Kreislaufwirtschaft
Rund um die Welt fasst der Nachhaltigkeitsgedanke immer weiter Fuß. Think:Act zeigt, wie Unternehmen einen geschmeidigen Übergang schaffen können – vom linearen zum zirkulären Wirtschaften.
Seit mehreren Jahrzehnten fordern Umwelt- und Verbraucherschützer ein Ende der Wegwerfgesellschaft. Stattdessen haben Hersteller es immer schwieriger gemacht, ihre Produkte zu reparieren. Das kalifornische Unternehmen iFixit führt eine weltweite Bewegung an, die für ein Recht der Konsumenten kämpft, ihre Dinge reparieren zu lassen.
Der Kampf gegen die Macht von Big Tech wird an einem Außenposten in einer Kleinstadt zwischen San Francisco and Los Angeles geführt. Hier in San Luis Obispo, am berühmten Highway 1, ist iFixit zu Hause. Kaum kommt man zur Tür herein, wird klar: iFixit hat eine Mission.
Ein Tisch in der Lobby quillt über vor Stapeln mit "Repair Manifesto"-Flyern sowie Aufklebern, die dazu auffordern, bei der "ReparaturRevolution" mitzumachen: "Fix the world", denn "wenn du etwas nicht reparieren kannst, gehört es dir nicht." Jedes Wort hier wirbt für den gleichen Segen: "Reparieren spart Geld", "Reparieren rettet die Erde" oder "Reparatur ist Freiheit". Die nicht besonders subtile Botschaft lautet: Sein Zeug zu "fixen", ist nicht nur ein Akt der Rebellion gegen Hersteller, deren Produkte oft kurzlebig gebaut sind und die es immer schwerer machen, Dinge wieder herzurichten; sondern das Ganze ist auch gelebter Umweltschutz und damit quasi Bürgerpflicht.
"Such dir eine Firma aus – sie haben alle ihre Fehler", sagt Kyle Wiens. "Wir brauchen einen echten Systemwechsel, eine Bewegung gegen kurzlebiges Design." Wiens ist iFixits Mitgründer, Chef und Stimme. Der 38-Jährige reist um die Welt, um Bürgern, Politikern und Lobbyisten zu erklären, was seine Firma macht, wie wichtig Reparaturen für eine Kreislaufwirtschaft sind und warum Menschen ihr Eigentum am besten selbst reparieren.
iFixit und seine 140 US-Mitarbeiter kämpfen an vorderster Front für verbraucher- und umweltfreundliche Geräte, die samt Reparaturanleitung und Ersatzteilen geliefert werden. Weitere 70 Mitarbeiter der Europafiliale in Stuttgart teilen diese Mission. "Wir haben ein Recht auf Reparatur! Der Gesetzgeber sollte dazu Verhaltensrichtlinien festlegen – und wir als Verbraucher sollten langlebige Produkte bevorzugen", sagt Wiens, ein echter Schnellsprecher mit einer Liebe für karierte Hemden und einem Haarschnitt, den sich jeder mit einer stumpfen Schere selbst verpassen könnte, wie es mal jemand formuliert hat.
Das Unternehmen ist eine Online-Community mit einem riesigen Archiv an Bauanleitungen voller Demontagefotos und Videos vom Auseinanderschrauben Tausender Geräte. Es gibt gratis Reparaturanleitungen für alles von Smartphones, Computern und Konsolen bis hin zu Autos, medizinischem Gerät und Rasierapparaten. iFixit verkauft auch selbst Werkzeug und Ersatzteile. Bei der letzten Inventur gab es mehr als 80.000 Anleitungen in zwölf Sprachen, von denen zwei Drittel aus einer globalen Community von Zehntausenden "Fixern" kommt, für insgesamt fast 36.000 Geräte.
