Digitalisierung der Baubranche
Der europäische Weg zu "Construction 4.0"
Die digitale Transformation erfasst mittlerweile alle Wirtschaftsbereiche, wirkt sich auf die gesamte Wertschöpfungskette aus und verändert so ganze Geschäftsmodelle. Das gilt auch für die Baubranche: 93 Prozent der Baufirmen gehen davon aus, dass die Digitalisierung die Gesamtheit ihrer Prozesse beeinflussen wird. Doch bisher folgt dieser Erkenntnis in den wenigsten Fällen ein entsprechendes Handeln, wie die neue Roland Berger-Studie "Digitalisierung der Bauwirtschaft – Der europäische Weg zu Construction 4.0" zeigt. Die Experten von Roland Berger haben dafür 40 Bauunternehmen und Bauzulieferer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, wie sie die Potenziale der Digitalisierung einschätzen und wie weit sie mit der Umsetzung sind.
Demnach nutzen weniger als 6 Prozent der Baufirmen durchgehend digitale Planungsinstrumente. Unter den befragten Baustoffunternehmen sind sogar 100 Prozent der Meinung, dass sie ihre Digitalisierungspotenziale nicht ausgeschöpft haben. "Die zögerliche Umsetzung überrascht vor allem mit Blick auf die Entwicklung der Produktivität in der Bauindustrie", sagt Kai Stefan Schober, Partner von Roland Berger. In den vergangenen zehn Jahren stieg diese in Deutschland nur um bescheidene 4 Prozent. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Wirtschaft verbesserte ihre Produktivität in diesem Zeitraum um 11 Prozent, das verarbeitende Gewerbe sogar um 34 Prozent und das produzierende Gewerbe um 27 Prozent.
Im Zentrum der Roland Berger-Umfrage standen vier Hebel, die für die digitale Transformation von Firmen entscheidend sind: Die Nutzung digitaler Daten, die Gewährleistung des digitalen Kunden- und Lieferantenzugangs, der Ausbau der Automation und der Aufbau von Netzwerken. Je nachdem, in welchem Bereich der Baubranche ein Unternehmen tätig ist, wird die Bedeutung dieser Hebel unterschiedlich eingeschätzt. "Je offensichtlicher die Vorteile sind, desto besser erkennen die Unternehmen das Potenzial der digitalen Transformation", sagt Schober. So sehen die Studienteilnehmer etwa großes Verbesserungspotenzial, wenn sie digitale Daten in der Logistik oder im Marketing und Vertrieb nutzen.
"Unternehmen müssen lernen, alle Digitalisierungshebel auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette einzusetzen, um die Produktivität bestmöglich zu steigern", sagt Philipp Hoff, Co-Autor der Studie. "Bislang ist hier nicht viel passiert: In keinem der von uns befragten Unternehmen wurde die Digitalisierung bisher konsequent über alle Bereiche umgesetzt."
Für den Aufbau einer "digitalen Bauwirtschaft" gibt es bereits viele Anwendungsmöglichkeiten und Softwarelösungen. Etwa im Bereich der Beschaffung, einem großen Kostenfaktor in der Baubranche: Mit digitalen Plattformen können Firmen bis zu 10 Prozent Kosten sparen. Ähnlich bei der Baustellenlogistik: Supply-Software ermöglicht Lieferungen genau dann, wenn das Material auf der Baustelle benötigt wird. Das spart Lagerplatz und -kosten sowie Arbeitszeit der Bauarbeiter, die bisher 70 Prozent ihrer Zeit mit Auf- und Umräumen oder mit der Suche nach Materialien verbringen. Gleiches gilt für die Vernetzung von Baumaschinen, die eine effizientere Auslastung ermöglicht.
Sehr wichtig ist außerdem, dass die Bauwirtschaft die Wünsche und Anforderungen ihrer Kunden gut kennt und entsprechend berücksichtigt. Mithilfe von mobilen Apps können Baufirmen und -zulieferer Informationen mit ihren Auftraggebern schnell austauschen – vor, während und nach dem Bauvorhaben. "Professionelles Kunden-Management ist besonders für die Baubranche wichtig. Das wurde bislang meist unterschätzt", sagt Hoff: "Ist ein Bauvorhaben einmal fertig, besteht oft über längere Zeit kein Kontakt mehr zum Kunden. Um dennoch beim nächsten Bauvorhaben berücksichtigt zu werden, sollten Baufirmen langfristige Kundenbeziehungen aufbauen. Digitale After Sales-Anwendungen können hier helfen."
Große Relevanz für die Bauindustrie hat bereits heute das Building Information Modeling (BIM). Vorteil dieser Methode ist, dass bereits vor dem Bau eine digitale Simulation möglich ist. Fehlplanungen werden somit minimiert und potenzielle Mehrkosten sowie mögliche Alternativlösungen frühzeitig identifiziert. Ab 2020 wird die Nutzung von BIM bei öffentlichen Infrastrukturprojekten in Deutschland sogar verbindlich sein.
"Dadurch wird sich auch die Entscheidungshoheit bei Bauprojekten verändern", erwartet Roland Berger-Experte Schober: "Künftig werden Planer oder Architekten über die Qualitäten von Materialien und die Auswahl der Hersteller entscheiden, und nicht mehr die Bauunternehmen." Gleichzeitig wird die Menge an Produktdaten durch digitale Dokumentationen stark ansteigen. Baufirmen müssen diese Datenflut einerseits bewältigen können, haben aber andererseits bei intelligenter Nutzung der Daten auch die Chance, neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu entwickeln. Für Schober ist daher klar: "Es gibt keine Alternative zur Digitalisierung. Auch nicht auf dem Bau. Die Branche muss schnell aufholen."
Der europäische Weg zu "Construction 4.0"