber immensen Einfluss auf viele Bereiche des privaten und wirtschaftlichen Lebens. Kompetenz im Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologie sowie grundlegende Kenntnisse im digitalen Bereich sind Grundlage für steigende Umsätze und wachsende Produktivität in der Wirtschaft. Digitale Inklusion wirkt somit als wirtschaftlicher "Enabler".
Die Automatisierung von Produktionsprozessen steigert die Effizienz und Leistung von Arbeitskräften, während Online-Kanäle und digitale Transaktionen die Reichweite und den Zugang zum Markt verbessern oder erst ermöglichen. Digitale Inklusion beeinflusst aber auch das gesellschaftliche Leben massiv, indem sie als sozialer Gleichmacher wirkt. Bildung etwa wird über digitale Kanäle demokratisiert, Meinungsvielfalt ermöglicht und Zugang zu politischen Informationen gewährleistet. Digitale Plattformen gewinnen in zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens an Bedeutung und ermöglichen beispielsweise den Zugang zu Dienstleistungen in der Gesundheitsversorgung.
Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat die Bedeutung digitaler Inkusion noch einmal dramatisch unterstrichen. Funktionierende Unternehmen, das Bildungssystem, der Einzelhandel, soziale Kontakte und der Zugang zu wichtigen Informationen hängen unmittelbar mit dem Zugang zu digitalen Kommunikationsmitteln zusammen. Wer von dieser Form der Kommunikation ausgeschlossen bleibt, ist anfälliger für politische und gesellschaftliche Desinformationen – und sogar die Krankheit selbst.
Unternehmen, deren digitale Infrastruktur bei Ausbruch der Pandemie nicht ausreichend entwickelt war, mussten in den vergangenen Monaten massive Umsatzeinbußen hinnehmen. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie abhängig wir von digitaler Technologie sind und dass wir eine „digital-ready“-Gesellschaft brauchen, die einen niederschwelligen Zugang zu digitalen Angeboten ermöglicht.
Roland Berger hat einen Digital Inclusion Index (RB DII) entwickelt, mit dem der Status der digitalen Inklusion systematisch untersucht und unterschiedliche Länder miteinander verglichen werden können. Dieser RB DI Index basiert auf vier Faktoren: Zugang zu digitaler Technologie, die Kosten für den Zugang und die Technik, die digitale Kompetenz der Bevölkerung sowie die der Digitalisierung zugrunde liegende Haltung.
Die Analyse (untersucht wurde die digitale Inklusion in 82 Industrie- und Schwellenländern) zeigt, dass alle Länder (außer dem Sudan) zwischen 2017 und 2020 einen Anstieg ihres Index-Wertes für digitale Inklusion verzeichnen konnten.
Singapur behauptet seine Spitzenposition, vor allem aufgrund von Programmen wie kostenlosem öffentlichen WLAN und finanzieller Unterstützung für die Ausbildung digitaler Kompetenz. Schweden, Dänemark, die Niederlande und die Vereinigten Staaten folgen auf den nächsten Plätzen. Grund dafür dürften vor allem die guten Englischkenntnisse der Bevölkerung sein (englisch ist die vorherrschende Online-Sprache). Das hohe Pro-Kopf-Einkommen, erschwingliche Mobilfunktarife und zahlreiche E-Government-Programme wirkten sich ebenfalls positiv auf die Platzierung aus. Deutschland rangiert auf dem zwölften Rang.
Myanmar, Vietnam und Ägypten verbesserten den Zugang zum Internet durch einen massiven Ausbau der Netz-Infrastruktur. Die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Telekommunikationsanbietern hat das Preisniveau gesenkt und darüber positiv beeinflusst. Südostasien, Südamerika und Afrika südlich der Sahara stehen am unteren Ende der Liste.
Die Ergebnisse der Untersuchung und ein fundiertes Verständnis von den Zusammenhängen zwischen den beschriebenen vier Faktoren sind grundlegend für ein entschiedenes Handeln der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft. Folgende sieben Faktoren sollten dabei Beachtung finden.
Regierungen, so die Empfehlung, müssen zunächst die nationalen Defizite identifizieren und anschließend gezielt Maßnahmen ergreifen, um effektiv gegensteuern zu können. Als handelnder Akteur kann die Politik zudem spezielle Agenturen etablieren, die digitale Initiativen verwalten oder E-Government-Programme vorantreiben.
Der private Sektor spielt eine wichtige Rolle bei der Produktion digitaler Inhalte und bei der Bereitstellung von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit. Kommerzielle Akteure stellen ihrerseits Fachwissen und Netzinfrastruktur für öffentliche Programme zur Verfügung.
Sowohl die politischen Mandatsträger als auch der private Sektor müssen Hand in Hand agieren, um die digitale Inklusion nachhaltig zu verbessern. Schließlich ist der Zugang zu digitalen Angeboten entscheidend, um im internationalen Wettlauf den Anschluss nicht zu verlieren.
Digitale Inklusion ist zu einem entscheidenden Kriterium für globale wirtschaftliche Entwicklung und politische Stabilität geworden