Im Untergeschoss sind ein paar Angestellte dabei, Teile und Werkzeuge zu testen und Bestellungen zu verschicken. Weiter hinten steht das Lager mit 10.000 verschiedenen Teilen. "Hier unten verdienen wir das Geld, mit dem wir unsere Lobbyarbeit und Aktionen finanzieren", erklärt Sam Goldheart. Früher leitete sie die Demontage und jettete um die Welt, um die Erste zu sein, die eine Xbox One oder ein neues iPhone-Plus-Modell auseinandernimmt. Inzwischen mache sie hauptsächlich Lobbyarbeit und fungiere als die "historische Stimme" der Firma, sagt sie, während sie das halbverlassene Obergeschoss betritt. Seit der Pandemie arbeiten die meisten Mitarbeiter von zu Hause aus.
iFixit berät auch Unternehmen, erzählt Goldheart. "Wir schauen uns ihre Produkte an und sagen ihnen zum Beispiel, dass der Akku leichter austauschbar sein sollte oder dass ein Kabel anders laufen sollte, damit es nicht so leicht bricht." Die Kalifornier bieten auch Werkzeug- und Teilesätze für spezifische Geräte an. Viele dieser Werkzeuge entwirft iFixit selbst, weil die Produzenten nicht veröffentlichen, was sie benutzen.
Wiens und sein Partner Luke Soules gründeten iFixit 2003 in einem Wohnheim, als sie an der California Polytechnic State University in San Luis Obispo studierten. Als sie 2005/06 mit dem Studium fertig waren, machte ihr Unternehmen bereits eine Million US-Dollar Umsatz. Inzwischen veröffentlicht iFixit seinen Umsatz nicht mehr; 2016 setzte die Firma aber bereits mehr als 21 Millionen US-Dollar um und hat sich seitdem noch einmal deutlich gesteigert, wie Soules versichert. Als COO kümmert sich der 37-Jährige auch um die tägliche Logistik, Ersatzteile und Werkzeug in alle Welt zu verschicken. Seit der Pandemie machen ihm Lieferkettenprobleme das Leben schwer, zumal Reisebeschränkungen seine häufigen Besuche bei den Lieferanten in Asien verhinderten.
Bislang stellen sich noch viele Hersteller gegen ein Ende der Wegwerfgesellschaft, indem sie ihre Produkte absichtlich schwer reparierbar gestalten. Doch die Idee, dass es ein Recht auf Reparatur gibt, findet immer mehr Fürsprecher, auch in lokalen und nationalen Regierungen. Sie haben erkannt, dass eine weitverbreitete Reparaturkultur die beste Möglichkeit ist, Elektroschrott zu vermeiden, den Rohstoffabbau zu mindern und den Umstieg in eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen.
Geräte- und Maschinenbauer haben eigene wirtschaftliche, technologische und rechtliche Methoden entwickelt, mit denen sie Reparaturen verhindern, sagt Aaron Perzanowski. Der Professor für geistiges Eigentum an der Case Western Reserve University ist einer der führenden Experten für "Fair Repair"-Gesetzgebung. "Die Preise für Reparaturen sind so gesetzt, dass man lieber etwas Neues kauft. Und auch die Marketingstrategien zielen darauf ab, dass man immer das neue, leicht verbesserte Modell braucht", kritisiert er. "Die Produkte werden mit schwer ersetzbaren Teilen ausgestattet oder sind nur mit teurem Werkzeug zu fixen. Manche Geräte sind schlicht unreparierbar."
Die Hersteller sind einfallsreich: Sie bauen absichtlich komplexe Produkte mit Spezialschrauben oder verkleben im Inneren der Geräte weit mehr als notwendig. "Dieser Trend kam schon vor einigen Jahren auf, als Apple begann, in seinen iPhones bewegliche Teile wie die Batterie zu verkleben, um die Lebensspanne des Produkts auf gerade mal zwei Jahre zu verkürzen", weiß Wiens. "Dabei ist ein Batteriewechsel ja noch nicht mal eine Reparatur, das ist so wie ein Reifenwechsel." Der Landmaschinenhersteller John Deere hat es Bauern unmöglich gemacht, "unautorisierte" Reparaturen an ihren Maschinen vorzunehmen, um jeden Traktorbesitzer dazu zu zwingen, seine Reparaturen in der Markenwerkstatt machen zu lassen. Und dann gibt es noch die verbreitete Praxis der "geplanten Obsoleszenz" oder Überalterung. Dabei verkürzen die Hersteller die Lebensdauer ihrer Produkte, um mehr zu verkaufen.
Nachhaltigkeitsexperten betonen, dass Reparaturen ein zentraler Aspekt einer Kreislaufwirtschaft sind, noch stärker als Recycling. "Reparaturen gehören zu jedem Teil des Lebenszyklus, so landen weniger Geräte im Müll", betont Gay Gordon-Byrne, Geschäftsführerin der Repair Association, einer Gruppe, die für das Recht auf Reparatur kämpft. Zu den größten Mythen des Recyclings gehöre die Idee, dass Fabriken recyceltes Material einsetzen. Sie ist überzeugt, dass Hersteller nur neues Material einkaufen, das sei ein Geschäftsprinzip: "Wenn du etwas für den Massenmarkt produzierst und fünf Millionen Stück verkaufen willst, kannst du nicht darauf setzen, dass irgendein Reycler fünf Millionen gebrauchte Ersatzteile aus der Schublade zieht. Das ist das Prinzip einer linearen Ökonomie, keine Kreislaufwirtschaft."
Die Bewegung für ein "Recht auf Reparatur" macht erste Fortschritte, vor allem in den reicheren Ländern. Allerdings setzen Hersteller auch dort ihre Juristen ein, um neue Gesetze zu torpedieren. Frankreich verpflichtete Hersteller im vergangenen Jahr zur Teilnahme an einem Index, der anzeigt, wie reparaturfähig ihre Produkte sind. Die EU-Kommission hat angekündigt, noch in diesem Jahr einen Gesetzesvorschlag für ein Recht auf Reparatur vorzulegen. In den USA gibt es bereits 27 Staaten, die an solchen Gesetzen arbeiten oder sie bereits verabschiedet haben. Und im Juli letzten Jahres unterzeichnete US-Präsident Joe Biden eine weitreichende Verfügung, die eine Initiative für ein Recht auf Reparatur beinhaltet und auf Hersteller abzielt, die freie Werkstätten blockieren.
Von Google bis Tesla beginnen die Hersteller nun, dem wachsenden Druck nachzugeben. So kündigte Microsoft im Oktober 2021 an, die Reparaturmöglichkeiten innerhalb eines Jahres zu erweitern. Im Dezember kündigte iFixit an, in Zusammenarbeit mit Microsoft Werkzeuge für dessen Surface-Reihe zu verkaufen – wenn auch nur über bestimmte Service-Partner. Motorola, HTC und andere nutzen iFixit inzwischen ebenso als offiziellen Partner. Für die größte Überraschung sorgte jedoch ausgerechnet Apple: Im November 2021 kündigte Apple an, dass Endkunden künftig Ersatzteile, Werkzeug und Anleitungen über seine Website beziehen können. Das Programm startete Anfang dieses Jahres in den USA.
So sehr er sich darüber freut, so skeptisch bleibt Wiens: Ändert Apple wirklich seine Philosophie, oder stellt man sich bloß frühzeitig auf kommende Gesetze ein? "Wir müssen abwarten und die Details ansehen. Nachdem sie so lange alles getan haben, um Reparaturen zu vermeiden, bin ich recht skeptisch, aber auch optimistisch. Diese Ankündigung ist ein großer Schritt", sagt Wiens. Auch wenn er seit 19 Jahren einen schwierigen Kampf führt, malt sich Wiens eine "komplett reparierbare Zukunft" aus. "Das ist mein Ziel", betont er. "Wir arbeiten daran – und sind heute schon viel näher dran als vor zwei Jahren."
Rund um die Welt fasst der Nachhaltigkeitsgedanke immer weiter Fuß. Think:Act zeigt, wie Unternehmen einen geschmeidigen Übergang schaffen können – vom linearen zum zirkulären Wirtschaften.